Essen wie Anarchos in Italien

Die Unione Sindacale Italiana (USI) gründete sich im Jahr 1912 in der Stadt als Gegenpol zur reformistischen Gewerkschaft CGL. Sie schloss sich später der anarchosyndikalistischen »International Workers Association« (IWA) an.

Wenn man Anarchist sein wolle, müsse man vor allem eines tun: Über Gott lästern, sagt Andrea schmunzelnd. Er ist einer der 40 Delegierten auf dem Jubiläumskongress der italienischen Anarchosyndikalisten in Modena. Die Unione Sindacale Italiana (USI) gründete sich im Jahr 1912 in der Stadt als Gegenpol zur reformistischen Gewerkschaft CGL. Sie schloss sich später der anarchosyndikalistischen »International Workers Association« (IWA) an. Vor allem während der roten Jahre, der »Biennio Rosso«, waren die Syndikalisten maßgeblich an den Demonstrationen, Streiks und Fabrikbesetzungen in norditalienischen Industriestädten beteiligt. Die Delegierten sitzen auf Plastikstühlen in einer umgebauten Fabrikhalle und diskutieren über die neuen Herausforderungen für den Syndikalismus in Italien und Europa. Der Altersdurchschnitt ist auffallend hoch. Der typische USI-Anarchist ist männlich, trägt Cord­sakko und geht auf die Rente zu. Pfeife oder selbstgedrehte Zigaretten zu rauchen, scheint nach der Gotteslästerung ein zweiter wichtiger Pfeiler des italienischen Anarchismus zu sein. An reichlich gedeckten Tafeln endet der Abend in der Fabrikhalle. Cucina Popu­lare klingt nicht nur viel ansprechender als »Vokü« – angesichts des opulenten Dreigängemenüs aus Pasta, Salat, Wurst und Wein kann auch jeder Kreuzberger Szene-Italiener verschämt einpacken. Bei Tisch werden dann auch die eigentlich wichtigen Dinge diskutiert: die Frage, ob Lambrusco der einzig wahre revolutionäre Wein ist, wie man mit dem Verkauf von Nudeln so viel Geld verdienen konnte, dass sich damit Attentate auf Mussolini finanzieren ließen, und weshalb die Partisanen den Besitzer von Ferrari schließlich doch nicht erschossen haben. Die grauhaarigen Herren werden dann bei einer Flasche Rotwein noch redseliger und schließlich offenbart sich, dass unter so manchem dunklen Cordsakko sogar ein Anarchohymnen schmetternder Pavarotti steckt – der kam nämlich auch aus Modena.