Die »Mavi Marmara« läuft nicht aus

Kein Schiff gegen Israel

Die islamistische IHH hat die Beteiligung der Mavi Marmara an einer neuen »Gaza-Flottille« abgesagt – offenbar auf Drängen der türkischen Regierung. Es wäre übereilt, darin ein Zeichen für eine veränderte türkische Außenpolitik zu sehen.

»Gysi versenkt Gaza-Flottille«, titelte die Taz, nachdem die Linkspartei eine erneute Beteiligung von Mitgliedern ihrer Fraktion an der geplanten zweiten antiisraelischen »Gaza-Flottille« per Beschluss unterbunden hatte. Nach den neuesten Entwicklungen in der Türkei scheint ein ähnliches Verdienst nun jedoch ausgerechnet dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tay­yip Erdogan zuzukommen.
Dem Drängen der gerade wiedergewählten AKP-Regierung soll es nämlich zu verdanken sein, dass der IHH-Vorsitzende Fehmi Bülent Yıldırım in der vergangenen Woche die symbolträchtige Beteiligung der »Mavi Marmara« an der neuen Flottille absagte – angeblich wegen technischer Probleme. Nach Berichten der englischsprachigen Hürriyet Daily News und der internationalen Presse wurde die IHH jedoch bereits seit längerem vom türkischen Außenministerium und von anderen Regierungsstellen gedrängt, eine erneute Beteiligung an der Flottille zu überdenken. Eine wesentliche Rolle soll dabei die Lage in Syrien gespielt haben, bei deren internationaler Bewältigung die Türkei offenbar eine führende Stellung einnehmen möchte. In Israel wurde die Entscheidung der IHH verständlicherweise erfreut zur Kenntnis genommen. Ob sich die Türkei allerdings um die Verbesserung der nicht erst seit den tödlichen Vorfällen auf der »Mavi Marmara« zerrütteten türkisch-israelischen Beziehungen bemüht, ist eine andere Frage.
Tatsächlich verweist die Entscheidung auf die komplizierten innen- und außenpolitischen Interessen in der Türkei, für die antiisraelische Ressentiments ebenso eine Rolle spielen wie die regionalen Großmachtaspirationen Erdogans und seiner AKP-Regierung. Noch vor wenigen Wochen hatte der Ministerpräsident im Wahlkampf mit Blick auf den Mavi-Marmara-Zwischenfall 2010 dem Vorsitzenden der oppositionellen CHP, Kemal Kılıçdaroglu, sinngemäß vorgeworfen, ein Helfer der Juden zu sein, die Türken töteten, nachdem dieser angekündigt hatte, sich im Falle eines Wahlsieges um eine Verbesserung der türkisch-israelischen Beziehungen zu bemühen. Worauf Kılıçdaroglu sich beeilte, seinerseits Erdogan zu bezichtigen, in Wirklichkeit eine Erfüllungspolitik gegenüber israelischen Ansprüchen zu betreiben – Israel-Bashing als allseitige, schmutzige Trumpfkarte im türkischen Wahlkampf.
Bezeichnend für die Stimmung in der Türkei ist auch ein anderer Vorfall, der sich unmittelbar vor der Wahl ereignete: In Istanbul musste ein interreligiöses Konzert für islamisch-christlich-jüdische Versöhnung wegen Terrordrohungen gegen den israelisch-amerikanischen Künstler Yuval Ron und einen religiösen Sänger aus Israel abgesagt werden. Die Drohungen kamen offensichtlich aus dem Umfeld der IHH. Hüseyin Oruç, ein Mitglied des IHH-Exekutivkomitees und Teilnehmer der Gaza-Flottille, brüstete sich sogar in der Presse: »Wir waren dagegen, deshalb wurde es abgesagt.«
Dies verdeutlicht nicht nur nochmals, mit was für einer Sorte »Friedensfreunden« man es bei der IHH zu tun hat. Der Vorfall beleuchtet auch die Rolle verschiedener islamischer Organisationen, die der regierenden AKP nahestehen. Das verhinderte Konzert wurde ebenfalls von einer religiösen Stiftung mitorganisiert, die zur als regierungsnah geltenden Bewegung des Fetullah Gülen gehört – also genau zu dem einflussreichen islamischen Konzern- und Stiftungskonglomerat, dessen Kritiker, wie etwa der Journalist Ahmet Sik, sich schnell von der Staatsanwaltschaft mit absurden Verschwörungsvorwürfen konfrontiert sehen und im Gefängnis wiederfinden. Im Vergleich zur IHH ist die Gülen-Bewegung vorsichtiger, wenn es um Israel geht, sie soll der AKP-Regierung bereits im vergangenen Jahr von einer Unterstützung der Gaza-Flottille abgeraten haben.
Es mag also durchaus sein, dass es Erdogan angemessen schien, der IHH nun den allzu rabiaten Gaza-Aktivismus auszureden. Eine Rolle könnte dabei auch die Überlegung gespielt haben, dass eine erneute antiisraelische Eskalation im östlichen Mittelmeer mit türkischer Beteiligung, womöglich noch gefolgt von antisemitischen Ausschreitungen in der Türkei, nicht wünschenswert wäre, solange sich die Türkei stark in der Syrien-Krise engagiert. Daraus Anzeichen für eine grundsätzliche Veränderung in der türkischen Außenpolitik abzuleiten, wäre jedoch vorschnell.