Rassistische Gewalt in Schweden 

Mit Stimmzettel und Sturmgewehr

Die Erfolge rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien in Schweden ermutigen Gewalttäter. Möglicherweise fühlt sich der Attentäter von Malmö als Vollstrecker des »Volkswillens«.

Sucht man nach einer Erklärung dafür, warum sich ein bewaffneter Rassist im schwedischen Malmö so sicher fühlt, dass er seit einem Jahr immer wieder auf Einwanderer schießt, kommt man um die Publikationen des Journalisten Gellert Tamas nicht herum. Und das nicht nur, weil er im Jahr 2002 mit dem Buch »Lasermannen – en berättelse om Sverige« (Der Lasermann – ein Bericht über Schweden) eine preisgekrönte Reportage über das mögliche Vorbild des Attentäters von Malmö verfasst hat.
Tamas, dessen Eltern von Ungarn nach Schweden ausgewandert waren, zeigt darin auf, dass der »Lasermannen« John Ausonius zwar als Einzeltäter agiert hat, aber über gute Kontakte zu rechtsextremen und rechtspopulistischen Kreisen verfügte. In einem Interview über den »nya Lasermannen« genannten unbekannten Täter von Malmö mit der Zeitung DN sagte Tamas, er sehe durchaus Parallelen zwischen den beiden Männern.
Damals, zu Beginn der neunziger Jahre, ist die rechtsextreme Partei Ny Demokrati ins Parlament eingezogen, und die Neonazis des Landes fühlten sich von diesem Erfolg offensichtlich beflügelt. »Rechtsextremisten zeigten ganz ungeniert in aller Öffentlichkeit den Hitlergruß«, erinnert sich Tamas. Die am 19. September dieses Jahres mit 5,7 Prozent der Stimmen in den Riksdag eingezogenen Sverigedemokraterna (SD) seien nur »polierter« als Ny Demokrati. »Beide Parteien haben sich dadurch zu profilieren versucht, dass sie die Zuwanderung in ihrem Wahlkampf zum Thema machten – und sie haben vor allem durch rassistische Untertöne auf sich aufmerksam gemacht.«
Forschungsergebnisse zeigen Tamas zufolge, dass »es einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem herrschenden gesellschaftlichen Klima und rassistisch motivierter Gewalt gibt«. In den Interviews, die er für sein Buch mit dem »Lasermannen« John Ausonius führte, habe der zu lebenslänglicher Haft Verurteilte sehr deutlich gemacht, dass er sich durch die Einwanderungsdebatte inspiriert fühlte: »Er sah sich moralisch gestützt und glaubte, das Volk stehe hinter ihm.« Er haben sich auch politisch gestärkt gefühlt, vor allem durch die Ny Demokrati, aber auch durch die SD. Nun herrsche wieder ein sehr aufgeheiztes Klima in Schweden, das teilweise an die dama­lige Stimmung erinnere.

Davon profitieren die Sverigedemokraterna, die sich selbst als »demokratisch und nationalistisch« bezeichnen. Zu den Gründern der SD gehörten im Jahr 1988 zahlreiche Mitglieder rechtsextremer Gruppierungen und Splitterparteien. Einer ihrer ersten Sprecher war Anders Klarström, der als Jugendlicher zunächst Mitglied der neonazistischen Nordiska Rikspartiet (Nordische Reichspartei) gewesen war. 1986 wurde Klarström, der mittlerweile Mitglied der sozialdemokratischen Partei ist, wegen Morddrohungen gegen den antifaschistischen Theaterdirektor und Journalisten Hagge Geigert zu einer Geldbuße verurteilt.
Seit 2005 ist Jimmie Åkesson Vorsitzender der Sverigedemokraterna, die im Jahr 1996 das Tragen von Bomberjacken und »armeeähnlicher Kleidung« bei Parteiveranstaltungen verboten. Man präsentiert sich als EU-feindlich, antiamerikanisch und ökologisch orientiert. Die Partei sprach sich in einem Grundsatzpapier dafür aus, dass die Gerichte generell höhere Strafen verhängen sollten. Die rechtspsychiatrische Untersuchung von Angeklagten solle verboten werden, ebenso wie vorzeitige Entlassungen aus dem Gefängnis, und alle, die Geldbußen nicht zahlen können, sollen den Betrag zwangsweise abarbeiten. Den Zuzug von Ausländern aus Staaten, die nicht der EU angehören, will die Partei strikt begrenzen, ausländische Straffällige sollen abgeschoben werden.

