Die Ausstellung »Tracing Mobility« in Berlin

Meine Spuren im Sand

Die Ausstellung »Tracing Mobility« im Haus der Kulturen der Welt in Berlin beschäftigt sich mit Selbst- und Fremdverortung im digitalen Zeitalter.

Die Art, in der wir unsere Arme und Hände bewegen, hat sich verändert. Man kann das an den Mitfahrern in der U-Bahn beobachten, energisch ziehen sie an den Ärmeln ihrer Pullover und Jacken, so lange, bis sie endlich über die Handrücken reichen, um anschließend voller Hingabe die Touchscreens der Telefone und Tablet-PCs polieren zu können. Oder auf Konzerten, wenn das Publikum im Saal die Arme in die Höhe reißt. Manchmal ist es eine Geste der Begeisterung, meistens ist sie jedoch einfach darin begründet, dass das Geschehen auf der Bühne gefilmt wird. Die digitalen Aufnahmen, die hier entstehen, erzeugen ein Gefühl von Dabeisein. Und das nicht nur bei denjenigen, die gerade nicht an diesem Ort sind, sondern auch beim Konzertbesucher, sozusagen als Möglichkeit zur Selbstvergewisserung. Die verwackelte Ästhetik einer Handkamera ist seit einigen Jahren zum besten Beweis für Authentizität geworden. Die Zeiten, in denen man entweder online in einer virtuellen Welt oder offline im realen Leben unterwegs war, sind vorbei.
Ausgehend von der Beobachtung, dass sich diese beiden Welten immer stärker überlagern, beschäftigt sich die Ausstellung »Tracing Mobility: Cartography and Migration in Networked Space« mit der Frage, wie mobile Medien unsere Wahrnehmung, unser Gefühl für Raum und Zeit und unsere Einschätzung von Nähe und Distanz verändern. Viele der 16 Künstler, die ihre Arbeiten im Haus der Kulturen der Welt in Berlin präsentieren, beginnen bei ihrer Suche nach der veränderten Wahrnehmung von Wirklichkeit im digitalen Zeitalter mit der Beschreibung von Alltagsroutinen. Sophia New und Daniel Belasco Rogers von der Künstlergruppe »plan b« dokumentieren seit 2007 Tag für Tag jeden Schritt, den sie außerhalb ihrer Wohnung in Berlin machen. Ihr lückenloses Bewegungsprofil wird mittels GPS erstellt. In der Ausstellung zeichnen die beiden Künstler die elektronischen Spuren, die sie auf ihren Wegen durch die Stadt hinterlassen haben, mit Bleistift nach. Für die Besucher ergibt sich nicht nur in geographischer Hinsicht ein Einblick in das Leben von plan b. Sehr dicke, sehr dunkle Striche markieren die Strecken, die von den beiden besonders häufig zurückgelegt wurden, Knotenpunkte lassen Rückschlüsse auf die räumliche Lage ihrer Wohnung und der Orte zu, an denen sie arbeiten. Eine dünne, blassgraue Linie, die auf der Karte kaum zu erkennen ist, führt an die Peripherie der Stadt. Es sieht beinahe so aus, als hätten es die beiden in den vergangenen Jahren nur einmal geschafft, einen Ausflug zu machen. Man hofft für sie, dass die blasse Linie sie an diesem Tag an einen See geführt hat. Plan b repräsentieren in der Ausstellung nicht nur die vollständige Überwachung ihrer Bewegungen im öffentlichen Raum, sondern auch ein Archiv sämtlicher SMS, die sich die beiden Künstler in den vergangenen fünf Jahren geschickt haben. Ihre Korrespondenz wird während der Ausstellung mit einem uralten Nadeldrucker auf eine stetig wachsende Papierrolle gedruckt. Sophia New sagt, dass sie die deutsche Bezeichnung »Endlospapier« sehr treffend findet. Die Geräusche, die der Drucker produziert, erinnern an die Nachrichtenticker, die vor einer gefühlten Ewigkeit noch in den Redaktionen standen. Die SMS, die sich die beiden am häufigsten zugeschickt haben, lautet: »Bin auf dem Weg nach Hause, soll ich von unterwegs noch was mitbringen?«
