Warten auf das Ende des syrischen Regimes

Die Einschläge kommen näher

Trotz des Beschusses von Wohnvierteln und der demonstrativen Solidaritätsbekundungen Russlands gerät das syrische Regime immer mehr in Bedrängnis.

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass sich eine erste spontane Demonstration in Damaskus gegen die Diktatur Bashar al-Assads richtete, einen Monat später begann dann das Schießen auf Demonstranten im Süden Syriens, in Dara’a. Ein paar Tausend Tote später – einigermaßen sicher dokumentiert sind mittlerweile 6 000 bis 7 000 Opfer, die tatsächliche Zahl dürfte allerdings erheblich höher liegen – ist das Gerede von der Reformfreudigkeit des syrischen Präsidenten und der angeblichen Stabilität des Ba’ath-Regimes längst verstummt.
Die Artillerie der Regierungsarmee schießt auf Stadtviertel, Autobomben explodieren, militärisch organisierte Oppositionskräfte kämpfen längst im Umland von Damaskus, während sich immer noch friedliche Demonstranten den Heckenschützen des Regimes preisgeben. Die Uno steht wieder einmal handlungsunfähig und peinlich betroffen am Rande, während sich der Konflikt in Syrien Zug um Zug internationalisiert. Selbst nach den vergangenen blutigen Monaten scheinen weder die europäischen Staaten noch die USA auch nur den Schimmer einer Idee zu haben, wie sie auf diesen Konflikt reagieren sollten oder könnten. Die syrische Tragödie ist mit den Geschehnissen der vergangenen Wochen weiter eskaliert, aber dieses Desaster war abzusehen.
Die weitere Verschärfung der Lage im Zentrum des Nahen Ostens wurde mit der Entsendung einer Beobachterdelegation der Arabischen Liga nach Syrien Anfang des Jahres offensichtlich. Das Ziel dieser Mission, eine Art von Waffenstilland zu vermitteln und zu überwachen, um Verhandlungen und »Reformen« einzuleiten, war unerreichbar. Deutlich war damit aber geworden, dass die arabischen Staaten unter Führung der Golfmonarchien Assad nun abgeschrieben hatten. Ihre nächsten Schritte würden offensiver ausfallen.
So wurde die Beobachterdelegation der Arabischen Liga aufgelöst und der Vorschlag einer UN-Blauhelmmission mit arabischer Beteiligung vorgebracht. Dieses Ansinnen lehnte Assad, wie zu erwarten, postwendend ab. Jenseits dieser diplomatischen Schachzüge dürften sich die Golfmonarchien nun auf die klandestine Ausrüstung und Unterstützung der syrischen Opposition konzentrieren, oder vielmehr ihrer islamistischen Fraktionen. Im Syrischen Nationalkongress haben die Muslimbrüder das Sagen. Die in ihrem Ursprung betont säkulare Free Syrian Army als Hauptträger des militärischen Widerstandes wird sich den ideologischen Wünschen ihrer Geldgeber widerwillig fügen müssen. Zu den verwirrenden und desaströsen Erscheinungen des »arabischen Frühlings« gehört es schließlich, dass liberale oder säkulare Kräfte am wenigsten auf Unterstützung aus dem Westen hoffen dürfen.
Für den Schutz Assads und den Erhalt seiner Macht setzt sich gerade ein großer Verbündeter ein. Man weiß dabei nicht recht, ob das plötzlich so dezidierte Bekenntnis Russlands – beziehungsweise des Systems Putin – zu seinem Schützling Assad politischem Kalkül oder vielmehr der Verzweiflung zuzuschreiben ist. Mit Assad verlören die Russen ihren letzten Verbündeten im Nahen Osten, einen sehr eifrigen Waffenkäufer sowie einen teuren und prestigeträchtigen Marinestützpunkt am Mittelmeer. Russland würde mit dem Sturz Assads wieder etwas von seinem Status als Weltmacht verlieren.
Mit dem Veto gegen die sowieso völlig verwässerte Syrien-Resolution im Sicherheitsrat sowie mit demonstrativen Waffenlieferungen hat sich die russische Regierung allerdings in eine Position manövriert, die weder Spielraum eröffnet, noch sich lange halten lassen wird. Auf Russland konzentriert sich nun die Kritik, und es steht alleine da. China hat sich zwar achselzuckend dem Veto angeschlossen, man möchte es sich mit Russland nicht verderben. Allerdings hat das Land mit dem Hinweis, man werde dem Abstimmungsverhalten Russlands folgen, auch deutlich gemacht, dass der Machterhalt Assads keine Herzensangelegenheit ist.
Da wird es den russischen Außenminister Sergej Lawrow nicht wirklich erfreut haben, dass bei seinem ergebnislosen Besuch in Damaskus Assad noch einmal seine jubelnden Massen antreten ließ. Die Russland-Fähnchen schwenkenden Jubelsyrer lassen an die jüngst gehackten Email-Konten aus syrischen Regimekreisen denken, in denen man die peniblen Kostenaufstellungen für die Inszenierung solcher »spontanen Aufmärsche« mittlerweile nachlesen kann. Das Motto für den folgenden Demonstrationsfreitag lautete in Syrien: »Russland tötet unsere Kinder.« Und selbst der Generalsekretär der Uno, Ban Ki-moon, sprach für UN-Verhältnisse recht undiplomatisch davon, dass das Scheitern der Resolution »verheerend« für die Menschen in Syrien sei. Die UN-Menschenrechtsbeauftragte Navi Pillay gab vor der Vollversammlung zu Protokoll, dass in Syrien »wahrscheinlich« Verbrechen gegen die Menschheit begangen worden seien.
Für Assad war die Hilfe Russlands der Anlass, die Niederschlagung des lästigen Aufstandes nun mit einer Großoffensive seiner Armee zu versuchen, nachdem in der Woche zuvor Gruppen der Free Syrian Army bereits in erste Viertel von Damaskus vorgedrungen waren. Die Offensive, von der man nicht recht weiß, ob sie möglicherweise das letzte Aufgebot militärischer Ressourcen durch das Regime darstellt, konzentriert sich auf den Dauerbeschuss des widerständigsten Stadtviertels von Homs. Panzerkolonnen und Truppenkonzentrationen wurden aber auch aus anderen Städten gemeldet.

