Muammar al-Gaddafi soll die Flüchtlinge aufhalten

Patrouillen und Petroleum

Westliche Politiker hofieren den libyschen Staatschef Gaddafi. Er soll der EU bei der Abwehr von Flüchtlingen helfen.

»Wir werden weniger Illegale haben und mehr Öl.« Mit diesen Worten pries der italienische Premierminister Silvio Berlusconi jüngst den politischen Tauschhandel, den er Ende August mit Libyens Staatschef, dem »Revolutionsführer« Muammar al-Gaddafi, abgeschlossen hatte.
Einige Probleme mit dem »Freundschaftsabkom­men« gibt es noch. Gaddafi gehe nicht konsequent genug gegen illegale Migranten vor, sagte der italienische Innenminister Roberto Maroni am Dienstag der vorigen Woche. Deshalb sollen 30 von Libyen bestellte Polizeiboote vorerst nicht geliefert werden. Mit einem solchen Boot will Maroni nach dem Ramadan in Libyen einlaufen, ein Plan, der die libysche Regierung erboste: »Wenn wir ihn empfangen wollen, werden wir das Datum und den Anreiseweg angeben.«

Doch solche Streitereien werden den Beginn einer wunderbaren Freundschaft wohl nicht dauerhaft stören. Oberst Gaddafi, der am 1. September den 39. Jahrestag seiner Machtübernahme an der Spitze einer Gruppe junger Offiziere beging, ist in den westlichen Hauptstädten wieder salonfähig. Dass der als Atlantiker geltende Berlusconi dem einstigen Lieblingsfeind des früheren Präsidenten Ronald Reagan, der 1981 die diplomatischen Beziehungen mit Libyen abbrach, einen Besuch abstattete, war keineswegs ein Affront ge­gen die USA. Auch Großbitannien, dem Gaddafi voraussichtlich Mitte Dezember einen offiziellen Besuch anlässlich eines internationalen Erdölgipfels abstatten wird, hat keine Einwände erhoben.
Kaum eine Woche, nachdem Berlusconi sich am 30. August für einige Stunden in Benghazi auf­gehalten hatte, traf US-Außenministerin Condoleezza Rice selbst in der libyschen Hauptstadt Tripolis ein. Sie sprach mit Gaddafi, dessen Land im April 1986 wegen des Verdachts der Verwicklung in einen Terroranschlag von US-Flugzeugen bombardiert worden war. Danach erklärte sie, ihre Visite »zeige, dass die USA keine permanenten Feinde haben und dass, wenn ein Land zu strategischen Orientierungsänderungen bereit ist, die Vereinigten Staaten bereit sind, ihm zu antworten«.
Bei den Gesprächen ging es um die »Stabilität in Afrika«, aber auch um Regionalmächte im Nahen und Mittleren Osten. Gaddafi legte dabei ein gutes Wort für den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ein und hob die »Bedeutung« guter Beziehungen zu Syrien sowie seine »Rolle in der arabischen Welt« hervor. Hingegen blieb er, als die Rede auf den Iran kam, unverbindlich und sprach nur von der »Notwendigkeit, einen Ausweg für die Spannungen zwischen Washington und Teheran« zu finden.
Ende 2003 verzichtete Libyen auf die Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Waffen. Noch in den achtziger Jahren hatte das Land unter anderem an Plänen für nukleare Militäranlagen gearbeitet, an denen, wie die Süddeutsche Zeitung in der vergangenen Woche berichtete, deutsche Ingenieure und Betriebe seit 1986 beteiligt waren. Unter anderem ist die Rede von einer Wiederaufbereitungsanlage zur Abtrennung von Plutonium. Die Betriebszugehörigkeit der beteiligten deutschen Ingenieure und die Namen der fraglichen Unternehmen wurden bisher nicht bekannt.

