Die Debatte um die »Extremismusklausel« und den Rechtsterroris¬mus

Lieber Tote als Rote

Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen zwei Jahren verstärkt dem Kampf gegen den »Linksextremismus« gewidmet. Mit der Einführung der sogenannten Extremismusklausel wurde vor allem Initiativen, die sich gegen Nazis ­engagieren, die Arbeit erschwert. Ob sich daran nach dem Bekanntwerden der ­Zwickauer Zelle etwas ändert, ist fraglich.

Tausende Menschen versammelten sich am 30. November 2002 in München, um sich einer Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung in den Weg zu stellen. Der Anmelder des Neo­naziaufmarsches war Martin Wiese, der kurze Zeit später wegen eines geplanten Sprengstoffanschlags während der Grundsteinlegung für das neue Jüdische Kulturzentrum zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Unter den Gegendemons­tranten befand sich auch Martin Löwenberg, der in einer Rede deutliche Worte fand: »Es ist legitim, ja legal, sich den Totengräbern der Demokratie entgegenzustellen.«
Allein dieser Satz reichte dem Amtsgericht München damals, um Löwenberg wegen der »öffent­lichen Aufforderung zur Straftat« zu einer Geldstrafe zu verurteilen. In der Begründung des Urteils findet sich folgender bemerkenswerter Satz: »Der Angeklagte hatte für sein Verhalten weder einen rechtfertigenden Grund noch einen entschuldigenden Anlass.« Martin Löwenberg war Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus, KZ-Häftling und ist ein Überlebender der Shoah.
Knapp zehn Jahre später hat sich nun herausgestellt, dass zum damaligen Zeitpunkt eine Gruppe mit der Eigenbezeichnung »Nationalsozialistischer Untergrund« bereits vier Menschen aus rassistischen Motiven ermordet hatte. Bis zu ihrem öffentlichen Bekanntwerden starben zehn Menschen, fünf davon in Bayern.
Im März präsentierte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) den Verfassungsschutzbericht. Der Schwerpunkt lag auf dem Themenkomplex »Linksextremismus«, der auf zwölf von 15 Seiten des Redemanuskripts behandelt wurde. Mit keinem Wort wurde hingegen die »Kameradschaft München«, eine der aktivsten neonazistischen Gruppierungen Bayerns, erwähnt. »Aus Platzgründen«, wie Burkhard Körner, Präsident des bayerischen Landesamts für Verfassungschutz, erklärte.

Die Feindbilder im Freistaat sind eindeutig. Im August wurde die Internetplattform »Bayern gegen Linksextremismus« vorgestellt, die sich »an alle wendet, die sich pädagogisch, politisch und persönlich mit dem Linksextremismus auseinandersetzen wollen« (Jungle World 36/11). Erklärtes Ziel der Kampagne ist die Präventionsarbeit gegen »Linksextremismus«. Eltern wird geraten, auf »signifikante Veränderungen im Verhalten, bei Aussagen, Umgang und Kleidung Ihrer Kinder« zu achten. Einer dieser signifikanten Codes ist auf der Seite abgebildet: ein Button, auf dem unter dem Schriftzug »Gegen Nazis« eine Faust ein Hakenkreuz zerschlägt.
Nach dem Bekanntwerden der Mordserie findet nun selbst der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, in der Rheinischen Post kritische Worte: »Das waren politische Entscheidungen, mehr Polizeikräfte zur Bekämpfung des Linksextremismus einzusetzen. Das hat mit dazu beigetragen, dass wir den Rechtsextremismus nicht systematisch bekämpft haben.«
Vor wenigen Tagen brachten auch zahlreiche Initiativen als Unterzeichner des Appells »Zehn Interventionen gegen Rechts« ihr Entsetzen zum Ausdruck: »Auch wenn wir seit Jahren vor der Gewalt von Neonazis und rassistischen Gelegenheitstätern warnen, sind wir geschockt von dem Ausmaß an Ignoranz und Verharmlosung staatlicher Stellen angesichts der rassistischen Mordserie. Wir verlangen jetzt eine Zäsur im Umgang mit der extremen Rechten.«

