Atsudo Kudo im Gespräch über Mode und Fetischkleidung

»Es geht immer um Kurven und ihr Geheimnis«

Die Fashion-Week-Saison ist eröffnet: Im Februar finden in New York, London, Mailand und Paris die wichtigsten Mode-Events statt. Die Avantgardedesignerin Atsuko Kudo, deren Fetischkleidung auch von Fashion-Ikone Lady Gaga getragen wird, erklärt den Zusammenhang zwischen dem Regenwetter an der Themse und Latex-Sex und rät Berlin, sich modisch an Tokio zu orientieren.

Das rote Ensemble, das Sie für Lady Gagas Audienz bei der Queen entworfen haben, war weltweit in der Presse und im Internet das Top-Foto. Ist dieser Weltstar eine komplizierte Kundin?
Nein, Lady Gaga ist nett und zuvorkommend und außerdem eine sehr konzentrierte Bühnenarbeiterin. Lady Gaga hat sich tatsächlich selber erfunden als Persönlichkeit und als Kunstfigur. Schon am Anfang ihrer Karriere experimentierte sie auf den kleinen Bühnen in New York mit ihrem jetzigen Stil. Sie war ein großer Fan meiner Sachen und deshalb kam sie auf mich zu. Sie sei ein Latex-Freak und möge meinen klassischen Stil, sagte sie.
Die Londoner Modeszene scheint sehr stolz auf Sie zu sein. Auch in der großen Modeausstellung im Victoria and Albert Museum wurden Ihre Ballkleider ausgestellt. Als gefragte Kostümbildnerin für den Film verwenden Sie Schnitte traditioneller Kostüme und Applikationen und kombinieren sie mit Latex, einem Material, das futuristisch anmutet und als verwegen gilt. Wie kam es zu dieser widersprüchlichen Liaison?
Für mich war die Idee wie eine künstlerische Hochzeit von alter und neuer Schönheit. Es geht mir eigentlich darum, jenseits von Trends, wie sie auf den Fashion Weeks gezeigt werden, eine wirklich neue Ästhetik der Figürlichkeit zu schaffen, es geht um ein Konzept des neuen Frauenbildes. Lady Gaga ist nur der Höhepunkt dieser Revolution einer neuen ästhetischen Urbanität überall in den Weltstädten. Das hoffe ich jedenfalls.
Welches sind die neuen Zentren der Mode, Berlin, New York, China, Japan? Oder sind es immer noch Paris, Mailand, London?
Die sogenannte Mode ist überall sehr verschieden, um es vorsichtig auszudrücken. Ich lebe in London, aber auch ganz objektiv würde ich Ihnen sagen: London besitzt wegen seiner sehr fortschrittlichen und aufgeschlossenen Traditionen und Lebensart und dem wirklich multikulturellen Mix das größte Potential. Amsterdam hat einen ähnlichen Background, in den Clubs dort veranstaltete ich oft Shows, es gibt da auch eine große Gay-Szene und viele Fetisch-Clubs, das bereichert insgesamt das Nachtleben und beeinflusst auch die Popkultur. Ich kenne auch Tokio sehr gut, modisch geht es dort unglaublich vielfältig unter den jungen Leuten zu. Diese Mode ist dort sehr cool. Sie macht einfach Spaß, Eleganz und Sinnlichkeit, die sehr verspielt daherkommt.
London wurde schon abgeschrieben und galt als eher konservativ. Für Sie ist es die Mode- und Subkultur-Kapitale der Zukunft. Das wird man woanders aber nur sehr ungerne hören.