Das libysche Regime hat sich ferner zur Entschädigung der Opfer von Terroranschlägen bereit erklärt, unter ihnen die Angehörigen der Insassen eines Flugzeugs, das 1988 über dem schottischen Lockerbie gesprengt worden war. Es halten sich Zweifel, ob die Bombe damals wirklich von einem libyschen Agenten gelegt wurde. Als Verdächtige kommen auch Iraner, Syrer und andere in Betracht. Mutmaßlich war es Gaddafi damals aber sogar egal, ob er die Verantwortung für einen Anschlag übernahm, mit dem er möglicherweise nichts zu tun hatte. Das Schuldbekenntnis erschien ihm als ein vertretbarer Preis für seine diplomatische Rehabilitierung und das Ende der internationalen Isolierung.
Das Embargo fiel, die durch den Mangel an Ersatzteilen und Importtechnologie geschwächte libysche Industrie konnte, auch dank eines hohen Rohölpreises, modernisiert werden. Im Übrigen ist unstrittig, dass Gaddafi zumindest an anderen terroristischen Aktionen in jenen Jahren beteiligt war. Als sehr wahrscheinlich gilt etwa die Urheberschaft für den Anschlag, der 1989 ein französisches Verkehrsflugzeug über dem Niger zum Absturz brachte.
Dass Gaddafi nun dennoch Hände schütteln darf, statt Handschellen angelegt zu bekommen, wenn er westliche Staaten besucht, hängt neben dem Ölreichtum des Landes und dem außenpolitischen Richtungswechsel seines »Revolutionsführers« auch mit der Mittelmeerstrategie der Europäischen Union zusammen. Man will mit den nordafrikanischen Staaten ökonomisch enger ko­operieren und erwartet von ihnen Hilfe bei der Abwehr in Europa unerwünschter Zuwanderer.
Als Grenzwächter für den europäischen Kontinent agierte Gaddafi bereits vor seinem Sinneswandel. Bereits im Jahr 1999 wurden »acht große Lager in dem nordafrikanischen Staat identifiziert, in denen Migrationswillige festgehalten wur­den«, sagt Ali Ben Saad, Geographiedozent an der Universität Aix-en-Provence. In diesen Lagern herrsche Willkür, die an feudale Abhängigkeitsverhältnisse erinnere, rechtsstaatliche Absicherun­gen seien nicht gegeben.

Verbessert hat sich die Situation der Gefangenen nicht. Zudem sind Ali Ben Saad zufolge derzeit rund 60 000 Personen, überwiegend ausländische Staatsbürger, in libyschen Gefängnissen in Haft, die wegen »illegaler Auswanderung« oder unerlaubtem Grenzübertritt verurteilt wurden.
Zu den von Berlusconi in Benghazi unterzeichneten Vereinbarungen gehört, dass Libyen nun erstmals gemeinsame Patrouillen mit Italienern und anderen Europäern im Mittelmeer akzeptiert. Patrouillen, die dazu dienen, im Norden un­erwünschte Einwanderer an der Überfahrt zu hindern. Libyen hat jedoch nicht nur eine 1 700 Kilometer lange Küstenlinie, sondern auch 4 000 Kilometer Landgrenzen, die kontrolliert werden sollen. Gaddafi stimmte nun einer Satelliten­überwachung seiner Südgrenze zu.
Um das Wohlwollen Gaddafis zu gewinnen, hat Berlusconi sich sogar offiziell, im Namen der Nation, für die italienischen Kolonialverbrechen entschuldigt. Libyen war von 1911 bis 1943 von Italien kolonisiert. Nicht allein unter der Diktatur Benito Mussolinis, die freilich die politische Unterdrückung beträchtlich verschärfte, wurden Revolten der Bevölkerung hart bestraft. Es wird geschätzt, dass 20 000 Libyer getötet und weitere 100 000 in Wüstenlager deportiert wurden. Manche Mitglieder des italienischen Kabinetts scheinen sich von der kolonialen Arroganz noch nicht ganz freigemacht zu haben. Doch immerhin will Maroni statt einem Kanonenboot ein Polizei­boot nehmen.