Wirtschaftskrise in Spanien und ihre Folgen für ausländische Arbeitskräfte

Dein ganzes verdammtes Leben

Spaniens Wirtschaft steckt in einer schweren Krise. Die Regierung will nun ausländische Arbeitskräfte zur Rückkehr in ihre Herkunftsländer bewegen.

»Schwierige wirtschaftliche Lage«, »Konjunkturtief«, »Anpassung des Marktes« – lange hatte sich der spanische Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero beharrlich geweigert, das Wort »Krise« in den Mund zu nehmen. Zapatero habe »wertvolle Zeit verloren, indem er über Monate die Realität der Krise verneint und hoffnungslos Synonyme im Wörterbuch gesucht hat, anstatt überzeugende Antworten zu finden«, kritisierte Gaspar Llamazares, der Vorsitzende des Parteienbündnisses Izquierda Unida (Vereinigte Linke), den Ministerpräsidenten.
Anfang Juli musste dann auch Zapatero eingestehen, dass in Spanien seit Monaten eine Krise herrscht. Zwar konnte das Land im zweiten Quartal dieses Jahres ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,1 Prozent verzeichnen. Dies ist aber die niedrigste Zuwachsrate seit 15 Jahren. Alleine in den vergangenen zwölf Monaten haben sich fast eine halbe Million Spanier arbeitslos gemeldet. Spanien hat nun mit fast elf Prozent die höchste Arbeitslosenquote in der Europäischen Union.

Im Rahmen der weltweiten Immobilienkrise platzt auch in Spanien derzeit die »Spekulationsblase«, wie in vielen Medien zu lesen ist. Auch wenn wohl die wenigsten die wirtschaftlichen Zusammenhänge, die sich hinter dieser Floskel verbergen, erklären können, sind die Auswirkungen sehr konkret. Immobilien werden zu Spottpreisen angeboten, die Makler und Immobilienfirmen bleiben auf ihren Objekten sitzen. Die Beschäftigten in der Baubranche – einer der größten Wirtschaftszweige Spaniens – verlieren massenhaft ihre Jobs. Aufgrund der Pleite des größten spanischen Immobilienkonzerns Martinsa Fadesa, der mit über fünf Milliarden Euro verschuldet ist, besitzen viele Spanier Häuser und Wohnungen, die zwar schon komplett bezahlt, jedoch nicht fertig gestellt wurden.
Diese Krise sorgt für Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Nachdem die Menschen jahrelang unter den extremen Preissteigerungen auf dem Immobilienmarkt leiden mussten, droht nun der Verlust des Jobs. Bis 500 Prozent sind die Wohnungspreise in den vergangenen zehn Jahren gestiegen. Viele Eigentümer ließen ihre Häuser leerstehen, die sie in der Hoffnung auf weitere Preissteigerungen vorrangig als Geldanlage und nicht als Wohnraum ansahen. Doch die Nachfrage brach ein, die spanische Maklervereinigung API spricht von einem Wertverlust von 30 Prozent seit Beginn der Immobilienkrise im vergangenen Jahr. Dennoch können sich wegen der allgemeinen Krise die wenigsten eine Wohnung leisten. »In deinem ganzen verdammten Leben wirst du nie ein eigenes Zuhause besitzen« – das Motto einer Kampagne von Mieter­initiativen und Hausbesetzern aus Barcelona ist für die meisten Menschen in Spanien traurige Realität.