London ist eben neben New York die Hauptstadt des Kosmopolitismus. Briten lieben Understatement, aber auch subtile Erotik, wie im Viktorianismus. Nicht zufällig gilt London auch als die Hauptstadt der Fetischszene. Engländer sind einfach unkompliziert auch in Sachen abweichender Spielformen der Sexualität und Erotik, das inspiriert auch modisch und stilistisch sehr. Sex ohne Humor geht nicht, Mode auch nicht ohne Experimente. Und das schlechte Wetter hier macht uns zu Weltmeistern des schwarzen Humors, um es überhaupt zu ertragen. Das Düstere und das Helle finden so zusammen, in jeder Weise. Und Engländerinnen haben einfach die sexiesten taillierten Regenmäntel. In London ist erotische Mode mittlerweile durchaus anerkannt, sogenannte Fetischmode gibt es mittlerweile tatsächlich in jedem Shopping-Center. Im »Selfridges« eröffnen wir gerade unseren neuen Pop-up-Store. Auch unseren Flagship-Store in London erweitert mein Mann Simon Hoare als Manager gerade. London ist für Mode, wie ich sie mache, einfach die Hauptstadt. Aber es gibt auch Kunden aus dem Ausland, die extra zu uns anreisen – und auch unser Internet-Shop boomt seit einiger Zeit. Menschen suchen immer nach Dingen, die neu für sie sind und die Spaß machen.
Vor allem Asien gilt als der Modemarkt der Zukunft. Das reiche Malaysia etwa ist sehr multikulturell und hat eine stark wachsende Mittelschicht.
Ich beobachte das auch seit einiger Zeit: Der Hang zu neuer eleganter Mode mit erotischen Elementen explodiert gewissermaßen in diesen Emerging Markets. Auch elegante Latexmode kommt dort sehr gut an. Man glaubt es vielleicht nicht, aber einige unserer besten Kundinnen leben in diesen Ländern: Indonesien, Indien, Dubai. Dann gibt es noch Länder wie Russland, China, Nigeria, wo man Weiblichkeit noch mehr über den Körper definiert als im Westen. Was würde also besser passen als meine klassische Avantgardecouture?
Junge Musliminnen in Europa oder Asien kombinieren das Kopftuch mit enger, moderner Kleidung. Auf der Jakarta Fashion Week zeigen muslimische Designer das Kopftuch zusammen mit Lederbekleidung.
Das ist großartig und phantastisch! Ich sehe so etwas immer öfter auch in London. Es ist sehr wichtig für junge Musliminnen, sich sexy und glamourös zu kleiden, gerade solche Oberflächlichkeiten und ein neues Körpergefühl könnten das Feuer der Emanzipation in diesen Ländern mit entfachen. Leider unterdrücken einige Teile bestimmter Religionen das Recht der Frau auf Gleichheit, Selbstbestimmung – und auf Sexualität, Körperlichkeit und Erotik. Gerade kluge Frauen sollten auch sexy sein dürfen. Eine freie Gesellschaft wird bedingt durch freie Sexualität. Im Islam ist das sehr schlimm, dort gibt es leider oft noch eine ausgeprägte Intoleranz und eine starke Frauen- und Sexualfeindlichkeit. Aber jeder sollte anziehen dürfen, was, und so leben, wie er will.
Wen außer Lady Gaga bewundern Sie denn noch? Michelle Obama gilt auch als stilgewandter Prototyp der modernen Frau.
Sicher, aber in Latex wäre sie noch moderner!
Sie designen auch für Janet Jackson, Eva Mendes, Linda Evangelista. Aber gibt es überhaupt noch Popikonen wie in den Achtzigern?
Ja, denn das Göttliche in der Mode ist noch nicht ganz ausgestorben, diese Damen repräsentieren bei Shootings wahre Anmut, deshalb sind sie globale Glamour-Ikonen. Diven sollten Vorbilder sein, auch in ihrem Verhalten. Nur schön sein ist nicht alles. Die, die ich bisher traf, waren ausnehmend höflich. Das zeichnet das Spezielle eben auch aus: etwas Konstruktives und Angenehmes für die Umwelt zu erschaffen. Negative Vibes nur für die Gossip-Spalten sollten out sein.
Dita Von Teese kommt öfter zum Shoppen zu Ihnen. Ist sie die Königin der Diven?
