Staat, Laizismus und falsche Toleranz

Die Burka ist kein Kleidungsstück

Die Debatte um das Burka-Verbot ist Teil des Diskurses um Multikulturalismus und Kulturrelativismus. Sie ist deshalb auch mit dem Streit um das Kopftuch-Verbot verknüpft.

Nachdem in Belgien und Frankreich Gesetze zum Verbot von islamischen Ganzkörperverhüllungen beschlossen wurden, haben auch in anderen Ländern Politiker die Forderung nach einem Burka-Verbot aufgenommen. Ins britische Unterhaus wurde von konservativer Seite ein entsprechender Gesetzentwurf eingebracht, und auch Spaniens konservative oppositionelle Volkspartei hat die Initiative für ein Verbot ergriffen. In mehreren anderen europäischen Ländern wird es diskutiert. In Deutschland plädiert etwa der integrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Serkan Tören, dafür. »Die Burka ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde und ein Symbol der Abschottung gegen unsere Werte«, sagte der in der Türkei geborene Tören der Tageszeitung B.Z.. Mehrheitlich sehen jedoch in Deutschland Politiker in multikultureller Eintracht und über Parteigrenzen hinweg ein Burka-Verbot als Gefahr an. Die SPD-Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz meint, dadurch würden »islamfeindliche Emotionen geschürt«, für ihren Grünen-Kollegen Memet Kilic ist ein Verbot »mit den Menschenrechten« nicht vereinbar, und Stefan Müller von der CSU möchte den Muslimen stattdessen »Anreize« zur Integration bieten. In dieser Auseinandersetzung spitzt sich eine Frage zu, die sich schon beim Streit um das Kopftuch im öffentlichen Dienst gestellt hat und die in Debatten über Moschee- und Minarettbau, Zwangs­ehen oder islamischen Religionsunterricht ihren Niederschlag findet: Stellt die Einschränkung und Behinderung religiös begründeter Praktiken in jedem Fall einen Angriff auf Bürgerrechte dar, oder ist sie nicht in bestimmten Fällen zu deren Schutz, nicht zuletzt zum Schutz von Frauenrechten, gar geboten? Wer unabhängig vom Kontext der jeweiligen Situation Religions-, Meinungs- und Entscheidungsfreiheit einfordert, ignoriert, dass es Communities gibt, die ihren Mitgliedern von vornherein diese Freiheiten nicht gewähren. In den vorherrschenden Strömungen des Islam ist es nicht erlaubt, die Religion zu verlassen, es gilt das Prinzip der Zwangsmitgliedschaft. Selbstbestimmung ist für die Angehörigen streng gläubiger muslimischer Milieus überhaupt nicht vorgesehen, schon gar nicht für Frauen. Gesichtsschleier und Burka sind direkter Ausdruck dieses Dementis jeglicher Selbstbestimmung, das Frauen jede Teilhabe am öffentlichen Leben untersagt und sie nur vor die Tür lässt, wenn sie ein Gefängnis aus Stoff mit sich herumschleppen. Ausgerechnet dann von einem Angriff auf Menschenrechte zu sprechen, wenn die Freiheit der Patriarchen beschnitten werden soll, anderen Menschen die Freiheit vorzuenthalten, ist zynisch. Eine Bürgerrechtsbewegung hätte von staatlichen Institutionen zu fordern, Frauen vor derartigen familiären Misshandlungen zu bewahren, was neben einem Verbot von Zwangsehen auch das der Burka einschließt. Von dieser Notwendigkeit entbindet auch nicht die Gefahr einer fremdenfeindlichen Instrumentalisierung, die es selbstverständlich im Blick zu behalten gilt und die sich in Forderung nach Einreiseverboten oder nach Verweigerung der Staatsbürgerschaft für Burka-Trägerinnen niederschlägt. Im Wesentlichen steht das französische Gesetz, auch wenn es von der konservativen Regierungspartei UMP formuliert wurde, in der Tradition des französischen Laizismus und damit einer seit 1905 gesetzlich fixierten konsequenten Trennung von Staat und Religion, wie sie in Deutschland unbekannt ist. Diese