Die Barone gehen auf die Straße
Über 15 000 Traktoren standen vergangene Woche überall in Paraguay am Rand der Straßen. Hätten sie auf der Straße gestanden, wäre der Verkehr des Landes zusammengebrochen. Die Sojaproduzenten des Landes wollten so ihre Macht demonstrieren. »Unsere Mobilisierung ist riesengroß, und wir machen das alles, ohne die Straßen zu blockieren, ohne Unbeteiligte zu stören«, lobte Hector Cristaldo die Protestaktion, die er selbst als Präsident der Vereinigung der Produktionsgilden (UGP) mitorganisiert hat.
Mit diesem Protest will die UGP, die vor allem die Soja anbauenden Großgrundbesitzer Paraguays repräsentiert, ihre Macht demonstrieren. Paraguay ist der viertgrößte Sojaproduzent der Welt. Auf großen Farmen, die mit modernstem Gerät bewirtschaftet werden, wird vor allem für den chinesischen Markt produziert.
Während der 61 Jahre andauernden Herrschaft der Colorado-Partei, davon 35 Jahre unter dem deutschstämmigen Diktator Alfredo Stroessner, mussten die Großgrundbesitzer nicht zu solchen Maßnahmen greifen. Auf die Unterstützung der korrupten Politiker und Gerichte konnten sie sich immer verlassen und beständig ihre Ländereien vergrößern. Inzwischen besitzen weniger als zwei Prozent der Bevölkerung über 75 Prozent der Nutzfläche des Landes. Störte doch mal ein Kleinbauernhof oder ein Indigenendorf, ließ man die Polizei eben eine Räumung durchführen oder versprühte einfach mit dem Flugzeug Pestizide, um die Leute zu vertreiben. Tausende Kinder von Kleinbauern und Indigenen sind wegen solcher Giftangriffe mit schweren Behinderungen geboren worden.
Es ist keine neun Monate her, da wählte die Mehrheit der Paraguayaner den ehemaligen Bischof Fernando Lugo, der versprach, gegen die extreme Ungleichheit etwas zu unternehmen. Doch die Organisationen der landlosen Bauern und der Indigenen warteten nicht einfach ab. In den vergangenen Monaten besetzten Kleinbauern Farmland und zerstörten die Erntemaschinen der Sojabarone. Erklärtes Ziel war es, die bevorstehende Soja-Aussaat so weit zu stören wie möglich. Auf der Gegenseite engagierten die Großgrundbesitzer private Milizen. Die Proteste der vergangenen Woche sind nur ein vorläufiger Höhepunkt der Landkonflikte, die sich in der nächsten Zeit verschärfen dürften.
Der Konflikt hat auch eine internationale Dimension. Etwa 300 000 Brasilianer leben in Paraguay. Die meisten dieser Brasiguayos, wie sie genannt werden, sind Sojafarmer. Die brasilianische Armee hat bereits bei Manövern geübt, Brasiguayos aus Paraguay zu evakuieren. Zwar ist Präsident Luis Inácio Lula da Silva mit einem ähnlichen Programm angetreten wie Lugo. Doch Lula beugt sich der Staatsräson, er vertritt auch die Interessen der Agrarindustrie, die in Paraguay viel investiert hat.
Lugo wird bald vor ähnlichen Problemen stehen, schließlich hängt der größte Teil des Bruttoinlandsprodukts von der Sojaproduktion ab. Er versucht noch, den Streit zu schlichten, doch die Interessen sind so gegensätzlich, dass er sich am Ende für eine Seite wird entscheiden müssen. Entweder er vertritt die Interessen der Agrarlobby – oder die seiner Wähler, womit er womöglich einen Militärputsch riskiert, den zahlreiche Linke in Paraguay derzeit befürchten.