Dieses Programm löste in Schweden kaum Empörung aus, ebensowenig wie eine Äußerung von Jimmie Åkesson, der im Jahr 2009 den Islam als die größte Gefahr für Schweden seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnete. In einer Umfrage der vom schwedischen Verband der Werbebranche herausgegebenen Zeitschrift DSM vom Februar wurde Åkesson von 150 Journalisten und Kommentatoren zum neuntwichtigsten »Meinungsmacher« des Landes gewählt – im Jahr zuvor hatte er noch den 49. Platz belegt.
Als die Stockholmer Bischöfin Eva Brunne sich nach der Wahl in ihrer Predigt während des traditionellen Gottesdienst zur Eröffnung des Parlaments vehement gegen Rassismus aussprach, verließen die Abgeordneten der SD, angeführt von ihrem Chef, unter Protest die Kirche. Die liberale Zeitung Göteborgs Posten nannte Åkessons Reaktion in einem Kommentar »bemerkenswert für einen Parteiführer, der immer wieder kategorisch verneint, dass seine Partei irgendwelche rassistischen Haltungen verbreite«.
Den Boden für den Erfolg der SD hat auch eine Debatte bereitet, die unter dem Namen »apatiska flyktingbarn« (apathische Flüchtlingskinder) bekannt wurde. An ihrer Aufarbeitung hatte der Journalist Gellert Tamas maßgeblichen Anteil. Viele Kinder, die seit 2000 mit ihren Eltern aus ­europäischen Bürgerkriegsgebieten wie Aserbaidschan, Kirgisien und dem Kosovo nach Schweden geflüchtet waren, litten unter schweren psychischen Störungen. Behandelt wurden sie jedoch in der Regel nicht, denn sowohl staatliche Stellen als auch Journalisten erklärten die Symptome wie Bettnässen oder Entwicklungsverzögerungen als von den Eltern erzwungenes Verhalten, das es leichter machen sollte, Asyl gewährt zu bekommen. Im November 2005 meldete sich dann ein angeblicher Geschäftsmann mit brisanten Informationen: In Russland gebe es ein Reisebüro, dass Väter und Mütter gezielt instruiere, wie man in Schweden dank eines kranken Kindes am einfachsten Asyl erhalten.
Gellert Tamas weist in seinem 2009 erschienenen Buch »De apatiska: Om makt, myter och manipulation« (Die Apathischen: Über Macht, Mythen und Manipulation) nach, dass es sich bei dem von fast allen Medien zitierten Kronzeugen für die angebliche Niedertracht der Bürgerkriegsflüchtlinge in Wirklichkeit um einen schwedischen Nazi handelte, dessen Lügen nur allzu gern geglaubt wurden. Tamas beschreibt, welcher Druck bis hin zur Androhung von Entlassung auf Ärzte und Sozialarbeiter ausgeübt wurde, die Kinder zu Simulanten zu erklären, und er schildert, wie die Familien dann schnellstmöglich abgeschoben wurden.

Vielleicht glaubt der Mann, der nach Polizeiangaben mittlerweile 19 Mal auf dunkelhäutige Malmöer geschossen hat, dass die »schweigende Mehrheit« seiner Landsleute seine Taten gutheißt. Kriminalisten gehen davon aus, dass der Täter ein zwischen 20 und 40 Jahre alter Mann ist, der über sehr gute Ortskenntnisse verfügt. Möglicherweise benutze er ein Fahrzeug, um die jeweiligen Tatorte schnell verlassen zu können. In einigen Zeitungen wurde auch darüber spekuliert, ob er vielleicht ein Polizist sein könnte oder zumindest jemand, der vertraut mit den Abläufen polizeilicher Ermittlungen ist.
Nachdem Malmöer Gangmitglieder Mitte voriger Woche angekündigt hatten, selbst nach dem Schützen Ausschau zu halten, erhielt die Malmöer Polizei Verstärkung durch Beamte aus der gesamten Region Skåne. In die laufenden Ermittlungen wurde nun auch Eiler Augustsson einbezogen. Der Ermittler ist Chef einer Stockholmer Polizeieinheit, die alte Fälle wieder aufrollt. Augustsson gilt als einer der besten Kriminalbeamten und Verhörspezialisten des Landes, er hatte maßgeblichen Anteil daran, dass Ausonius schließlich verhaftet werden konnte.