Auf Straßenkämpfe mochten sich die Einheiten Assads bisher nicht einlassen, und für einen flächendeckenden Einsatz sind ihre Kapazitäten sowieso nicht ausreichend. Vielleicht war die Kalkulation hinter dem Artilleriemassaker in Homs, die Kämpfer der Opposition, die die Zivilbevölkerung schützen wollen, zum freiwilligen Rückzug zu bewegen. Per Live-Stream konnte und kann man zu Hause am Computer die Einschläge von Granaten in Häuser des Viertels Bab al-Amr mitzählen, während das syrische Staatsfernsehen davon spricht, es gebe gar keinen Beschuss von Homs, vielmehr würden die Bewohner Müllhaufen anzünden, um diesen Eindruck zu erwecken.
Und während auf Youtube verzweifelte Appelle von Ärzten in blutbespritzten Kitteln aus improvisierten Lazaretten gepostet wurden, verkündete der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP), man wolle eine »Kontaktgruppe der Freunde eines demokratischen Syriens« gründen und »alles dafür tun«, dass die Syrer nicht allein gelassen würden. Immerhin wurden prompt zwei syrische Geheimdienstler verhaftet und mehrere syrische Diplomaten ausgewiesen, auch wenn die Drangsalierung der Exilopposition nicht gerade ein Aufgabenfeld der syrischen Botschaft war. Ob die Ankündigung des britischen Premierministers David Cameron und des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, über eine verstärkte Hilfe für die syrischen Aufständischen inklusive militärischer Beratung nachzudenken, der Opposition mehr hilft als salbungsvolle Worte aus Berlin, wird sich zeigen.
Der systematische Beschuss von Städten und Wohnvierteln stellt jedenfalls keine wirklich weiterführende Taktik für Assad dar. Erinnert sei an Misrata, jene libysche Stadt, die Muammar al-Gaddafi wochenlang beschießen ließ. So schafft man Symbole. Im Fall von Homs ist jedoch die Überlegung interessant, ob hier nicht bereits eine letzte Rückzugsmöglichkeit für den Fall eines Machtverlusts in Damaskus vorbereitet wird. Denkbar wäre ein Rückzug der Assads in den bergigen Nordwesten Syriens mit den alawitischen Siedlungsgebieten inklusive der Kontrolle über die Küstenregion mit der Stadt Latakia – dort liegt auch der russische Marinestützpunkt. Von Homs mit seiner teilweisen alawitischen Bevölkerung aus könnte der Zugang zum Nordwesten kontrolliert werden.

Jedenfalls fürchtet man in der Region, Syrien könnte in einem Bürgerkrieg zerfallen wie der Libanon von 1975 bis 1990, und die Assads werden wohl als letzten Ausweg auf diese Option setzen. Sie sind nicht die einzigen, im nordlibanesischen Tripolis gab es im Anschluss an Demonstrationen für und gegen Assad bereits Schusswechsel zwischen Bewohnern sunnitischer und alawitischer Stadtviertel, überdies hat die zuletzt so schweigsame al-Qaida mit ihrem Aufruf zum Jihad gegen das syrische Regime wieder einen schönen Propagandacoup landen können. Die vergleichsweise »moderaten« Muslimbrüder Jordaniens haben gleichgezogen, während wohl kaum zufällig aus schiitischen irakischen Regierungskreisen Berichte über Waffenschmuggel und den Umzug von Jihadisten nach Syrien lanciert worden sind. Es sind dieselben sunnitisch-salafitischen Jihadisten, die mit Unterstützung Assads früher von Syrien in den Irak geschleust wurden.
Die sich verändernden Verhältnisse in der Region machen eben Stellungswechsel erforderlich. So hat sich die kurdische PKK dem Iran und Syrien wieder angenähert und sorgt für relative Ruhe in den Kurdengebieten Syriens. Das Kalkül Assads dürfte dabei sein, die Türkei in Schach zu halten, da deren Außenminisiter Ahmet Davutoğlu hin und wieder vollmundig eine Intervention in Syrien fordert, auch wenn er üblicherweise am nächsten Tag nichts mehr davon wissen will. Der Frühling wird vermutlich eine Offensive der türkischen Armee gegen die PKK im Nordirak bringen, über Rückzugsräume für die Rebellen in Syrien wird man sich da in Ankara wenig freuen.
Im Hintergrund steht der nächste, noch größere Konflikt. Mit Assads Niedergang sieht die Islamische Republik Iran gerade ihre Nahost-Achse zerfallen, die Hamas weiß nicht mehr, was sie will, und ist zu Teilen von den Golfmonarchien eingekauft worden, die Hizbollah versucht immer noch verzweifelt, ihre heillos zerstrittene Regierungskoaliation im Libanon zusammenzuhalten, und ist isoliert. Das Regime der Islamischen Republik Iran ist intern handlungsunfähig und völlig zerstritten, die Ökonomie ächzt unter den Sanktionen und dem Währungsverfall, immer nervöser reagiert man dort auf Anzeichen für eine mögliche militärische Konfrontation mit Israel und den USA. Spätestens wenn Assad stürzt, wird noch mehr ins Wanken geraten.