Tradition kommt auch im 2005 erlassenen Verbot des Tragens deutlich sichtbarer religiöser Symbole an staatlichen Schulen zum Ausdruck. Ihren Ursprung hatte diese emanzipatorische Errungenschaft in der sogenannten Dreyfus-Affäre am Ende des 19. Jahrhunderts, der antisemitisch motivierten Gefangenschaft des jüdisch-französischen Hauptmanns Alfred Dreyfus wegen angeblicher Spionage für Deutschland. Nach dessen Rehabilitierung war die katholische Kirche wegen ihres Antijudaismus, der den Boden für diesen Vorfall bereitet hatte, so sehr kompromittiert, dass ihr Einfluss eingedämmt wurde. Zwar stellt die Burka weder in Frankreich noch in Deutschland oder den meisten anderen europäischen Ländern eine quantitativ bedeutsame Erscheinung dar. Den betroffenen Frauen die Solidarität zu verweigern, weil sie nur wenige sind, wäre jedoch menschenverachtend. Darüber hinaus kommt einer Ächtung der Burka die grundlegende Bedeutung zu, auch ein öffentliches Signal gegen falsche Toleranz zu sein. Denn in weniger einschneidenden Formen, vor allem als Kopftuchzwang, sind unterdrückende Kleiderordnungen sehr viel weiter verbreitet. Ein generelles Verbot zu fordern, wäre aber aus einer Reihe von Gründen verfehlt. Abgesehen davon, dass ein Kopftuch keinen so massiven Eingriff darstellt wie die Burka, ist es im Gegensatz zu dieser ein echtes Kleidungsstück, das nicht per se repressiven Charakter hat, sondern diesen erst in einem spezifischen Kontext erhält. Ein Kopftuch kann dem Schutz vor Wind und Wetter dienen, oder es kann ein Modeartikel sein. Problematisch ist, wenn es im islamischen Kontext zur Pflicht für jede »gute Muslimin« wird und dazu dient, Frauen zu Sexualobjekten zu stempeln, die nur durch Verbergen ihrer Haare vor den triebhaften Begierden der Männer geschützt werden können, worin sich ein extrem patriarchales Frauen- wie Männerbild offenbart. Hinweise, viele Musliminnen würden das Kopftuch doch freiwillig tragen, reduzieren das Problem auf eine formale Ebene und vernachlässigen die indirekten, subtilen und verinnerlichten Zwänge, die dieser »Freiwilligkeit« vorausgehen. Zwar wird das Kopftuch vom Koran nicht vorgeschrieben, und sehr viele, auch strenggläubige Musliminnen kommen ohne es aus, laut der 2009 veröffentlichten Studie »Muslimisches Leben in Deutschland« sogar die Mehrheit. Dieser im Auftrag der Deutschen Islam-Konferenz erstellten Studie zufolge gaben allerdings 92,3 Prozent der befragten Kopftuchträgerinnen die religiöse Pflicht als Grund an. Nur 7,3 Prozent nannten modische Gründe als zusätzlichen Faktor. Auf Frauen wird zum Teil starker Druck ausgeübt, »freiwillig« ein Kopftuch anzuziehen, wie beispielsweise am 25. April in der Stadthalle des saarländischen Städtchens Dillingen zu beobachten war. Dort predigten der zum Islam übergetretene deutsche Ex-Boxer Pierre Vogel und zwei weitere Konvertiten und redeten anwesenden muslimischen Frauen, die kein Kopftuch trugen, immer wieder ins Gewissen, das zu ändern, wenn sie dazugehören wollten. Und Ditib, der Ableger des türkischen Staatsislam in Deutschland, ließ im Internet verlauten: »Das Kopftuch ist ein Gebot des Gottes im Islam.« Um dem Kopftuch als Zwang und als religiösem Symbol zu begegnen, wäre sein Tragen in staatlich-öffentlichen Einrichtungen, insbesondere Schulen und Kindergärten, zu unterbinden. Die Schulgesetze von acht Bundesländern untersagen es Lehrerinnen inzwischen. Ein Verbot für Schülerinnen steht noch aus. Der Druck auf muslimische Mädchen, ein Kopftuch anzuziehen, könnte unterlaufen werden, wenn dem elterlichen Gebot ein institutionelles Verbot entgegenstünde und keine Kopftuch tragende Lehrerin oder Erzieherin als Vorbild herhalten könnte.