Die sozialdemokratische Regierung von Zapatero greift nun auf ein altbewährtes Mittel in Krisenzeiten zurück: die nationale Solidarität. Ab Herbst beginnt die Regierung mit einem groß angekündigten Programm zur »freiwilligen Rückkehr«. Migranten, die wegen ihrer prekären Situation und ihrem hohen Anteil an den in der Baubranche Beschäftigten mit am stärksten von der Krise auf dem Arbeitsmarkt betroffen sind, bekommen eine Starthilfe, wenn sie in ihr Herkunftsland zurückkehren und mindestens die nächsten drei Jahre dort bleiben. Erst dann dürfen sie erneut ein Arbeitsvisum beantragen, dessen Erteilung nicht garantiert wird. Nach fünf Jahren Auszeit wird eine »bevorzugte« Behandlung versprochen. Die Arbeitslosenunterstützung wird ihnen zu 40 Prozent in Spanien ausgezahlt, den Rest bekommen sie dann einen Monat später in ihrem Herkunftsland.
Dieses Angebot stellt für die wenigsten Migranten einen wirklichen Anreiz dar. Zwar ist die Nachfrage nach Rückkehrprogrammen seit Beginn der Krise stark gestiegen. Diejenigen, die wirklich freiwillig zurückkehren wollen, konnten dies auch schon vorher mit ähnlichen Programmen der Regierung, der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und des Roten Kreuzes. Viele migrantische Arbeitskräfte betrifft diese Regelung sowieso nicht. Illegalisierte, die einen beträchtlichen Teil der Bauarbeiter ausmachen, sind ebenso wie Hausangestellte offiziell nicht gemeldet und haben damit kein Anrecht auf staatliche Unterstützung. Viele der legal in Spanien arbeitenden Migranten werden zudem ihren meist mühsam erkämpften Aufenthaltsstatus nicht aufs Spiel setzen wollen. Dass auch Nichtspanier familiäre und freundschaftliche Bindungen haben und sich in Spanien zuhause fühlen könnten, wird komplett ignoriert.

Das Rückkehrprogramm hilft weder der Wirtschaft noch den Migranten. Es erscheint vielmehr als eine populistische Maßnahme der ­Regierung, um angesichts der Krise Handlungsfähigkeit zu beweisen. Dass die spanische Wirtschaft zu einem nicht geringen Teil von migran­tischen Schwarzarbeitern getragen wird, ist ein ­offenes Geheimnis. Die legalen Arbeitskräfte wiederum zahlen enorme Beträge in die Sozial­kasse ein.
Beide Gruppen nehmen den Spaniern keine Arbeitsplätze weg, sondern übernehmen die schlecht bezahlten Jobs und sorgen damit für einen allgemeinen sozialen Aufstieg der autochthonen unteren Schichten in der Arbeitswelt, wie der Soziologe Miguel Pajares in seinem kürzlich veröffentlichten Buch zu »Einwanderung und Arbeitsmarkt« feststellt. Da es nun eng wird auf dem Markt, wollen die Spanier ihre niederen Arbeiten wieder für sich haben. Die Praxis, im osteuropäischen und afrikanischen Ausland Tausende fast rechtlose, schlecht bezahlte Erntehelfer zu rekrutieren, soll ebenfalls stark eingeschränkt werden.
Einer Umfrage des Arbeitsministeriums zufolge nimmt mit wachsender Bedrohung des Wohlstandes auch die Fremdenfeindlichkeit zu, und die Forderungen nach einem Ausschluss der nichtspanischen Bevölkerung aus dem Sozialsystem mehren sich. 69 Prozent der Bevölkerung sind derzeit der Meinung, dass es »zu viele Ausländer« in Spanien gebe. Die Regierung orientiert sich genau an dieser Fremdenfeindlichkeit. Die Staatssekretärin für Migration, Consuelo Rumi, betonte neulich als positiven Effekt der Krise, dass die Anzahl ankommender Migranten sinken werde. Mitte August versuchten wieder einmal 50 westafrikanische Flüchtlinge, den Grenzzaun an der spanischen Enklave Melilla zu überwinden. 23 wurden festgenommen, dabei sollen auch Schüsse gefallen sein. Erst vier Tage zuvor hatte es eine andere Gruppe versucht. Der Regierung zufolge liegt diese Anzahl »im Bereich des Normalen im Sommer«.