Ägypten, die Schweinegrippe und die Christen

Mit Steinen für die Schweine

Die ägyptische Regierung nutzt die Schweinegrippe als Vorwand, um einer der ärmsten Gruppen des Landes die Existenzgrundlage zu entziehen.

Das Schwein hat einen schlechten Ruf im Nahen Osten. Früher gab es dafür einen guten Grund. Anders als Schafe, Ziegen, Kühe oder Kamele begnügen sich Schweine nicht mit einer Weide, sie futtern das Gleiche wie ihre zweibeinigen Besitzer und treten zu ihnen in Nahrungskonkurrenz, überdies haben sie einen hohen Wasserbedarf. In Wüsten- und Trockengebieten war es daher ver­nünftig, auf die Schweinehaltung zu verzichten.
Der Koran untersagt den Verzehr von Schweinefleisch. Dass dieses Verbot wegen der besonderen Ekelhaftigkeit des Schweins ausgesprochen wurde, ist jedoch eine Mutmaßung der muslimischen Theologen, die den Schweinen gegen­über unfair ist, da diese sich nur in ihren Exkrementen suhlen, wenn es ihnen an Wasser fehlt. Noch dürftiger sind Belege für die Ansicht, Menschen würden durch den Verzehr von Schweinefleisch »unrein«.

Wenn in einer muslimischen Gesellschaft Schwei­nehalter auch noch der untersten Gesellschaftsschicht angehören, können solche Ressentiments leicht genutzt werden. Schweine werden in Ägypten fast nur von den Zabaleen gehalten, christlich-koptischen Müllsammlern, die mit den Abfällen die Tiere füttern. Seit Jahren bemüht sich die Regierung, die Zabaleen aus dem Straßenbild vor allem der Hauptstadt Kairo zu verdrängen. Moderne Müllwagen wurden angeschafft und Umsiedlungen angeordnet, doch eine Metropole, die jährlich um etwa eine Million Menschen wächst, kann auch von einem autokratischen Regime nicht kontrolliert werden. Die Zabaleen konnten sich bislang halten, ihre Abfuhrdienste werden in den Armen- und Neubauvierteln benötigt.
Nun aber sollen sie ihre Existenzgrundlage verlieren. »Es wurde angeordnet, sofort mit der Schlachtung aller Schweine in Ägypten zu beginnen«, sagte Gesundheitsminister Hatem al-Gabali am Mittwoch der vergangenen Woche. Dass die Krankheit nicht von Schweinen, sondern von Menschen übertragen wird, beeindruckte die Regierung nicht.
Auffällig ist, dass die Muslimbruderschaft die Regierung diesmal eifrig unterstützt. Die Schweinegrippe sei »ein erstrangiges Problem der nationalen Sicherheit«, sagte der Abgeordnete Hamdy Hassan, den die an sich illegale, aber weitgehend geduldete Muslimbruderschaft als Mitglied ihres »parlamentarischen Blocks« bezeichnet. Hamdy sieht eine »innere Gefahr, hervorgerufen durch die Evolution des Virus in existierenden Schweinen und die Vermischung mit Individuen in dicht bevölkerten Gebieten«.
Einen Tag nach der Ankündigung der Massenschlachtung gab Abdelrahman Shahine, der Sprecher des Gesundheitsministeriums, zu, dass die Maßnahme nichts mit der Schweinegrippe zu tun hat: »Die Behörden haben die Gelegenheit genutzt, um das Problem der ordnungswidrigen Schweinehaltung in Ägypten zu lösen.« Es handele sich um eine »allgemeine Gesundheitsmaßnahme«.

Tatsächlich ist die Tätigkeit der Müllsammler gesundheitsschädlich, allerdings vor allem für die Zabaleen selbst. Dass viele von ihnen an Hepati­tis leiden, kümmerte die Regierung bislang jedoch wenig. Nachdem alle anderen Maßnahmen versagt haben, soll den Zabaleen nun die Existenzgrundlage entzogen werden, und die Regierung verspricht nicht einmal, für andere Einkommensquellen zu sorgen.
Die einzige Hoffnung der Zabaleen ist, dass diese Maßnahme, wie so viele andere, nach großspurigen Ankündigungen an der Trägheit der Bürokratie scheitert. Uneinigkeit besteht schon über die Zahl der Schweine, die Regierung spricht von 250 000, Hamdy vermutet allein in Kairo 400 000. Sie werden häufig in Kellern und verwinkelten Hinterhöfen gehalten. Es dürfte nicht einfach sein, all diese Vierbeiner einzufangen, zumal viele Besitzer sie erbittert verteidigen werden. In Khanka wurden die Beamten des Gesundheitsministeriums mit einem Steinhagel empfangen und mussten sich zurückziehen, im Kairoer Armenviertel Manishyet Nasr konnten die Beamten erst nach einer mehrstündigen Straßenschlacht auf Schweinejagd gehen.