Nicht ohne meinen Adler

Falls es noch eines Beweises bedurfte, dass der Patriotismus keine harmlose Schrulle ist, so hat Holger B. ihn erbracht. Er erschoss in Hannover zwei Italiener. »Es ging um die Anzahl der bisher gewonnenen WM-Titel«, sagte Polizeisprecher Heiko Steiner. Die beiden Ermordeten waren in der Kneipe »Columbus« mit Holger B. in Streit geraten. Der Patriot wollte ihnen nicht glauben, dass Italien die Fußballweltmeisterschaft bereits vier Mal gewonnen hat. Patriotismus ist, insbesondere in Deutschland, immer auch ein Kampf gegen die Wahrheit. Italien gewann die WM in den Jahren 1934, 1938, 1982 und 2006.
Die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtet: »In seinem Umfeld hieß es gestern, B. sei bereits mehrfach in psychiatrischer Behandlung gewesen.« Aber vermutlich nicht wegen Patriotismus, obwohl diese Wahnvorstellung weitaus gefährlicher sein kann als wenn jemand glaubt, er sei Napoleon. Holger B. wird nun wohl im Gefängnis landen, doch wenn es nicht gerade um Mord und Totschlag geht, bleiben gesetzeswidrige Handlungen während der WM ungeahndet, sofern Patriotismus das Motiv ist. Vielen Patrioten ist ein schlichtes Schwarz-Rot-Gold nicht genug, sie wollen unbedingt eine Fahne mit Adler schwenken. Doch es handelt sich dabei nicht um irgendein Winkelement, sondern um die Bundesdienstflagge, und Paragraf 124 stellt unmissverständlich fest: »Ordnungswidrig handelt, wer unbefugt (…) eine Dienstflagge des Bundes oder eines Landes benutzt.« Nicht einer der unbefugten Fahnenschwenker wurde belangt. Knallt es einmal bei einer Demonstration, ist gleich von einer Splitterbombe und der Notwendigkeit neuer Gesetze die Rede. Werden nach einem deutschen Zufallstreffer unschuldige Passanten mit Feuerwerkskörpern beworfen, für deren Gebrauch natürlich keine Freistellung vom Verwendungsverbot beantragt wurde, gilt das als lobenswerter Ausdruck patriotischer Freude. Diese Duldsamkeit wird meist mit der Behauptung gerechtfertigt, alle anderen machten das auch so, in Deutschland kehre mithin Normalität ein. In zivilisierten Ländern ist das Fahnenschwenken jedoch keineswegs selbstverständlich. Hören wir zwei Stimmen der Vernunft aus der liberalen Presse Großbritanniens. »Ich mag den Patriotismus nicht«, bekennt Edward Pearce. »Das Beste daran, britisch zu sein, ist, dass wir uns nicht für verklemmten nationalistischen Unfug wie das Feiern unserer ›Britishness‹ begeistern.« Seine »Britishness« wie eine Monstranz vor sich herzutragen, sei »exhibitionistisch«, meint Henry Porter. Die Deutschen glauben nun, ihre Weltläufigkeit zu beweisen, indem sie den exhibitionistischen Massenwahn als Public Viewing bezeichnen. Darunter versteht man allerdings außerhalb Deutschlands die Ausstellung eines aufgebahrten Leichnams.