Unter Sammlern

Berlin Beatet Bestes. Folge 137. Big Jones: The Climb (1964).

Unlängst war ich nach über einem Jahr mal wieder auf einer internationalen Plattenbörse. Meine erste Plattenbörse besuchte ich bereits 1980, als Vierzehnjähriger, gemeinsam mit meinem Vater. Der Hamburger Radio-DJ Werner Voss hatte in seiner Sendung »Rock’n’Roll Museum« darauf hingewiesen, die immer direkt nach der Schule auf NDR II lief. Damals kaufte ich, von für mich unglaublich alten Männern, die aber wahrscheinlich viel jünger waren als ich heute, Rockabilly-Singles, die ich sonst nirgends finden konnte. Es gab schließlich noch kein Ebay und nur wenige Wiederveröffentlichungen. Diese tollen Originalpressungen aus den fünfziger Jahren, wie Jerry Lee Lewis’ Version von »In the Mood« und »Nameless« von den Rockin R’s, besitze ich noch immer.
Dieses Mal war ich auf der Börse aber etwas enttäuscht. Sie war schlecht besucht und irgendwie schien mir der schleichende Niedergang der ganzen Branche überdeutlich. Dass sich dort nur Männer über 40 herumtreiben, hatte mich vorher nie gestört. Ich selbst bin ja auch über 40. Auch die Auswahl war nicht schlecht, es gab alles von Funk bis Punk. Tatsächlich ist aber auf einer Vinylbörse nur ein kleiner Teil der verschiedenen Tonträger der Popmusikgeschichte zu finden. Schellackplatten, die 50 Jahre lang, bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, als Tonträger dominierten, tauchen auf Plattenbörsen nur ­selten auf. CDs, seit 25 Jahren die wichtigsten Tonträger im Musik­geschäft, werden zwar angeboten, verkauft werden aber hauptsächlich LPs. Auch Platten aus dem Bereich der elektronischen Musik, der immerhin in den vergangenen 20 Jahren den Großteil der Vinylproduktion ausmachte, sucht auf diesen Börsen niemand. Selbst als ich nun nach Jazz fragte, antwortete der Händler: »Ach, die Jazz-Kisten habe ich zu Hause gelassen.« Im Mittelpunkt des Interesses der Besucher steht der schmale Bereich der Pop- und Rockmusik der sechziger bis achtziger Jahre, die Musik, mit der die Sammler aufgewachsen sind. Ich hatte den Eindruck, dass der überalterte Sammlermarkt über kurz oder lang einbrechen wird, wenn nicht bald neue Sammler dazu kommen.
Bei einem französischen Händler kaufte ich eine EP. »Terrible pour la danse« steht auf dem Cover. »The Climb (Cheek to Cheek)«, geschrieben vom berühmten Songschreiberduo Jerry Leiber and Mike Stoller für die Vokalgruppe The Coasters, ist aber super zum Tanzen. Der mysteriöse Big Jones, der »menschliche Kontrabass«, laut Umschlagrückseite 1,92 Meter groß und in Ohio geboren, interpretiert auf Französisch, langsam swingend den Hit der schwarzen Gospelgruppe The Jubilee Four aus dem Film »Viva Las Vegas«. Im Film tanzt Elvis dazu mit Ann-Margret auf einer riesigen Roulettescheibe. Für diese herrlich seltsame, nie wiederveröffentlichte Platte, hat sich die Börse gelohnt.