Streit um den Erhalt eines jüdischen Friedhofs in Sachsen

Tote stören beim Gedenken

Im sächsischen Dorf Flößberg gibt es einen Friedhof für jüdische KZ-Häftlinge. Die Landesbehörden möchten die Toten umbetten.

In einem kleinen Ort südwestlich von Leipzig kann man derzeit beobachten, was passiert, wenn für einen Friedhof jüdischer KZ-Häftlinge der »Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge« zuständig ist. Während der »Volksbund« unter anderem im brandenburgischen Halbe einen der größten deutschen Soldatenfriedhöfe betreibt, auf dem Gedenkstätte und Gräber ganz selbstverständlich ein Ensemble bilden, sollen die Gräber jüdischer KZ-Opfer im sächsischen Flößberg nicht mehr zum Erinnerungsort gehören dürfen.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs befand sich in Flößberg eines der zahlreichen Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Die Hugo Schneider AG aus Leipzig, damals ein großer Rüstungskonzern, wollte einen Teil der Panzerfaust-Produktion dorthin verlagern. Bis zur Evakuierung des Lagers am 13. April 1945 hatten fast 2 000 Häftlinge das Lager durchlaufen, die meisten von ihnen waren ungarische und polnische Juden.

Die Geschichtswerkstatt Flößberg geht davon aus, dass in diesem Außenlager mindestens 235 Häftlinge ermordet und von der SS in Massengräbern im Wald verscharrt wurden. Die US-Armee ließ die Massengräber öffnen und 98 der Opfer in einer öffentlichen Zeremonie auf einem Friedhof in der nahegelegenen Stadt Borna bestatten. Später wurden weitere 38 Leichen entdeckt, sie wurden vor Ort in Einzelgräbern bestattet. Fotos jener Zeit zeigen weiße Holzpfähle mit Davidsternen, die Bewohner der Region nannten die Grabstätte im Wald »Judenfriedhof«. 1953 wurde der Friedhof in die offizielle Erinnerungspolitik der DDR integriert. Die Holzpfähle wurden entfernt, stattdessen wurde ein Gedenkstein errichtet. Über die jüdischen Opfer wurde kein Wort verloren, verwendet wurde die Formel »Die Toten mahnen«. Vervollständigt wurde die Symbolik der Gedenkstätte mit dem Signet der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und dem roten Dreieck der politisch Verfolgten. Nach der Wende geriet der Friedhof im Flößberger Wald zunehmend in Vergessenheit und verfiel. Bis eine Bürgerinitiative, aus der später die Geschichtswerkstatt hervorgehen sollte, damit begann, sich um die Pflege der Gräber zu kümmern.
Die Flößberger Geschichtswerkstatt erarbeitete zusammen mit dem Fachbereich für Architektur der Leipziger Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur ein ambitioniertes Gedenkkonzept. Der favorisierte Entwurf bezieht auch den ehemaligen Bahndamm ein. So wird nicht nur das Areal des Konzentrationslagers sichtbar, sondern auch eine Verbindung zwischen dem Verkehrsraum und dem Waldfriedhof geschaffen. Im Mai vorigen Jahres wurden die Entwürfe für die Gedenkstätte präsentiert und dazu aufgerufen, das Projekt mit Spenden zu unterstützten. Nur drei Monate später stimmte der zuständige, neu gewählte Stadtrat von Frohburg überraschend einer völlig anderen Idee zu. Die Toten vom Waldfriedhof sollen nach Borna umgebettet werden.

Hinter den Umbettungsbestrebungen steht vor allem der sächsische Landesverband des »Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge«, der im Freistaat für die Kriegsgräberstätten zuständig ist und die dafür vorgesehenen Mittel verwaltet. Ihr Landesgeschäftsführer Klaus Leroff begründet die Umbettungspläne im Gespräch mit der Jungle World vor allem wirtschaftlich. Da der jüdische Friedhof in Borna mit den 98 Toten aus Flößberg saniert werde, könne man Geld sparen, wenn man auch die restlichen Toten dorthin umbette. »Wir haben nicht die Mittel, für 22 Tote 170 000 Euro auszugeben.« Ein weiteres Problem sieht er in der Abgeschiedenheit der Gedenkstätte. Im Wald könne sie weder vor Wildschweinen noch vor der Schändung durch Neonazis geschützt werden. Vor allem aber plädiert Leroff für eine generelle Trennung von Friedhöfen und Gedenkstätten, zum Gedenken brauche man die Toten nicht. Die »VVN-Mahnstätte« sei ein »Missbrauch der KZ-Toten«, und im Falle Flößberg würden die Gegner einer Umbettung ja gerade in der Tatsache, dass es sich um jüdische Opfer handelt, ihre Chancen sehen, politisch Druck zu machen, meint Leroff.

Gegen die Umbettung haben sich drei Abgeordnete des sächsischen Landtags, mehrere Stadtrats- und Kreistagsmitglieder, das Netzwerk der Initiativen ehemaliger Außenlager des KZ Buchenwald und der Landesverband der jüdischen Gemeinden Sachsens ausgesprochen. Ein Überlebender des Lagers Flößberg, Stephen Casey, schrieb in einem Offenen Brief an den Frohburger Bürgermeister: »Leave the dead and the memorial where they are.« Stefan Walter von der Geschichtswerkstatt Flößberg hält die veranschlagte Sanierungssumme für überhöht, darüber hinaus sei eine Umbettung »völlig unsensibel« und verletze religiöse Gefühle. Er kritisiert auch, dass der »Volksbund« von 22 Opfern spricht, die umgebettet werden müssten. Die Geschichtswerkstatt hat den Behörden bereits vor drei Jahren Dokumente übergeben, die eine Zahl von 38 Grabstätten belegen. Walter weist darauf hin, dass mit einer Auflösung des Friedhofs die vorgelegte Gedenkstättenkonzeption, die über Jahre gemeinsam mit der Gemeinde erarbeitet wurde, hinfällig werde. Dieser Einschätzung stimmt Leroff implizit zu, für Gedenkstätten ist der »Volksbund« schließlich nicht zuständig. Deshalb hat Leroff auch kein Problem damit, dass die »jungen Leute«, wie er die Initiatoren der Neukonzeption nennt, in Flößberg eine solche einrichten wollen. Von dem Ziel der Umbettung möchte er jedoch keinesfalls abweichen: »Da bleibe ich ganz hart.« In Frohburg sucht man derzeit an einem runden Tisch mit Bundes- und Landtagsabgeordneten, Stadt- und Kreisräten, Kirchenvertretern und Mitgliedern der Geschichtswerkstatt noch nach einer gemeinsamen Lösung. Miro Jennerjahn, grüner Landtagsabgeordneter, hat zwar das Gefühl, dass seitens des »Volksbunds« die Fronten verhärtet sind, hofft aber, dass es gelingt, in Flößberg einen Gedenkort zu realisieren, »ohne sechsstellige Summen bewegen zu müssen«. Die Stadtverwaltung hält sich derweil mit Aussagen zurück und wartet auf die Entscheidung der Landesdirektion Chemnitz.