Die Rolle der Nebenkläger

Bloß nicht politisch werden

Die Nebenkläger im NSU-Prozess wollen auf die Aufklärung der politischen Dimension des Verfahrens hinwirken.

Kein Satz, kein Wort. Im Saal A-101 des Landgerichts Münchens spricht Beate Zschäpe bisher nur mit ihren Verteidigern. Vor Gericht wollte die Haupangeklagte im Verfahren gegen den »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) auch keine Angaben zu ihrer Person machen. Völlig ruhig hatte sie am 6. Mai den überfüllten Gerichtssaal betreten. Sie lächelte ihre Anwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm an und plauderte mit ihnen. »Sie ist besonders selbstbewusst aufgetreten«, meint Alexander Kienzle, einer der Anwälte der Familie des ermordeten Halit Yozgat. Nichts anderes hatte Peer Stolle erwartet. Der Rechtsbeistand eines der Söhne des getöteten Mehmet Kubaşık betont: »Als überzeugte Ras­sistin und Rechtsextremistin war nicht zu erwarten, dass sie Reue oder Scham zeigen wird.«
Einige Medien bewegte vor allem Zschäpes Erscheinungsbild. »Der Teufel hat sich schick gemacht«, titelte einen Tag später die Bild-Zeitung. »Der Teufel« entlastet so die »Nicht-Teufel«. Denn mordende Rechtsextreme, das weiß die selbsternannte gesellschaftliche Mitte, können nur »Dämonen« und »Ungeheuer« sein. Dass Zschäpe und die Mitangeklagten Ralf Wohlleben, André E., Holger G. und Carsten S. aber gerade in den neunziger Jahren politisiert wurden, als militante Rechtsextreme zusammen mit »ganz normalen Deutschen« Flüchtlinge mit Übergriffen und Molotowcocktails vertrieben und töteten und CDU, CSU, FDP und SPD eiligst das Asylrecht demontierten, wird beflissen verdrängt.
Kurz vor zehn Uhr hatte Andé E., der beschuldigt wird, ein Wohnmobil für das Trio ange­mietet und engste Kontakte mit ihnen gehabt zu haben, den Saal als Erster betreten. Holger G., der Pässe beschafft und eine Waffe transportiert haben soll, folgte, er versteckte sein Gesicht hinter einen Pappordner. Carsten S., der die Mordpistole Česká 034678 überreichte, zog beim Eintreten seine Kapuze noch tiefer. Ralf Wohlleben, der die Česká besorgt haben soll, setzte sich schnell.

Kaum hatte der erste Prozesstag begonnen, unterbrach der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Verhandlung. Zschäpes Anwälte stellten einen Befangenheitsantrag, da Götzl bei allen Rechtsanwälten aus Sicherheitsgründen Durchsuchungen angeordnet hatte. Einzelne Nebenkläger warfen der Verteidigung sofort Prozessverschleppung vor. Etwas gelassener sagte Kienzle: »Die befürchtete und beschworene Antragsflut ist bisher ausgeblieben.« Alle Anträge waren vorhersehbar. Auch Angela Wierig, Rechtsbeistand der Familie des ermoderten Süleyman Taşköprü, betonte: »Ich habe keinen anderen Auftakt erwartet. Ich hatte den Verteidigern aller Angeklagten zugetraut, die Verlesung der Anklage um mehrere Wochen herauszuzögern.«
Am zweiten Verhandlungstag folgte ein Antrag, der ebenso erwartbar war. Bereits am ersten Tag des Verfahrens hatte Nicole Schneider, einer der Rechtsbeistände von Wohlleben, eine Sonderausgabe des verschwörungstheoretischen Magazins Compact im Saal auf dem Tisch liegen. Dessen Herausgeber, Jürgen Elsässer, hatte die Compact-Spezial vor der Tür des Landgerichts angeboten. Schneider, die wie Wohlleben bei der NPD Jena aktiv war, befand, dass die »geheimdienstlichen Verwicklungen« verhinderten, dass die Wahrheit ans Licht kommen werde. Die Vorverurteilung ihres Mandanten werde ein »faires und rechtsstaatliche Verfahren« nicht mehr ermöglichen. Alle Anträge der Verteidiger wies das Gericht zurück.
Am späten Nachmittag konnte Bundesanwalt Herbert Diemer bereits die Anklagen verlesen. Er führte aus, dass Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Zschäpe 1998 eine Terrorgruppe gegründet hätten, um »durch Mord- und Sprengstoffanschläge ihre nationalsozialistisch geprägten völkisch-rassistischen Vorstellungen von einem ›Erhalt der deutschen Nation‹ zu verwirklichen«. Als Gründungsmitglied einer Gruppe, »deren einzige Zweckbestimmung die Tötung von Menschen war«, habe Zschäpe zu allen Taten eine »gleichwertigen Beitrag geleistet«.

Nicht alle Angehörigen der Opfer sind zur Verhandlung erschienen. Die Situation im Saal, das Aufeinandertreffen mit den Angeklagten, das Interesse der Presse, all dies sei eine enorme Belastung für sie, sagten Nebenkläger. »Die Erwartungen sind hoch«, sagt Kienzle. Und Wierig warnt: »Es geht in dem Verfahren um die persönliche Schuld der Angeklagten.« Wer am Ende des Prozesses eine umfassende Aufklärung durch die Beweisaufnahme erwartet, sei blauäugig, sagten die Rechtsbeistände von der Familie Taşköprü. Das Gericht sei nicht gezwungen, sich »per se mit möglichen weiteren Mitgliedern des NSU« zu befassen. Einzelne Nebenkläger wollen verhindern, dass der NSU auf das Zwickauer Trio reduziert wird. Schon jetzt sei erkennbar, dass Gericht und Generalbundesanwalt nur die einzelnen Taten verhandeln wollten, warnen sie. »Die eigentliche Dimension der Unterstützer und der behördlichen Verstrickungen soll keine Rolle spielen«, so Kienzle.
Jene Verfehlungen und Verstickungen werden nur verhandelt, wenn die Nebenkläger durch Beweisanträge und Zeugenbefragungen dies bewirken. Genau das haben sie sich vorgenommen. Am 4. Juni wird das Verfahren fortgesetzt.