Streit über eine Polizeirazzia in Jena

Der Sachse liebt das Reisen sehr

Nach der Razzia sächsischer Polizisten bei einem Pfarrer in Jena debattieren die Landtage von Sachsen und Thüringen über das Vorgehen der Behörden.

»Der Sachse is der Welt bekannt als braver Erdenbircher, und fährt er ringsum durch es Land, dann macht er geenen Ärcher. Dann braucht er seine Ruhe und ausgelatschte Schuhe.« Das ist die Selbsteinschätzung in Sachsens heimlicher Landeshymne »Sing, mei Sachse, sing«.
Die Hymne wird wohl weiterhin mit Inbrunst gesungen werden, auch wenn seit dem 10. August textlich einige Veränderungen notwendig sein dürften. Zumindest in Thüringen wird inzwischen bezweifelt, dass der Sachse wirklich ein »braver Erdenbirger« ist, der »geenen Ärcher« macht, wenn er durch das Land reist. Zumal er nicht mit ausgelatschten Schuhen, sondern in Polizeistiefeln in Jena anrückte. Die sächsische Staatsregierung hatte ihre Polizei in das Nachbarbundesland entsandt, um nach Beweisen für den Tatbestand des »aufwieglerischen Landfriedensbruchs« bei dem Jugendpfarrer Lothar König zu suchen (Jungle World 33/11). Kurz zuvor war bekannt geworden, dass gegen König auch wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ermittelt wurde. Ihm wurde vorgeworfen, zusammen mit 22 weiteren Personen eine »Antifa-Sportgruppe« betrieben zu haben, die gezielt Anschläge auf Nazis in Dresden verübt haben soll.

Der sächsische Verfolgungswahn hat eine Vorgeschichte, die offiziell am 19. Februar beginnt. An diesem Tag verhinderten mehr als 12 000 Menschen in Dresden einen geschichtsrevisionistischen Aufmarsch von Neonazis. Die Polizei war aggressiv im Einsatz und setzte Wasserwerfer und Knüppel ein, es kam zu Ausschreitungen. Wie schon in den Jahren zuvor war Lothar König in seinem blauen Bus, der als Lautsprecherwagen diente, mitten im Geschehen. König setzte damit eine Tradition fort. Bereits Anfang der neunziger Jahre, als im Thüringer im Landtag die Gefahr durch Neonazis noch hartnäckig geleugnet wurde, engagierte er sich gegen Neonazis. Der blaue VW-Bus wurde bei der Razzia ebenso beschlagnahmt wie diverse CDs und eine St.-Pauli-Fahne. Der Bus gilt als Tatwerkzeug. Glaubt man den Beamten der damals eingesetzten Beweissicherungs- und Fahndungseinheit (BFE), dann soll aus Königs Lautsprecheranlage die Aufforderung gerufen worden sein: »Deckt die Bullen mit Steinen ein!«
Die Bundesrepublik ist ein föderaler Staat, nur in Ausnahmefällen darf die Polizei eines Bundeslandes auf dem Hoheitsgebiet eines anderen tätig werden. Natürlich gibt es Regeln für diese Ausnahmefälle, dazu gehört, dass man sich mit den Behörden des betroffenen Landes »ins Benehmen« zu setzen hat. »Wir sind jetzt da. Wir führen eine Maßnahme durch«, wurde der Polizei in Jena kurz vor Beginn der Razzia telefonisch mitgeteilt. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Gera war Adressat eines entsprechenden Faxes. Es erreichte sie allerdings erst, als über den Vorgang bereits in den Medien berichtet wurde.

