Von Erd- und Marsmenschen

Wo sind eigentlich die Marsmenschen geblieben? Es sind nicht allein physikalische Erkenntnisse, die das Interesse an der Marsmenschfantasie haben abflauen lassen. ein nachruf von fabian sänger

Er ist klein, grün, grinst und hat eine Antenne auf dem Kopf: der Marsmensch. Jeder kennt ihn, jeder mag ihn, obwohl ihn noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat. Der Erdmensch, bekanntlich durch und durch von Xenophobien aller Art besessen, konnte diesen merkwürdigen grünen Zwerg lieben, weil er so niedlich aussah – und weil er weit, weit weg war. Doch es gibt auch andere Vorstellungen vom Marsmenschen. Bereits in dem 1898 erschienenen Roman »Krieg der Welten« von H. G. Wells sind die Marsbewohner bösartige Aggressoren, die fast sämtliches Leben auf der Erde auslöschen, und im Film »Mars Attacks« von 1996 erweisen sich die Marsianer ebenfalls als hinterlistige, bösartige Geschöpfe, als Feinde der Menschen.

Die Vorstellung vom Marsmenschen ist oder war ambivalent. Wie jede Vorstellung vom Fremden. Niedlich müssen sie schon sein, bizarr, trottelig oder böse und gemein – und irgendwie beides. Der potenzielle Gegner wird zur Witzfigur, wird lächerlich gemacht bzw. zum omnipotenten Schuft erklärt. Schon allein deshalb, um die eigene Feindseligkeit ihm gegenüber legitimieren zu können und um ein materielles oder moralisches Überlegenheitsgefühl zu entwickeln. Dass Vorurteile und Aversionen besonders gut gedeihen, wo sie nicht durch die Realität überprüft werden können, zeigt das Beispiel des Marsmenschen par excellence. Anti-Marsianerismus ist auch ohne Marsianer möglich.

In den vergangenen zehn Jahren ist allerdings immer weniger vom Marsmenschen die Rede. Ufo-Sichtungen sind zwar immer noch und auch gerade zurzeit wieder im Trend, aber Vorstellungen von Marslebewesen werden kaum noch verbreitet. Der Mars ist näher gerückt. Inzwischen geht der Mensch kaum noch davon aus, eines Tages von Marsianern angegriffen zu werden, vielmehr, so ist er sich sicher, wird er selbst einmal der Invasor sein. Wir erobern den Mars, nicht umgekehrt. Da stört natürlich jeder Marsmensch, mit dem man gegebenenfalls in den Clinch geraten könnte. Um die eigene Täterschaft als künftiger Kolonist vorab zu legitimieren, wird die Existenz des Marsmenschen also lieber negiert, geleugnet, dann kann die Inva­sion sauber vonstatten gehen, ohne Rücksichtnahmen.

Der Abschied von der Marsmenschphantasie ist also keinesfalls allein damit zu erklären, dass man sich heute im Unterschied zu früher relativ sicher wäre, dass es kein Leben auf dem Mars gibt – denn davon ist man auch bei der Zeichnung des grünen Männchens und des bösen Marsianer-Killers ausgegangen. Es war immer bloß eine Phantasie. Und so gesehen eine harmlose. Denn da es wohl tatsächlich keine Marsmenschen gibt, stellt ihre Diskriminierung kein allzu großes moralisches Problem dar. Das ist im Hinblick auf andere xenophobe Phantasien auf Erden leider nicht so.