In Russland wurde erneut ein Antifaschist ermordet

Streetfight allein bringt’s nicht

Der Mord an einem antirassistischen Skinhead in Moskau zeigt die Grenzen der antifaschistischen Strategie in Russland.

Fjodor Filatow machte sich wie jeden Morgen kurz vor acht Uhr auf den Weg zur Arbeit. Unmittelbar vor seiner Haustür lauerten dem 27jährigen Moskauer vier bis acht junge Männer auf und fielen über ihn her. Filatow blieb keine Zeit mehr, um sich zur Wehr zu setzen. Die Angreifer stachen ohne Zögern mit Messern auf ihn ein. Keine zwei Stunden später erlag er im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen.

Fedjaj – so wurde Fjodor Filatow von seinen Freun­den genannt – wurde am 10. Oktober ermordet. Er war in der noch recht jungen antifaschistischen Szene in Moskau kein Unbekannter. Da er einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau der »Moscow Trojan Skins« geleistet hatte, begegneten ihm viele mit Respekt. Die Gruppenmitglieder und ihr Umfeld bezeichnen sich selbst als Sharp (Skinheads Against Racial Prejudice). Sie verstehen sich als antirassistisch und grenzen sich somit ausdrücklich gegen den rechtsextremen Teil der Skinheadsubkultur ab.
Die Nachricht von dem skrupellosen Mord sorgte in der Szene für Fassungslosigkeit. So mancher Antifaschist, der bereits Konfrontationen mit russischen Neonazis erlebt hat, mag nun eine weitere Eskalation nicht ausschließen. Niemand zweifelt daran, dass das Motiv für den Mord der Hass auf Filatows antifaschistische Überzeugung war.
Im Jahr 2007 haben Neonazis in Russland mehr als 60 Menschen ermordet, 2008 bisher ebenfalls so viele. Die Opfer sind meist »nichtslawisch« aussehende Menschen. Zum Ziel der Angriffe werden aber auch alternativ aussehende russische Jugendliche, wie Olga Rukosyla aus Irkutsk. Naziskins traten die 16jährige am Abend des 8. Oktober an einer Bushaltestelle zu Tode.
Filatow ist das sechste Mordopfer aus der antifaschistischen Szene innerhalb von drei Jahren. Die Tat geschah nicht wirklich überraschend. Fotos des antirassistischen Skinheads und ausführliche Beschreibungen zur Person hatte die Anti-Antifa neben Angaben zu weiteren politischen Gegnern schon vor geraumer Zeit im Internet veröffentlicht. Dazu erhielt Filatow anonyme Mord­drohungen am Telefon. Aber auch damit muss ein engagierter Antifaschist in Russland rechnen. Zwei Wochen vor seinem Tod allerdings berichtete er Freunden davon, dass er den Eindruck habe, auf Schritt und Tritt unter Beobachtung zu stehen. Der Mord war offenbar sorgfältig vorbereitet worden.

Die Tat zeigt aber auch, dass die Antifa-Bewegung in Russland mit ihrer bisherigen Strategie an ihre Grenzen stößt. Nazis aus der subkulturellen Marginalität zu bekämpfen, schien lange Zeit eine brauchbare Methode zu sein. Überraschungsangriffe und der Nimbus der moralischen Überlegenheit verschafften der Antifa zeitweise zwar einen Zulauf. Aber solange die Antifaschisten in der Öffentlichkeit nur als eine Entsprechung zu den rechtsextremen Streetfightern wahrgenommen werden, lässt sich nur schwerlich von einem Erfolg sprechen.
Eigentlich wäre spätestens jetzt eine Debatte darüber angebracht, wie man eine Strategie für die Zukunft entwickelt, die sich nicht allein darauf beschränkt, rechtsextreme Gewalttäter auf Russlands Straßen zu bekämpfen. Aber da das gesellschaftliche Umfeld vielen Antifaschisten allgemein als feindlich erscheint, treffen in der Szene eher die Plädoyers für einen vollkommenen Rückzug aus dem öffentlichen Raum auf Verständnis. Wer sich bereit erklärt, selbst wohlgesinnten Journalisten ein Interview zu geben, sieht sich in der Regel heftigen Vorwürfen ausgesetzt. Neonazis würden durch die Diskussion über ihre Taten in den Medien nur zu weiteren Verbrechen ermuntert, lautet eines der Argumente.
Nicht selten mangelt es sowohl an einem politischen Verständnis als auch an einer entsprechenden Analyse der Verankerung von Rechts­extremen und ihrer Ideologie in der russischen Gesellschaft. Zudem will die Antifa sich von den ungeliebten Bürgerrechtlern und Demokraten unterscheiden und nicht wie diese an die Pflicht der Behörden appellieren, sorgfältige Ermittlungen zu betreiben und Gewaltverbrechen entsprechend der geltenden Gesetzgebung zu ahnden.
In rechtsextremen Kreisen herrscht indes eine völlig gegenteilige Auffassung vom Umgang mit der Öffentlichkeit. Die Naziszene walzt jeden Mord an einem politischen Gegner genüsslich aus. Web­logs und Internetforen strotzen vor menschenverachtenden Kommentaren und gezielter Desinformation. Todesmeldungen von vermeintlichen weiteren antifaschistischen Opfern finden ebenso Verbreitung wie Bekennerschreiben gar nicht bestehender Neonazigruppen. Als das Gerücht aufkam, Filatows Mörder seien von einer am Haus­eingang angebrachten Videokamera gefilmt worden und ihr Äußeres ließe möglicherweise auf eine kaukasische Herkunft schließen, griffen Neonazis dieses Thema bereitwillig auf. Seither kursieren im Netz die Namen nichtexistenter Personen georgischer Herkunft, denen die Täterschaft zugeschrieben wird.

So griffen die Verfasser eine antikaukasische Hetzkampagne der Bewegung gegen illegale Immigration (DPNI) unter der Führung von Alexander Below auf. Anfang Oktober wurde in Moskau die 15jährige Anna Beschnowa brutal vergewaltigt und ermordet. Eine Woche nach ihrem Tod setzten Anhänger der DPNI das Gerücht in die Welt, bei den Tätern handele es sich um Männer aus der russischen Kaukasus-Republik Dagestan. Durch eine gezielte Verbreitung in Weblogs gelangte die durch nichts bewiesene Anschuldigung schließlich in die Presse und sorgte für entsprechenden Aufruhr. Die DPNI bedient sich regelmäßig dieser Methode, konnte allerdings im Nach­hinein bereits mehrmals der gezielten Verleumdung überführt werden.
Es ist nicht auszuschließen, dass die DPNI ihre Kampagne im Auftrag lokaler mafiöser Strukturen betreibt, deren Interesse darin besteht, dages­tanische Arbeitskräfte zu vertreiben. Womöglich handelt sie auch in eigener Sache, denn nach einer Spaltung in drei Fraktionen steckt die DPNI in einer tiefen Krise. Nun holt sich Below seine Bündnispartner auch aus dem westlichen Ausland gemäß dem seit Jahren formulierten Anspruch, die DPNI nach dem Vorbild der europäischen neuen Rechten zu modernisieren. Zur Vorbereitung eines für den kommenden Winter geplanten internationalen Forums gegen »illegale Immigration« reiste als Hauptredner ein Bundesvorstandsmitglied der NPD, Jens Pühse, im September nach Moskau.