Ein anonymes Interview über anonyme Bewerbungen

»Wir stellen nicht nur schöne Menschen ein«

Dieses Interview wurde anonymisiert, um unsere Gesprächsperson vor Diskriminierung zu schützen. In ihrem Beruf gehören Diskriminierungen zum Geschäft: Die Person leitet stellvertretend die Abteilung »Human Ressources and Recruitment« einer Hotelkette mit Sitz in Abu Dhabi. Diese betreibt derzeit insgesamt 70 Häuser im Nahen Osten und in Nordafrika, darunter Luxushotels in Abu Dhabi, Dubai, Beirut und Kuwait. Das Unternehmen beschäftigt über 10 000 Mitarbeiter aus 60 Nationen. Unsere Gesprächsperson gibt Auskunft über den alltäglichen Umgang mit Bewerbern.

Erhalten Sie manchmal anonymisierte Bewerbungsunterlagen?
Das kommt vor, wenn sich Personen auf höhere Positionen bewerben. Wir bekommen häufig ­Bewerbungen von Personalvermittlungsagenturen zugesandt, in denen die Kandidaten ohne Namen und weitere Angaben vorgestellt werden. Häufig wird uns in diesen Fällen auch nicht mitgeteilt, in welchen Häusern die Betreffenden noch arbeiten. Wir erhalten dann nur die vage Information: Die Person arbeitet derzeit in einem Fünf-Sterne-Hotel in Dubai, mehr nicht. Die Bewerber wollen vermeiden, dass etwas zu dem Arbeitgeber, bei dem sie noch beschäftigt sind, durchdringt. Nach europäischem und amerikanischem Recht muss man in einem Lebenslauf weder Alter noch Familienstand oder Religionszugehörigkeit angeben. Solche Bewerbungen erhalte ich durchaus.
Sind diese Bewerber denn im Nachteil gegenüber denen, die solche Angaben in den Unterlagen machen?
Ein Kandidat, der von Anfang an alle Angaben macht, hat sicherlich bessere Chancen. Liegt eine anonymisierte Bewerbung vor mir, bei der ich alle weiteren Details noch erfragen muss, neben einer nicht anonymisierten, aus der alles bereits hervorgeht, kontaktiere ich immer den nicht anonymisierten Bewerber zuerst. Wir brauchen die Angaben, erhalten wir sie nicht sofort in den Bewerbungsunterlagen, haben wir mehr Arbeit. Chancengleichheit hin oder her – wir benötigen die Informationen.
Nach welchen Kriterien beurteilen Sie weitgehend anonymisierte Bewerbungen?
Der Lebenslauf und die bisherige Berufserfahrung sind dann natürlich ausschlaggebend. Bei Bewerbern aus den Vereinigten Arabischen Emiraten legen wir keinen allzu großen Wert auf die schu­lische oder universitäre Ausbildung. Hier hat jeder Dritte einen Master-Abschluss, den erhält man auch schon nach zwei Jahren oder man kauft ihn einfach. Bei europäischen Bewerbern ist das anders.
Ein weiteres Kriterium ist die Nationalität, was aber hauptsächlich von der Vergabe von Visa in den jeweiligen Ländern abhängt. Wir betreiben auch Hotels in Saudi-Arabien. Das Land vergibt an uns 120 Visa im Jahr, legt aber fest, aus welchen Ländern die Einreisenden kommen dürfen. Eine Zeitlang hat Abu Dhabi keine Visa für Pakistanis ausgestellt, zurzeit gibt es keine für Kenianer. Diese Leute muss ich dann eben wegen ihrer Nationalität ablehnen, die äußeren Umstände erfordern diese Diskriminierung.
Haben Personen, die zu viele Angaben machen, auch manchmal Nachteile?
Wenn sich jemand mit Bild bewirbt, aber nicht sonderlich vorzeigbar aussieht, ist das natürlich schlecht. Eine Frau, die 1,60 Meter groß ist und 100 Kilogramm wiegt, würde ich nicht als Empfangsdame einstellen, auch wenn sie einen hervorragenden Lebenslauf vorweisen könnte.
Müssen Sie sich im Auswahlverfahren an Antidiskriminierungsrichtlinien halten?
Nein. Selbstverständlich gibt es auch hier ein Arbeitsrecht. Das ist aber bei weitem nicht so strikt wie in Europa. Wer hier zum Beispiel eine Kellnerin für die Hotelbar braucht, kann ohne weiteres in der Annonce schreiben: Gesucht wird eine Philippina, mindestens 1,65 Meter groß, Körpergewicht höchstens 60 Kilogramm. Unsere Firma verzichtet mittlerweile aber darauf, solche Stellenprofile anzugeben.
Was macht denn das Wissen über den Familienstand, das Alter, das Aussehen, die Religionszugehörigkeit oder die sexuelle Orientierung so unverzichtbar?
Jemand, der bei uns im Alter von 58 Jahren eingestellt wird, hat beispielsweise keine Aussichten mehr auf Karrierefortschritte. Das ist für beide Seite nicht von Nutzen. Ich muss auch wissen, ob ein Bewerber Familienangehörige hat. Manche Mitarbeiter in bestimmten Positionen beziehen nicht nur ein Grundgehalt, sondern erhalten auch weitere Leistungen vom Unternehmen. Wir zahlen für die Ausstellung der Visa oder auch teilweise für die Schulausbildung der Kinder. Deshalb muss ich wissen, wie viele Kinder ein Bewerber hat. Jemand in einer niedrigen Position und mit dem entsprechend niedrigen Gehalt, der sechs Kinder hat, würde hier finanziell scheitern. Den lehne ich also lieber gleich ab.
