Über den Bundeswehreinsatz

Petersberg–Hindukusch und zurück

Die Afghanistan-Konferenz findet nicht zufällig in Deutschland statt. Die Bundeswehr ist im Laufe der vergangenen zehn Jahre zu einem immer wichtigeren Pro­tagonisten des Krieges in Afghanistan ­geworden.

Was den Atomkraftgegnern der Castor-Transport, das ist der Friedensbewegung die zweite Petersberger Afghanistan-Konferenz am kommenden Montag. Nachdem das Außenministerium sich nicht auf die Forderung des »Protestbündnisses Petersberg II« einlassen mochte, die Konferenz »wegen Täuschung der Öffentlichkeit sofort abzusagen«, rufen die Kriegsgegner nun zur Demonstration gegen den Gipfel auf. »Der afghanischen Bevölkerung, der blühende Landschaften versprochen wurden, hat der Krieg unsägliches Leid gebracht«, sagt etwa Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung. Die Friedensbewegung fordert einen unverzüglichen Abzug aller internationalen Truppen.
Offiziell soll es 2014 soweit sein, das genaue Datum ist das zentrale Thema der Konferenz in Bonn. Deutschland ist nicht nur Gastgeber der Tagung, sondern auch Entsender des drittgrößten Isaf-Truppenkontingents. Über 109 000 deutsche Soldaten waren bislang in Afghanistan, wobei die Bundeswehrstatistik mehrfache Einsätze von dieser Zahl nicht abzieht. 4998 sind derzeit im Land, hinzu kommen 200 in »Police Mentor Teams« für die Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte und knapp 100 Soldaten einer Awacs-Aufklärungseinheit. Die Bundeswehr hat die Befehlsgewalt im gesamten Norden des Landes.
Ursprünglich war das deutsche Militär zunächst mit zwei sogenannten »Wiederaufbauteams« zur »zivil-militärischen Zusammenarbeit« (Cimic) nach Afghanistan gekommen. Diese Einheiten beteiligen sich bis heute am Aufbau der Infrastruktur – »aber nur, wenn es ein militärisches Interesse gibt«, so ein Bundeswehrsprecher. Das könne beispielsweise eine Brücke sein, von der die Truppen und die Bevölkerung profitieren, oder ein Brunnen, um die Akzeptanz bei der Bevölkerung zu verbessern. Die Cimic-Projekte machen aber nur 0,2 Prozent der deutschen Entwicklungshilfe in Afghanistan aus. Ihr größter Teil wird von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und von NGO geleistet, die wegen der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr immer wieder ins Fadenkreuz der Kämpfer der Taliban und anderer Jihadisten geraten. Und weil diese immer größere Teile des Landes kontrollieren, nehmen die Kampfeinsätze der Bundeswehr seit 2008 zu.

»Wir haben unsere strategische Ausrichtung geändert«, lässt die Bundeswehr verlauten. Zuerst bildete sie »Quick Reaction Forces«, die Operationen mit Namen wie »Oqab« (Adler) oder »Halmazag« (Blitz) durchführten. 2010 änderte sich die Strategie: Beim »Mentoring« begleiten nun kleinere Gruppen deutscher Soldaten die afghanischen Einheiten auf Einsätzen in umkämpfte Gebiete und kämpfen mit, wenn nötig. Beim »Partnering« sind die Deutschen stärker an den Kampfhandlungen beteiligt und bleiben anschließend mit Checkpoints und Beobachtungsposten in dem Gebiet, bis die Checkpoints an die afghanische Polizei übergeben werden. »Boots-on-the-Ground-Einsätze« nennt die Bundeswehr diese Bodentruppeneinsätze, bei denen stets »die Afghanen die Hauptlast tragen«.
Bei ihren Kampfeinsätzen setzt die Bundeswehr auch Schützenpanzer und schwere Infanterie ein. 53 deutsche Soldaten sind bislang in Afghanistan getötet worden. Zuletzt wurde am Morgen des 23. November eine deutsche Patrouille am Ende eines Einsatzes in der Provinz Baghlan mit einem improvisierten Sprengsatz, einer selbstgebauten Bombe, »angesprengt«, so meldet es das Isaf-Kommando. Zwei Soldaten wurden verwundet.
Die Zahl der Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern stieg seit 2008 nicht nur im deutschen Sektor, sondern in ganz Afghanistan rapide an: Detonierten damals noch durchschnittlich 150 solcher Sprengsätze im Monat, dürfte sich diese Zahl für 2011 am Jahresende auf über 400 erhöht haben. Diese Anschläge seien, so behauptet die Isaf, für über die Hälfte aller zivilen Opfer im Land verantwortlich. Davon gibt es derzeit durchschnittlich etwa 400 im Monat.

17 Milliarden Euro hat der Einsatz Deutschland nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bisher gekostet. Das Image der Deutschen in Afghanistan ist trotzdem miserabel. Galt die Bundeswehr bei vielen Afghanen einst vor allem als Helfer, ist nun gerade im deutschen Sektor die Zustimmung zu bewaffneten Angriffen auf die Isaf-Truppen bei der afghanischen Bevölkerung am höchsten. Dazu haben Vorfälle wie das Bombardement eines Tanklasters in der Nähe von Kunduz 2009 oder die blutigen Zusammenstöße nach einer Trauerfeier im Ort Talokan im Mai dieses Jahres beigetragen. Gab es 2007 im deutschen Sektor 15 sogenannte »Sicherheitsvorfälle«, also Schießereien, an denen die Bundeswehr beteiligt war, waren es 2010 schon 141. Dass sich der Einsatz der internationalen Truppen in Afghanistan seinem Ende nähern soll, darüber sind sich alle Beteligten längst einig, über die genauen Abzugspläne wird jedoch immer wieder aufs Neue diskutiert. Der deutsche Sonderbeauftragte Michael Steiner, der die Petersberg-II-Konferenz vorbereitet hat, betonte in einem Zeitungsartikel: »Ein abruptes Ende des internationalen Engagements wäre ein extremer Schock für das Land.« Bei der Bundeswehr sind die Abzugspläne sowieso noch nicht weit gediehen. »Es werden auch nach 2014 noch Bundeswehrangehörige im Land bleiben«, sagt ein Bundeswehrsprecher. Konkret werde bislang nur eine Verringerung der Truppenstärke um rund 200 auf 4 900 bis Januar geplant. Ende 2012 sollen es noch 4 400 sein. »Danach ist alles offen.«
Antimilitarist Jürgen Wagner glaubt jedenfalls nicht an das Abzugsdatum 2014: »Es ist ausgeschlossen, dass Karzai bis dahin Armee und Polizei stark genug gemacht hat.« Und wenn es der Nato nicht gelinge, dauerhaft eine prowestliche Regierung zu etablieren, könne man sich »weitere Kriegseinsätze anderswo abschminken«.