Filme über die arabischen Revolten auf der Berlinale

Araberlinale

Die 62. Berlinale schaut auf die arabischen Revolten und dorthin, wo sonst noch Politik gemacht wird.

Dieses Jahr fällt es der Berlinale leicht, ein politisches Filmfest zu sein. Seit einem Jahr tobt die Arabellion, Filmkulissen kann man da getrost vergessen: Handkamera an, los auf die Asamblea, ab geht’s! Das Ringen um neue politische Ordnungen in Nordafrika und anderswo sorgt für jede Menge kinotaugliche Bilder. Die Berlinale hat hier einen Schwerpunkt gesetzt.
»Words of Witness« (USA 2012, Regie: Mai Is­kan­der) lautet der Titel eines gelungenen Werks, das es vom Tahrir-Platz in die Sektion Panorama geschafft hat: Im Zentrum der Geschichte steht die 22jährige Journalistin Heba Afify. Zu Hause schlägt sie sich mit den Verboten ihrer Eltern herum (Mutter: »Dein Land verdient dieses Risiko, aber nicht dein Job«), auf der Straße mit dem Geheimdienst. Filme wie dieser bieten eine Innenansicht der gegenwärtigen Revolten – zwischen Inflation, Twitter, Arbeitslosigkeit, Facebook und Zukunfts­träumen. Hier brechen auch Generationenkonflikte auf: »Wer soll sich um Alte und Kranke kümmern?« versus »Ich hab keine Lust mehr auf überkommene Traditionen.«
Dass die Auf- und Umbrüche durchaus blutig grundiert werden können, davon zeugt etwa »The Reluctant Revolutionary« (GB/IR 2011, Regie: Sean McAllister), das Porträt des verschuldeten, alltagsklugen Reiseveranstalters Quais in Jemens Hauptstadt Sanaa, der das ganze Schicksal an den Schlappen hat und einen halben Bürgerkrieg vor der Tür.
In der Zwickmühle stecken sie, die Bewohner Jemens. Der Präsident sei nicht so schlecht gewesen, mit ihm habe es Stabilität gegeben, sagt Quais und meint: halbwegs stabile Touristenzahlen. Andererseits: Die Korruption hat auch ganz schöne Blüten getrieben. Alles im Eimer jetzt, sagt Quais. Und jetzt kommen auch noch die »fucking Taliban«. Und die Reaktionäre. Der gute Präsident, Scherge des Imperialismus, der er ist: Am Ende lässt er doch scharf schießen.
Viele Dokumentarfilme reflektieren die Ereignisse in der Region auf ähnliche Weise und mit vielen Zwischentönen. Und zwar mit lauten: Es wird viel geredet, gerufen, telefoniert, gevideo­channelt.
Apropos Facebook: Das Publikum der Berlinale wird seine Erlebnisse aus zweiter Hand wohl in Echtzeit mitteilen. Der neueste Trend: Twittern aus dem Kinosaal – mit dem iPad! Schlecht für die Sicht und »Adieu Kopierschutz!«, möchte man sagen – und kann so elegant zum nächsten Punkt übergehen: Während die ägyptische Art des Filmemachens nicht unbedingt die Kunst revolutioniert, sondern eher Bilder hervorbringt, wie man sie von Youtube kennt – es stehen Menschen vor der Kamera und reden –, wartet im Wettbewerb das ganz große Kino. Im Eröffnungsfilm »Les Adieux à la Reine« (F/SP 2011, Regie: Benoît Jacquot) – zu Deutsch in etwa: Tschö mit Ö, Königin – geht’s zwar auch ums Revoltieren, es revoltieren aber diejenigen, die es schon eine Weile hinter sich haben: Der Film spielt im Jahr 1789 und erzählt die letzten 48 Stunden im Leben der Marie Antoinette, bevor es auf die Guillotine geht. Das Volk, zumindest der finanzkräftige Teil, hat genug Kuchen gegessen, nun will es die ganze Bäckerei.
Die meisten werden wissen, wie das endet: »Ein dramatisches Geschichtsbild mit ironischen Zwischentönen, das auch Parallelen zur Gegenwart zeigt«, verheißt die Ankündigung. Schalten Sie auch nächste Woche ein, wenn es wieder heißt: »Klappe, die nächste.«