Auch die Religionszugehörigkeit ist wichtig. In unseren Häusern im Libanon müssen wir beispielsweise eine ausgewogene Mischung aus Muslimen und Christen herstellen, sowohl aus Gründen des Betriebsklimas als auch wegen der Bedürfnisse der Kunden.
Was die sexuelle Orientierung angeht: Da muss ich sehr indiskret sein. Homosexualität ist in den arabischen Ländern, in denen wir operieren, nicht erlaubt. Was Leute in ihrer Freizeit machen, ist uns als Firma zwar egal. Will aber ein männlicher Bewerber samt seinem Lebenspartner hierher ziehen, könnte das rechtliche Probleme mit sich bringen.
Heterosexuelle Bewerber, die unverheiratet in einer Beziehung leben, haben es auch schwer: Man darf hier nicht zusammenleben, solange man nicht verheiratet ist. Deshalb muss ich diese intimen Informationen erfragen und die Leute auf eventuell illegale Lebensweisen hinweisen. Unsere Firma ist aber recht großzügig in dieser Hinsicht, meist sagen wir: Das Privatleben des Mitarbeiters geht uns nichts an, wir stellen ihm ein Appartement für eine Person, quartiert er dort noch jemanden ein, ist das erst einmal nicht unser Problem.
Wie erkundigen Sie sich nach diesen Details aus dem Privatleben der Bewerber?
Ich frage im Bewerbungsgespräch direkt nach: »Wie viele Kinder haben Sie? Wie alt sind diese?« Auch eher Abseitiges ist für mich von Interesse. Es gab schon Bewerber, die aus Deutschland mit ihren Hunden hierher ziehen wollten. Die musste ich ablehnen, Hunde sind hier nicht gern gesehen.
Fragen Sie auch ohne Umschweife nach der sexuellen Orientierung?
Zunächst frage ich, ob ein Bewerber vorhat, einen Lebenspartner mitzubringen. Und dann sage ich: »Hören Sie zu, nun stelle ich einige Fragen, die eher ungewöhnlich sind. Aber ich muss das wissen.«
Gibt es Kandidaten, die solche Fragen nicht beantworten?
Es kommt vor, dass Leute zunächst zögern.
Wie wägen Sie die berufliche Qualifikation mit anderen Kriterien wie Alter, Geschlecht, äußerer Erscheinung oder Religionszugehörigkeit ab?
Kompetenzen wie die Teamfähigkeit und das Verständnis vom Hotel-Business sind selbstverständlich überaus wichtig. Ist ein Bewerber in diesen Bereichen sehr qualifiziert, aber vom Äußeren her nicht so überzeugend, kann man unter Umständen eine Position für ihn finden, in der er hinter den Kulissen arbeitet. Wir stellen nicht nur schöne Menschen ein, die mindestens 1,70 Meter groß sind und bestechende Maße haben. Wenn ich jemanden in der Zimmerreservierung einsetzen kann und der Kunde nur die Stimme hört, ist das Äußere nicht wichtig.
Es ist ja auch so, dass bei Leuten, die sich in ihrer Tätigkeit beweisen, das Optische irgendwann nicht mehr so wichtig ist. Ein Kandidat, dessen Äußeres vielleicht nicht ganz den Erwartungen entspricht, den ich aber doch einstelle, hat es unter Umständen zunächst etwas schwieriger. Sollte sich diese Person aber auf Dauer als guter Mitarbeiter erweisen, kann sie durchaus die Möglichkeit erhalten, aus dem Büro in den Kundenservice versetzt zu werden. Es gibt also Fähigkeiten, die das Aussehen weniger relevant machen.
Kann man überhaupt objektive Qualifikations- und Leistungskriterien aufstellen?
Die Bewerbungsgespräche sind mittlerweile kompetenzorientiert, wir versuchen tatsächlich herauszufinden, wie kundenorientiert und teamfähig ein Bewerber ist. Möchte ich zum Beispiel einen Restaurantleiter einstellen, richte ich an alle Bewerber die gleichen Fragen, um den subjektiven Faktor möglichst gering zu halten. Außerdem müssen immer mindestens zwei Mitarbeiter den Bewerber befragen. Gerade wenn höhere Posten besetzt werden, achten wir darauf, eine möglichst objektive Beurteilung vorzunehmen.
Sind die Auswahlverfahren für hohe und niedrige Positionen gleich?
Wenn ich Kellner rekrutiere, spreche ich mit 100 Bewerbern an einem Tag. Diese Massenre­krutierungen laufen selbstverständlich anders ab. Entweder überzeugt mich die Person auf den ersten Blick oder nicht. Was muss ein Kellner schon wirklich können? Ein Tablett zu tragen, kann man lernen. Da kann ein Bewerber vor mir sitzen und eine ganz bezaubernde, nette Art haben – sobald ich sehe, dass er beispielsweise schlechte Zähne hat, bekommt er den Job nicht. In einem Fünf-Sterne-Hotel kann niemand arbeiten, der faule Zähne im Mund oder Probleme mit der Haut oder den Haaren hat.
Tut es Ihnen manchmal leid, Bewerber wegen solcher Äußerlichkeiten abzulehnen?
Das kommt vor. Oft steht dann auf meinem Bewertungsbogen: Sehr nett, passt aber nicht ins Profil. Auch wenn ich Leute ablehne, die zu viele Kinder haben, ist das unangenehm. Aber wenn keine Win-Win-Situation besteht, kann man das nicht ändern.