Dita ist vor allem in ihrer selbst erschaffenen Attitüde unglaublich glamourös. Sie lebt ihren Stil, sie verkleidet sich nicht für die Show. Beim Shopping ist sie nicht immer zu 100 Prozent glamourös angezogen, aber ihre Haltung ist es, die sie auch anziehend macht. Sie ist ein leicht konservativer Typ mit Charakter – das ist sexy. Sie hat eine Persönlichkeit, hat sich hochgekämpft. Ästhetik und niveauvolles Entertainment sind ihre Leidenschaft seit ihrer Jugend. Sie ist eine Perfektionistin. Wenn ich sie sehe, sterbe ich vor Neid. Sie investiert Zeit in ihren Style, lässt es aber leicht wirken. To make the difficult look easy – vielleicht besitzt sie einfach das Geheimnis der Schönheit. Ich rätsele noch.
Haute Couture wollte immer den Traum der Schönheit produzieren – heute befindet sie sich in der größten Absatzkrise.
Ja, weil die Qualität verloren gegangen ist. Luxus zeichnet sich nicht durch hohe Preise aus, sondern durch die wahre Qualität der Produkte. Das ist das Problem der Haute Couture und der Fashion Weeks von heute. Dadurch verlieren die Leute das Interesse. Außerdem bekommt man heute gute Dinge auch bequem über das Internet. Warum sollten die Leute dann also überhaupt noch in kleine Ateliers gehen, wenn es dort nichts Spezielles gibt? Die Fashion Weeks haben ihren Reiz von früher schon ziemlich verloren.
Welche Eindrücke verbinden Sie mit Berlin? Interessant oder uninteressant?
Ich war dort, als wir den europäischen Fetisch-Award gewannen. Berlin hat schon Potential mit seinen so ganz verschiedenen jungen Leuten. Aber es muss einfach mehr aus sich machen!
Geben Sie den Berlinern einen Tipp!
Es fehlt noch an Glamour, eindeutig. Aber das sollte die Essenz der Mode sein – anytime, anywhere. Kultivierte Fetischmode wie meine ist heute salonfähig und alltagstauglich geworden. Insgeheim war sie immer schon in der Haute Couture in Form von tollen Korsetts oder High Heels präsent. Heute sind die Absätze auch in der Alltagsmode höher denn je. Make a difference to spice up life. Mode sollte das Highlight des Lebens sein und nicht gewöhnlich. Ich empfehle Tokio als Vorbild: Modisch gibt es dort einfach keine Regeln, das macht es so verrückt und anziehend. Junge Leute tragen im Alltag auf der Straße Kleidung, die hier als völlig verrückt oder bitchy gelten würde. Fetisch ist dort Teil der Normalität und gilt nicht als extrem. Im Gegenteil: Man mixt es mit old-fashioned Kleidungsstücken. Das ist eine ästhetische Überlegenheit gegenüber den Regeln des Westens, wo man ungerne auffällt. Aber ganz Tokio ist eine Bühne der Maskeraden, es ist Glamour auf niveauvolle Art. Dress to express!
Aber Japan gilt doch als besonders konformistisch.
Die Gesellschaft ist konformistisch, leider, aber stilistisch wird Individualität als Stärke dort sehr respektiert. Alles ist dort erlaubt. Einzige Regel: Es muss wirklich gut und nach Fleiß aussehen. Dann findet es sozusagen Anerkennung als eigene Leistung und Arbeit.
Welches Kleidungsstück ist denn für Sie ein Must-Have?
Hüte, Handschuhe und Korsetts. Erst die komplettieren ein Outfit, ich liebe diese Dinge.
Als Designerin von Lady Gaga empfehlen gerade Sie den anderen Altmodisches?
Ja. Denn diese Art der Mode ist die beste. Mein Erfolgsrezept ist es, auf aufgeschlossene Art Gutes aus der Vergangenheit zu zitieren. Dior ist mein Vorbild und das Hollywood der vierziger Jahre. Erfolgreiche Mode basierte immer auf dem dark glamour wie im Film Noir – so etwas fasziniert die Menschen, Männer wie Frauen, und mich auch. Das Widersprüchliche ist das Spannende im Leben. Das sollte auch in der Mode zum Ausdruck kommen. Es geht immer um Kurven und ihr Geheimnis. Ich hoffe, das wird auch in der Mode der Zukunft so sein.