395 Filme werden gezeigt – und im Unterschied zu früheren Berlinalen stammen viele Arbeiten von Regisseurinnen. Auch in Ägypten drehen Frauen. Im Panorama erreichen sie gar einen Anteil von 50 Prozent. Mal abgesehen davon, dass Stars und Sternchen selbstvertständlich auch zu Deutschlands wohl wichtigstem Kulturereignis gehören. Praktisch halb Hollywood hat sich zum Frieren in Berlin verabredet: Sogar Angelina Jolie kommt, um ihre außer Konkurrenz gezeigte erste Regiearbeit zu bewerben. »In The Land of Blood and Honey« heißt der Film und erzählt von der großen Liebe – im bosnischen Bürgerkrieg.
Den wahrscheinlich beklopptesten Film des Festivals sollte man auch nicht vergessen: »Iron Sky« (FIN/NL/AUS 2011, Regie: Timo Vuorensola), der mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges beginnt. Die Welt weiß nichts von der Nazi-Polarstation Neuschwabenland – und auch nicht, dass eine Gruppe von Wissenschaftlern mit Raumschiffen auf die Mondrückseite flüchten konnte. Im Jahr 2018 erobern die Nazis mit ihrem Ufo die Erde! Angeblich ist »Iron Sky« ein B-Film.
Randvoll mit politischen Themen sind nicht nur die Filme der Sektionen Wettbewerb, Panorama und Forum, sondern auch die Beiträge des Kinder- und Jugendfilmfests »Generation«. Kinder und Jugendliche werden später die Folgen der heutigen Politik ausbaden müssen, ohne sie verantwortet zu haben.
Ob man Jugendliche – vor wie hinter der Kamera – mit expliziten Sexszenen konfrontieren muss, wie dies der Beitrag »Una Noche« (USA/KU/GB 2012, Regie: Lucy Mulloy) tut, sei mal dahingestellt. Das ist schon hartes Kino: Drei Jugendliche auf Kuba wollen mit einem Floß nach Miami abhauen und durchleben einen Inselkosmos voller Widersprüche, böser Chefs und vor allem durchgeknallter Gringo-Touristen. Die kommen schon mal auf die Idee, einem toten Fisch die Zähne mit der Zange zu ziehen, um ihn dann als Vagina-Ersatz zu benutzen. Ohne Dollars geht wenig. Arme kubanische Revolution, dass sie sich solche Bilder gefallen lassen muss!
Im Erwachsenenkino geht’s um das Schicksal von Flüchtlingen, im Kinderfilmfest um Kinderflüchtlinge. Tony Gatlif macht daraus den Film »Indignados« (F 2011) und beginnt seine Geschichte gleich mit einer schrecklichen Einstellung: Am Strand liegen Dutzende Schuhe von afrikanischen Flüchtlingen, die mit ihren Booten untergegangen sind. Die junge Betty taucht auf, sie hat die Reise überlebt und treibt nun wie Strandgut durch Europa. Irgendwann landet sie bei der »Occupy«-Bewegung, geht auf Demonstrationen, wird eingeladen und findet sich in einer Gesellschaft im Aufruhr wieder. Zwischendrin erhält der Zuschauer Textbotschaften aus der Feder von Stéphane Hessel, dessen Bestseller »Empört Euch!« in jeder guten und schlechten Buchhandlung neben der Kasse liegt. Gatlifs filmisches Konzept funktioniert nicht richtig und könnte seiner Botschaft eher schaden. Wie so oft, wenn politische Themen behandelt werden, misslingt die künstlerische Stilisierung.
Werner Herzog ist es indes sehr viel besser gelungen, von den Randbereichen der Zivilisation zu berichten. Der Regisseur hat sich in US-amerikanischen Gefängnissen angemeldet und die Kamera mitgenommen. Vor seiner Linse geben Häftlinge, die im Todestrakt auf ihre Hinrichtung warten, über ihr Leben Auskunft. »Death Row« betitelt er diese vielstimmige Weltbeschreibung. Die einen behaupten, unschuldig zu sein, die anderen geben mehr Morde zu, als die Anklage jemals zusammengetragen hat.
Menschen vor der Kamera, die reden – auch hier. Was sie zu erzählen haben, wäre bildtauglich. Ob man es unbedingt sehen möchte, sei dahingestellt.

Berliner Filmfestspiele. 9. bis 19. Februar 2012. Infos: www.berlinale.de