Es bedurfte in der vorigen Woche einer Sondersitzung des thüringischen Justizausschusses, um an diese Informationen zu gelangen. Für diese Sitzung war Vertraulichkeit beschlossen worden, eine Maßnahme, die der Geschäftsordnung zufolge zulässig ist, wenn »dies zum Schutz der Grundrechte oder wegen sonstiger Geheimhaltungsbestimmungen geboten ist«. Umstritten ist zwischen den sächsischen und thüringischen Behörden, welche Informationen vor der Razzia in Jena vorlagen. Martina Renner, Innenpolitikerin der Linkspartei, kritisierte die Vertraulichkeit der Sitzung: »Das hat dem öffentlichen Interesse nicht gedient.« Bei der Entscheidung für eine vertrauliche Sondersitzung könnte es auch darum gegangen sein, dass keinerlei Informationen über ein mögliches Fehlverhalten nach außen dringen. So forderte der sächsische CDU-Innenpolitiker Volker Bandmann prompt ein Verfahren, als am 23. August während einer Sondersitzung des sächsischen Verfassungs- und Rechtsausschusses Einzelheiten aus einer gleichzeitig stattfindenden Sitzung des thüringischen Innenausschusses benannt wurden.
Er »bettele ja geradezu nach einem Unter­suchungsausschuss«, kommentierte Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der Linkspartei im Dresdener Landtag, das Schweigen und Verharmlosen des sächsischen Justizministers Jürgen Martens (FDP), als über das Vorgehen sächsischer Behörden gegen Königs Tochter Katharina debattiert wurde. Diese ist Landtagsabgeordnete der »Linken« in Thüringen und hatte im Unterschied zu ihrem Vater zwar keinen Besuch der Dresdener Polizei erhalten, aber dafür wurde ihr am 13. August ein Schreiben zugestellt. Dieselbe Richterin, die bereits den Durchsuchungsbeschluss unterschrieben hatte, ließ ihr mitteilen, dass ein Vorermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs gegen sie eingeleitet worden sei.
Drei Tage später revidierte die Dresdener Staatsanwaltschaft diese Mitteilung, es habe sich lediglich um einen Formulierungsfehler gehandelt. Irgendjemand hatte der sächsischen Justiz wohl mitgeteilt, dass es nach thüringischem Recht notwendig ist, die Immunität einer Abgeordneten vor einem solchen Verfahren aufzuheben. Zudem, das spielte sowohl bei den Debatten im thüringischen wie auch im sächsischen Landtag eine Rolle, war das Material, das als Grundlage der Vorermittlungen dienen sollte, auf zweifelhafte Weise erlangt worden. Es wurde im April aus eben jenem blauen Bus beschlagnahmt, mit dem Katharina König auf dem Weg zu einer Demonstration in Plauen war. Im Schutz der Vertraulichkeit des Ausschusses offenbarte Thüringens Justizminister Holger Poppenhäger (SPD) ein fragwürdiges Rechtsverständnis. Katharina Königs Immunität sei durch die Beschlagnahme gar nicht verletzt worden, da es sich nicht um ein Verfahren gegen diese selbst, sondern gegen Dritte handele. Es bestehe höchstens ein Beweissicherungsverbot. Doch ob das bei der fraglichen Sache im sächsischen Plauen greife, habe er als Justizminister in Thüringen nicht zu beurteilen. Mit dieser Einstellung, so der bittere Kommentar eines Landtagsabgeordneten der Linkspartei, könne Poppenhäger auch Justizminister in Sachsen werden.

Die »sächsische Demokratie« (Wolfgang Thierse) hat mit dem Vorgehen gegen Lothar und Katharina König eine neue Stufe erreicht. Der Versuch, Proteste am 19. Februar durch aggressive Polizeieinsätze zu verhindern, scheiterte kläglich. Als Konsequenz reagierten die sächsischen Behörden mit Ermittlungen wegen schweren Landfriedensbruchs, der Konstruktion einer kriminellen Vereinigung und einer Datensammelwut gigantischen Ausmaßes. Inzwischen gehen selbst gutwillige Politiker davon aus, dass die Kriminalisierung von Teilnehmern der Blockade des Naziaufmarsches bereits im Voraus von Sachsens Polizei und Justiz geplant worden ist. Das Ermittlungsverfahren gegen Lothar König wegen Mitgliedschaft in der ominösen kriminellen Vereinigung war bereits am 7. Februar eingeleitet worden, mittlerweile wurde es vorläufig eingestellt. Wegen »aufwieglerischen Landfriedensbruchs« wird weiter gegen ihn ermittelt. Auf die Ausschüsse in Dresden und Thüringen kommt viel Arbeit zu, Aufklärung ist von ihnen aber eher nicht zu erwarten.