Die faschistische Gesinnung des Terroristen »Carlos«

Kaltblütig und gut besoldet

Im Prozess gegen Illich Ramírez Sánchez, den Terroristen »Carlos«, stellt dieser sich gerne als antikolonialer Revolutionär dar. Doch er war ein faschistischer Söldner.

Als »Berufsrevolutionär« bezeichnet sich der untersetzte Mann mit dem weißen Vollbart gegenüber seinen Richtern. »Ich bin ein Gefühlsmensch, aber im Kampf bin ich unglaublich kaltblütig«, so der einst auf Fahndungsplakaten als »Staatsfeind Nummer eins« Gesuchte weiter. Am Montag vergangener Woche begann in Paris der Prozess gegen Illich Ramírez Sánchez, genannt »Carlos«, der in den frühen achtziger Jahren in Frankreich eine Serie von Attentaten auf meist zivile Ziele verübt hatte. Etwa 1983 auf dem Bahnhof von Marseille, um inhaftierte Komplizen freizupressen.
Statt zu versuchen, seine Verantwortung zu leugnen oder herunterzuspielen, ging der 62jährige Terrorist im Zwangsruhestand an den Tagen vor Prozessbeginn in die Offensive. Im Interview mit der venezolanischen Tageszeitung El Nacional antwortete er auf die Frage, wieviele Unschuldige bei seinen Taten zu Tode gekommen seien: »Ich habe nachgerechnet, und man kommt auf keine zehn Prozent.« »Unter den 1 500 bis 2 000 Toten« – für die er nebenbei die Verantwortung übernimmt – seien »nicht mehr als 200 unschuldige Zivilisten« gewesen, behauptete er. Bei Prozessbeginn bezeichnete er diese Opfer als »Kollateral­schäden«.

Kaltblütigkeit lässt sich ihm tatsächlich nachsagen. Ein »Revolutionär« hingegen war er nicht. Der gebürtige Venezolaner war zeitlebens ein Söldner. Als solcher stand er seit den frühen siebziger Jahren im Dienst mehrerer arabischer Diktaturen, die sich als antikoloniale Befreier darstellten, jedoch längst brutale Herrschaftsstrukturen durchgesetzt hatten, insbesondere in Syrien und im Irak. Im Interesse dieser Regime verübte Carlos Anschläge, etwa auf die Opec-Konferenz 1975 in Wien, um mit seinen Auftraggebern verfeindete arabische Mächte zu treffen. Trotz dieser offensichtlichen Komplizenschaft mit autoritären Diktaturen nannte sich die Untergrundorganisation »Gruppe internationaler Revolutionäre«. Politisch interessant sind jedoch seine weltanschaulichen Äußerungen seit seiner Inhaftierung 1994. Seinen ersten Prozess wegen anderer terroristischer Straftaten hatte Carlos im Dezember 1997 in Paris, damals wurde er bereits zu lebenslänglicher Haft verurteilt. In seinen ersten Einlassungen vor den Richtern behauptet er damals, dass der zur selben Zeit stattfindende Prozess gegen den Nazi-Kollaborateur Maurice Papon in Bordeaux »auf Verlangen der Zionisten« initiiert worden sei. Desweiteren lobte er den »Mut der nationalen Rechten«.

Nun geht es mit dem Querfrontspiel weiter. In einem von seiner Zelle aus geführten Interview mit der Pariser Tageszeitung Libération vom 19. Oktober antwortete Carlos auf die Frage, wen er unterstützen würde, falls er in Frankreich politisch aktiv wäre, er würde bei den Wahlen von 2012 für linke Parteien stimmen, »weil Jean-Marie Le Pen nicht antritt«. Ansonsten hätte er wohl für diesen und seine Partei Front National gestimmt. Zum Prozessauftakt am Montag vergangener Woche erschien unterdessen der durch seine antisemitischen Äußerungen prominent gewordene, schwarze französische Theatermacher Dieudonné M’bala M’bala, bekannt als »Dieudonné«. Er sagte, er würdige den Kampf des »Revolutionärs«, auch wenn er »den gewaltförmigen Beitrag Carlos’ dazu persönlich ablehnt«. Für eine Veranstaltung der 2009 von Dieudonné und Alain Soral zur Europaparlamentswahl aufgestellten »Antizionistischen Liste« hatte auch Carlos seinen Beitrag geliefert. Auf einem Video, das aus dem Gefängnis geschmuggelt wurde, sprach er den Anwesenden Mut zu. Die Liste, die erfolglos blieb, setzte sich aus Absplitterungen der extremen Rechten zusammen, die sich vom Front National getrennt hatten, weil er ihnen zu konservativ und zu wenig rebellisch auftrat.
Der Kampf um die Entkolonialisierung in den gerade erst unabhängig gewordenen Staaten um die Mitte des 20. Jahrhunderts war im Kern berechtigt. Doch die damals erstarkten Nationalbewegungen zogen an ihren Rändern offenkundig auch Personen mit einer faschistischen Ideologie an. Carlos zählte dazu.