Das Theaterstück »Der Firmenhymnenhandel« von Thomas Ebermann

Dein Chef steht zu dir

Thomas Ebermann bringt sein erstes Theaterstück in Hamburg auf die Bühne. Thomas Ewald hat bei den Proben zu »Der Firmenhymnenhandel« zugesehen.

Es gab Zeiten, da musste der Neoliberalismus seinen Anhänger nur Geld bis zum Erbrechen bieten, um sie für sich zu begeistern. Doch Typen wie der Finanzinvestor Gordon Gecko aus Oliver Stones Film »Wall Street« sind inzwischen extrem unpopulär und, wie es der zweite Teil des Films vorführt, zum skurrilen Abziehbild des »Greed is Good«-Menschen geworden. Geld alleine macht also nicht glücklich. So heißt es ja immer in Talkshows, wenn Menschen darüber reden, dass sie sich selbst gefunden haben. Natürlich braucht man dafür auch wieder ein dickes Bankkonto, da Lohnarbeit beim Selbstfindungsprozess bisher eher hinderlich war.
Nach der Jahrtausendwende haben die Neo­liberalen daher ein bisschen an ihrer Theorie gebastelt und etwas eingefügt, das noch verlockender wirkt als der schnöde Mammon: die Selbstverwirklichung im Job. Die bisher bekannten Formen dieser Perversion sind der Firmenkicker und der Casual Friday. Verkörpert wird diese Ideologie in Reinform von Heidi Klum. »Ich liebe meinen Job«, sagt sie in einem Werbespot und fordert Frauen dazu auf, mehr auf sich und ihre Gesundheit zu achten und Cola zu trinken. Die »Mädchen« in den Castingshows sollen es ihr gleichtun und an sich arbeiten, frei nach dem Motto: Du bist scheiße, aber durch den Job wirst du geil. Dass der Selbstoptimierungswahn längst nicht mehr nur in den Medien oder in hippen Start-ups grassiert, sondern inzwischen in jedem Supermarkt, daraum geht es in Thomas Ebermanns Theaterstück »Der Firmenhymnenhandel«.
Der Publizist und Kabarettist, der an der Gründung der Grünen beteiligt war, arbeitet gerade »mit besonders guter Besetzung« – zu den Darstellern gehören Pheline Roggan, Rainer Schmitt, Robert Stadlober und Tillbert Strahl-Schäfer – an seinem ersten Theaterstück. Geprobt wird »Der Firmenhymnenhandel«, das am 9. März im Theater Kampnagel in Hamburg Premiere hat, in einem nahezu leeren Raum. Das Stück handelt von zwei Musikern, gespielt von Stadlober und Strahl-Schäfer, die mit dem Verkauf von Feel-Good-Songs für Belegschaften Geld für ihre künstlerisch ambitionierten Projekte verdienen wollen.
Ebermann hat das Stück paradoxerweise in seinem Urlaub geschrieben. Er drückt die Zigarette in einer großen Schale aus, lächelt verschmitzt und antwortet auf seine ruhige, brummige Art: »Da verschmelzen für mich Arbeit und Spiel.« Zehn Wochen macht er jedes Jahr Urlaub, sitzt am See und schreibt – ohne Abgabedruck, das ist ihm wichtig. Aber angesichts der vielen Verweise auf Managerliteratur, Arbeits- und Berufsratgeber, die er in seinem Stück untergebracht hat, fragt man sich schon, ob die Arbeit an dem Stück wirklich der reine Spaß gewesen sein kann.
Bei den Proben hat man jedenfalls Spaß. Als die Schauspieler für mich und eine Radiojournalistin den ersten Akt auf der kleinen Probebühne des Kampnagel zum Besten geben, kichert die Frau vom Radio unentwegt – obwohl sie mir zuvor eingeschärft hat, ruhig zu bleiben, damit die Aufzeichnung auch was taugt. Das nennt man wahrscheinlich eine gute Work-Life-Balance: Lachen beim Arbeiten.
In der Kreativbranche ist das eben alles noch ein bisschen komplizierter. »Es gibt ja auch brillante Jazzer, die mit Roberto Blanco touren«, sagt Stadlober in seiner Rolle als Blender und Songwriter zu seinem depressiven Komponisten und Kompagnon, der sich noch einen gewissen Idealismus bewahrt hat und mit Skrupeln an die lukrative, aber banale Arbeit des Komponierens geht. Darum geht es im Stück: Was ist, wenn die Ideale einem nicht mehr als eine kalte Heizung im Winter und einen leeren Kühlschrank zu allen Jahreszeiten bescheren?
