Biologie statt Recht

Das französische Parlament hat das Zuwanderungsgesetz verschärft. Künftig sollen Einwanderer ihre Sprachkenntnisse nachweisen. Nachziehende Angehörige sollen zudem ihre biologische Abstammung mit einem DNA-Test belegen. von bernhard schmid, paris

Obwohl die Idee nicht von ihm stammt, findet sie Nicolas Sarkozy gut. Er sei »nicht schockiert« darüber, dass Zuwanderer vor der Erteilung eines Einreisevisums künftig einem Gentest unter­zogen würden, erklärte der französische Präsident in der vergangenen Woche in seiner Fernsehansprache an die Nation. Wenige Stunden zuvor war die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde mit einem Leitartikel erschienen, der mit den Worten endete: »Die neue Regelung normalisiert für die Ausländer eine Methode, die der Gesetzgeber bisher nur in Ausnahmefällen zulassen wollte und die für Franzosen eine Ausnahme bleibt. Damit ist diese neue Regel nicht nur diskriminierend. (…) Sie bricht auf schockierende Weise mit dem Geist des republikanischen Rechts.« Sarkozy erklärte außerdem, nichts gegen die Vorstellung einzuwenden zu haben, die Anzahl bestimmter nach Frankreich einreisender Ausländer – Kinder, die im Namen der Familienzusammenführung zu ihren Eltern nachreisen, und Asylsuchende – jährlich zu begrenzen. Längerfristig, so Sarkozy, wolle er sogar »jährliche Quoten nach Berufsgruppen, nach Qualifikations­niveau sowie nach Erdteilen« festlegen lassen.

Damit wäre die Realität – bei der Behandlung der Ausländer zumindest – endgültig weit entfernt von den Ansprüchen rechtsstaatlicher Prinzipien. Denn diesen zufolge hat jede Person, egal welche Staatsbürgerschaft sie besitzt, bestimmte unveräußerliche Rechte, etwa das Recht auf Schutz vor Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung in seinem Herkunftsland sowie das Recht, mit seinen Familienangehörigen zusammenzuleben. Auch wenn – aus Sicht des bürgerlichen Staats betrachtet – der Gesetzgeber durchaus bestimmten Personen den Zutritt zum Staatsgebiet erlauben oder verwehren kann, so muss doch jeder Einzelfall überprüft werden. Wo aber jährlich Sollziffern vorab festgelegt werden, ist die Behandlung des Einzelnen nicht mehr Ergebnis einer Einzelfallprüfung.

Im Juli war Brice Hortefeux, dem Minister für Immigration, Integration und »nationale Identität«, eine andere Vorgabe erteilt worden. »Die bisherigen Proportionen zwischen Zuwanderung im Rahmen des Familienzusammenzugs und jener zum Zwecke einer Arbeitsaufnahme müssten umgekehrt werden«, schrieb Sarkozy seinem Minister damals. Bislang seien nur rund 10 000 der jährlich erteilten Aufenthaltserlaubnisse an eine Arbeitsaufnahme gekoppelt. Dagegen seien angeb­lich 94 000 Aufenthaltserlaubnisse im vorigen Jahr für den Familienzuzug vergeben worden. Das stimmt – aber nur, wenn man nicht berücksichtigt, dass darunter auch viele Erneuerungen befristeter Aufenthaltstitel sind, deren Inhaber bereits seit längerem in Frankreich leben. Real reisten nur 23 000 Menschen neu ein. Immer noch zu viele aus Sicht Sarkozys, der diese Zuwanderung »erlitten« nennt und ihr den Begriff »ausgewählte Zuwanderung« gegenüberstellt. Damit sind Menschen gemeint, die über Qualifikationen verfügen, an denen es in Frankreich mangelt.

Das neue Einwanderungs- und Ausländergesetz, das in der vorigen Woche in erster Lesung von der Nationalversammlung angenommen wurde, soll diese Vorgaben so weit wie möglich erfüllen. Deshalb erschwert es den Nachzug von Familienmitgliedern. Ihre Französischkenntnisse sowie ihr Respekt vor den »Werten der Republik« sollen nun bereits im Herkunftsland untersucht werden. Im Fall mangelnder Kenntnisse muss die Person einen zweimonatigen Französischkurs besuchen. Ohne den Teilnahmenachweis wird kein Visum erteilt.

Wie ein zweimonatiger Crashkurs ausreichende Sprachkenntnisse vermitteln soll, erklärt das Gesetz allerdings nicht. Aber es ging ja auch darum, den Nachzug von Familienmitgliedern zu verhindern. Denn viele, die ihren Familienmitgliedern nachziehen wollen, werden de facto aus ökonomischen Gründen davon abgehalten werden, ein Visum zu beantragen, sollte es ihnen an Französischkenntnissen mangeln. Denn entsprechende Kurse wird man nur in den Hauptstädten und vielleicht noch manchen urbanen Zentren der Auswanderungsländer angeboten bekommen. Wer auf dem Dorf lebt, hat von vornherein verloren.

Das war aus Sicht eines Teils der französischen UMP noch nicht genug. Deshalb wurde auf Antrag des Parlamentariers Thierry Mariani, der zum rechten Flügel der Partei gehört, ein Zusatzantrag in die Gesetzesvorlage aufgenommen. Ihm zufolge soll künftig den Bewerbern um ein Visum im Rahmen einer Familienzusammenführung »angeboten« werden, einen DNA-Test durchzuführen, um festzustellen, dass die angegebenen Verwandtschaftsverhältnisse tatsächlich den bio­logischen Realitäten entsprechen. In vielen Ländern seien die Standesamtsdokumente oft falsch.

Bei französischen Menschenrechtsgruppen und Bürgerinitiativen sowie der linken Opposition stößt die neue Bestimmung auf vehemente Kritik. Einerseits wird von ihnen, aber auch von einzelnen liberalen Kritikern innerhalb der UMP, darauf hingewiesen, dass soziale und juristische Verhältnisse eben in der bisher vorherrschenden Konzeption nicht notwendig auf »biologischen Realitäten« fußen. So sieht der französische Code Civil vor, dass jedes in einer Ehe geborene Kind – kraft einer »Unterstellung« des Gesetzes – als Sohn oder Tochter des jeweiligen Ehemanns gilt. Die Antirassismusorganisation MRAP fügt in ihrem Kommuniqué sarkastisch hinzu, die französische Regierung könne ja eines Tages dieselben Tests auch für alle Familien – also auch einheimische – vorsehen, die etwa Kindergeld beantragen: »Dies würde zweifellos zu zahlreichen ›Überraschungen‹ führen.«

Wegen der aufflammenden Polemik griff Premierminister François Fillon ein, um das Gesetz an diesem Punkt abzuschwächen. Die Änderungen betreffen zwei Punkte. Das Gesetz soll bis Ende 2010 »probeweise« eingeführt werden, um danach Bilanz zu ziehen. Ferner wird in einer Neufassung des Textes die »Freiwilligkeit« des Gentests für den Visumsbewerber betont.

Ob diejenigen, die sich nicht »freiwillig« der Entnahme einer DNA-Probe unterziehen, dann noch eine Chance haben, ein Visum zu erhalten, bleibt offen.