Der britische Filmemacher Frank Abbott und der Maler Duncan Higgins sind mit der Installation »Muscle« (2011) vertreten. Der Robotic Arm Video Projektor, der die Videobotschaften zeigt, die sich die beiden in einem Zeitraum von sieben Jahren mit ihren Mobiltelefonen gesendet haben, reproduziert die Bewegungen eines Fotografen. Mal zeigt er Aufnahmen, die aus Hüfthöhe geschossen wurden, mal die Frontalperspektive, und für die Vogelperspektive schwenkt er nach oben. Abbott sagt, er wolle nicht nur darauf aufmerksam machen, wie die Nutzung mobiler Medien die Choreographie unserer Bewegungsabläufe beeinflusst, sondern auch zeigen, wie sie unsere Wahrnehmung verändert hat. Unsere Aufmerksamkeit beziehe immer schon den Adressaten ein, mit dem wir unsere Beobachtungen und Erinnerungen teilen wollen. Ob die Freundin mit den gesendeten Partyfotos um zwei Uhr morgens so viel anfangen kann wie man selbst, ist eine andere Frage.
In ihrer Installation »Road Trip« (2004) beschäftigen sich die Künstler Janet Cardiff und George Bures Miller damit, wie es um das Dabeisein bestellt ist, wenn man nie dabei war. Mit einem klassischen Diaprojektor werden Fotos gezeigt, die Millers Großvater während einer Reise von Calgary nach New York aufgenommen hat. Da Miller seinen Großvater nie kennengelernt hat, müssen er und Cardiff nicht nur über den Anlass dieser Reise spekulieren, sondern auch versuchen, anhand der Bilder die Erfahrungen zu rekonstruieren, die der Großvater auf dieser Reise gemacht hat. Ein Lautsprecher überträgt die Gespräche der Künstler, denen es schon schwerfällt, die Landschaften, die der Großvater abgelichtet hat, zu lokalisieren. Alle Bilder haben entweder einen Stich ins Bläuliche oder Rötliche, man kennt das aus alten Fotoalben. Dieser leicht surreal anmutende Farbeffekt führt allerdings auch dazu, dass das Unterfangen, hier mit detektivischem Spürsinn zu operieren, eine gewisse Ratlosigkeit hervorruft.
Der Versuch, sich Orientierung zu verschaffen, indem man Wahrnehmungen und Spuren archiviert, um zu einem späteren Zeitpunkt daraus eine Möglichkeit zur Selbstverortung zu gewinnen, scheint zu misslingen. Der britische Künstler Simon Faithfull findet in seinen Filmen »Going Nowhere« (1995) und »Going Nowhere 2« (2011) zumindest eine wunderbare Bildsprache für die Veränderungen, die unser Raum- und Zeitgefühl und unsere Wahrnehmung bereits erfahren haben. Die ältere Arbeit zeigt eine verschneite Landschaft, in der ein Mann sich langsam aus dem Sichtfeld der Kamera in Richtung Horizont bewegt. Man sieht deutlich die Spuren im Schnee, die seine Schritte hinterlassen, hört das Rauschen einer Straße und das Bellen eines Hundes. Der zweite Film zeigt ebenfalls einen Mann, der sich entfernt. Allerdings läuft er auf dem Grund eines Meeres, seine Schritte wirbeln Sand auf, kleine glitzernde Partikel von Algen steigen flirrend nach oben. Man sieht ein paar Luftblasen, dann ist er verschwunden. Virtueller und virtuoser kann man die Entgrenzung von Räumlichkeit kaum zeigen.

Tracing Mobility. Cartography and Migration in Networked Space. Haus der Kulturen der Welt, Berlin. Bis 12. Dezember