Kreativarbeit verspricht Selbstverwirklichung, Befriedigung und einen individualisierten Lebensstil. Dass auch der Kreativarbeiter seine Ware an den Mann bringen und als »Sprechfleisch«, wie es Roggan formuliert, hausieren gehen muss, um über die Runden zu kommen, wird anfangs gerne übersehen. »Darauf hatte mich niemand wirklich vorbereitet«, sagt auch Robert Stadlober über seinen Job als Schau­spieler.
Die beiden Musiker im Stück wurden von der Juniorchefin angeheuert, ihr dabei zu helfen, den Betrieb ihres Vaters zu modernisieren. Zu diesem Zweck braucht sie eine Firmenhymne, die die Belegschaft singen soll, um sich zu motivieren und sich mit dem Betrieb zu identifizieren. Als er die Figur des Patriarchen der Firma, gespielt von Rainer Schmitt, konzipierte, dachte Ebermann an den Trigema-Inhaber Wolfgang Grupp. »Der wird ja sogar von Lafontaine gelobt, weil er in Deutschland produziert«, sagt Ebermann amüsiert. Er mag nicht verstehen, dass jemand wie Oskar Lafontaine den Kapitalismus wie ein Kesselflicker kritisiert, während er gleichzeitig einen gewieften Unternehmer bejubelt. Das Durchdeklinieren der linken Widersprüche hat Ebermann offenbar auch den Urlaub versüßt. Im Stück übernehmen das Roggan und Stadlober, die linke Theorien noch aus der Studienzeit kennen. »Leute, die niemals die Sehnsucht hatten, die Welt umzukrempeln, sind langweilig«, findet Ebermann.
Nachdem sich die Schauspieler verabschiedet haben, weil Stadlober noch zum Weinhändler und Roggan zum Französischkurs muss, spricht Ebermann über die Ideologie, die sich in Firmenzentralen, Abteilungen und Filialen breitgemacht hat. Vorher leert er noch schnell die zum Aschenbecher umfunktionierte Müslischale, während die Regieassistentin schon mal den Laptop aufklappt und die Dateien mit den »Firmenhym­nen«-Videos öffnet. Im Stück dienen die Videos den beiden Verkäufern als Arbeitsproben und Referenz, um neue Kunden zu akquirieren. Wenn die Videos im Theater auf großer Leinwand eingespielt werden, dürfte das für einige Lacher beim Publikum sorgen.
Dass die Videos so witzig sind, liegt auch an den Musikern und Schauspielern, die Ebermann für die Zusammenarbeit gewinnen konnte: Schorsch Kamerun, Rocko Schamoni, Robota, Bernadette la Hengst, Ted Geyer und Thomas Wenzel haben dafür gesorgt, dass die Künstler Lieder singen, die das Wort »Fremdscham« neu definieren. Rocko Schamoni macht bei der privaten Vorführung den Anfang, denn wer sonst ist prädestiniert dafür, cheesy Textzeilen mit Leben zu füllen? Begleitet von einem Jazz-Ensemble singt er die Hymne des Bosch-Car-Service. »We do everything / Wir machen alles rund ums Auto / Erfolg gibt es nur durch Leistung und Know-how«, schmachtet er, als wäre es ein Liebeslied. Der Schauspieler und Sänger Gustav Peter Wöhler rockt »Oh happy day« wie ein Pfarrer einer baptistischen Gemeinde in einer Ernst & Young-Version: »Work and play everyday.«
Die Regieassistentin kommt vom Zigarettenholen zurück. Ebermann kann sich wieder eine anstecken. Ironischerweise geht es an diesem Nachmittag hier so zu, wie Chefs das gerne in ihrem Unternehmen hätten: familiär. Eine weitere Hymne darf ich noch hören. Kamerun präsentiert die Kaufland-Hymne in einer Neo-Pop-Version: »An so einem Tag ist alles drin / Mein Chef steht zu mir / Weil ich bin / Wie ich bin / Spaß muss sein / Sonst kommt kein Kunde rein.« Auf dem Weg nach Hause fallen mir all die miesen Jobs ein, die ich schon hatte. Jeder, der schon einmal in einem Supermarkt für fünf Euro die Stunde Regale auffüllen, Kartons zerkleinern und das Lager fegen musste, weiß, wie pervers so ein Song ist.