Seit Jahren weisen Organisationen wie die Amadeu-Antonio-Stiftung darauf hin, dass in Deutschland täglich zwei bis drei rechte Gewalttaten begangen werden. Dabei handele es sich eben nicht um die so oft zu Taten von »rivalisierenden Jugendbanden« oder »Einzeltätern« bagatellisierten Fälle. Es werde verharmlost, dass rechte Täter denjenigen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit absprechen, die ohnehin schon von der deutschen Gesellschaft diskriminiert werden. Die Amadeu-Antonio-Stiftung verzeichnete 182 Todesopfer rechter Gewalt in Deutschland nach der Wiedervereinigung. Doch anstatt dieser Gefahr angemessen zu begegnen, wurde der Schwerpunkt der politischen Arbeit ohne stichhaltige Begründung, wie in Bayern, auf die Bekämpfung von »Linksextremisten« und »kriminellen jugendlichen Ausländern« verlegt. Ausführlich belegen die Unterzeichner, dass das Engagement gegen Rechts seit Jahren kaum Anerkennung oder Unterstützung erhält. Stattdessen nehme die Diffamierung und Kriminalisierung von antifaschistischen Gruppen, Gewerkschaftern, Bündnissen gegen Rechts sowie engagierten Politikern zu. Man kann den Eindruck gewinnen, dass alles, was über Menschenketten und Kranzniederlegungen hinausgeht, unter Generalverdacht gestellt wird.
In dem Appell wird auch die »historisch falsche, wissenschaftlich unsinnige und politisch gefähr­liche Extremismustheorie«, die Rechtsextremismus und »Linksextremismus« und in letzter Instanz damit auch Faschismus und Antifaschismus gleichsetze, scharf kritisiert.
Der vorläufige Höhepunkt bei der Anwendung dieser »Extremismustheorie« war die von der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Kristina Schröder (CDU) eingeführte »Extremismusklausel«, mittels derer staatlich subventionierten Initiativen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, ein Bekenntnis zur Verfassung abverlangt werden kann. Zusätzlich wurde die Vergabe von Fördergeldern von der Bereitschaft der Organisatoren der Projekte abhängig gemacht, ihre Kooperationspartner auf »extremistische« Anschauungen zu überprüfen.
Angesichts des überraschten Ringens nach Antworten seitens einiger staatlicher Behörden nach dem Bekanntwerden der Mordserie kann davon ausgegangen werden, dass sie über das Ausmaß der rechten Gefahr nicht ansatzweise unterrichtet waren. Ein Grund dafür könnte sein, dass zivilgesellschaftliche Expertisen über Jahrzehnte hinweg ignoriert oder gar kriminalisiert wurden.
Ein prominentes Beispiel ist die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (Aida). Seit 1990 dokumentiert sie die Aktivitäten der extremen Rechten und informiert die Presse und Öffentlichkeit. Im April 2009 wurde Aida überraschend aus dem bestehenden Beratungsnetzwerk »Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus« ausgeschlossen, im selben Jahr im Verfassungsschutzbericht als »linksextrem« eingestuft. In der Begründung hieß es, der Verein gebe lediglich vor, »politische Bildungsarbeit zu leisten«, und habe Kontakt zu gewaltbereiten Extremisten. Der Verfassungsschutz musste es wissen, hatte er doch in der Vergangenheit für seine Arbeit selbst offiziell Publikationen des Vereins bestellt.

Mittlerweile nehmen aber auch die öffentlichen Zweifel an der Verlässlichkeit der Informationen des Verfassungsschutzes und der Geheimdienste zu. Wegen eines gewissen Misstrauens gegenüber staatlichen Institutionen wenden sich die Medien derzeit an jene Gruppen, deren Warnungen lange ignoriert oder die gar selbst unter Extremismusverdacht gestellt wurden. »Wir bekommen mit einem Mal ein unverhofftes mediales Echo«, sagt Sophia Stern, Pressesprecherin der antifaschistischen Gruppe 5 aus Marburg, bei der neben zahlreichen Zeitungen selbst ein Redakteur der Tagesschau nach kompetenten Ansprechpartnern suchte. »Es ist allerdings bezeichnend, dass wir erst jetzt Wertschätzung für die jahrelange Arbeit gegen Rechts erhalten, wo rechte Morde, die seit Jahren nur von Links thematisiert werden, im öffentlichen Fokus stehen.«
Effektive Arbeit gegen Rechts kann nämlich ganz anders aussehen: Als in diesem Jahr in der Kreisverwaltung Offenbach ein Neonazi von Ak­tivisten enttarnt wurde, der in seiner Funktion unter anderem über die Daten von Menschen mit Migrationshintergrund verfügen konnte, mussten sich die Verantwortlichen die unangenehme Frage gefallen lassen, wie ein aktiver Nazi in einer staatlichen Behörde nicht auffallen konnte. Ebenso verhielt es sich im jüngsten Fall der jahrelangen Mitgliedschaft eines Neonazis aus dem Umfeld des »Freien Widerstands Kassel« in der Kasseler CDU.
Die Tatsache, dass rassistische Diskurse aus der Mitte der Gesellschaft kommen, scheint für die Bundesregierung bei ihrer Analyse bisher keine Rolle gespielt zu haben. Dass das Denken der Täter in Deutschland aber eher die Regel als die Ausnahme ist, zeigt sich schon allein an der verharmlosenden und rassistischen Berichterstattung über »Dönermorde«. Ganz zu schweigen davon, dass ein Drittel der Deutschen ihr Land in einem »gefährlichen Maße überfremdet« sehen, wie eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung im vorigen Jahr belegte.
Ehemalige und derzeitige Protagonisten aus der CDU und CSU bilden da keine Ausnahme. Der damalige CDU-Generalsekretär Bruno Heck vertrat 1983 die Ansicht, die Rebellion von 1968 zu bewältigen, sei wichtiger, »als ein weiteres Mal Hitler zu überwinden«. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) warnte vor einer »durchmischten und durchrassten Gesellschaft«. Der derzeitige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) rief im März dazu auf, die »Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme bis zur letzten Patrone« zu bekämpfen. Dass es immer noch eine staatliche Definitionssache sein soll, wer den »legitimen Kampf« gegen extrem rechtes Denken führen darf, ist angesichts dessen absurd.