Nicht wie Frauen leben

Der pakistanische Präsident Musharraf schickt Truppenverstärkungen in die Grenzregionen. Den Einfluss der ­Jihadisten dürfte das nicht mindern. kommentar von jörn schulz

Maulana Abdul Aziz hat schnell zu seiner alten Form zurückgefunden. Bei der Beerdigung sei­nes Bruders, der bei der Erstürmung der Roten Moschee getötet worden war, prophezeite der Geistliche: »Pakistan wird bald eine islamische Revolution erleben, so Gott will.« Die Islamisten haben sich entschieden, seine Flucht in einer Burka (Jungle World 28/07) als Intrige der Regie­rung zu betrachten.

Auch Ayman al-Zawahiri, der Stratege von al-­Qaida, spricht in seiner Videobotschaft von einem »verachtungswürdigen Verbrechen des pa­kistanischen Militärgeheimdienstes, der Maulana Abdul Aziz auf Be­fehl Musharrafs im Fern­sehen in Frauenkleidern zeigte«. Er rief die Pakistanis zum Jihad gegen Präsident Pervez Mu­sharraf auf: »Lebt nicht wie Frauen mit Bärten.« Das Vi­deo wurde am Mittwoch der vergangenen Woche veröffentlicht, während pakistanische Soldaten noch um die Rote Mo­schee kämpften. Offenbar war Zawahiri die Sache so wichtig, dass sonst übliche Vorsichtsmaß­nahmen, die Veröffentlichungen verzögern, unterblieben.

Möglicherweise war die Eskalation des Konflikts um die Rote Moschee eine Reaktion auf Pläne der Regierung, in Afghanistan stationierten Nato-Truppen Operationen auf pakistanischem Territorium zu gestatten. Syed Saleem Shahzad berichtete Anfang Juli in Asia Times Online, eine entsprechende Ankündigung Musharrafs stehe unmittelbar bevor. Die Regierung hat nun Truppenverstärkungen in die North West Frontier Province entsandt. Von einer Genehmigung für Nato-Truppen, in Pakistan zu operieren, ist dagegen nicht die Rede. Die Anstrengungen der Jiha­disten waren also vielleicht nicht umsonst. Denn es ist unwahrscheinlich, dass die Armee diesmal mehr erreicht als bei diversen Offensiven seit dem Frühjahr 2005, die die Machtübernahme bewaffneter Islamisten in Teilen der Grenzregion nicht verhinderten. Das bislang einzige Ergebnis des Truppenaufmarsches war eine Zunahme der Anschläge auf Polizei und Militär.

Derzeit spricht alles dafür, dass die Destabilisie­rung weiter fortschreitet. Musharraf ergreift halb­herzige Maßnahmen gegen die Islamisten und gibt zu verstehen, dass er mehr nicht tun könne, ohne verheerenden Terror zu provozieren, während Teile des Militär- und Geheim­dienst­apparats die Jihadisten unterstützen. Die etablierten Islamisten vergrößern unterdessen die Macht in ihren Bastionen und ar­beiten an der Durchsetzung der Sharia im ganzen Land, Tali­ban und al-Qaida planen weitgehend unge­stört ihre Operationen.

Im Exil posieren Politiker der großen Oppositionsparteien PPP und Muslim Liga als Säkula­risten, obwohl sie mit den Islamisten koaliert haben und unter ihrer Herrschaft die Taliban hoch­gerüstet wurden. Und die westlichen Regierungen unterstützen weiterhin Musharraf, weil sie glauben, ohne ihn werde alles noch viel schlimmer kommen.

Die Islamisten, die bei den Wahlen landesweit nie mehr als 15 Prozent der Stimmen gewannen, können das Regime aus eigener Kraft nicht stürzen. Es ist jedoch möglich, dass sie sich mit unzufriedenen Generälen verbünden, die den Verlust staatlicher Autorität beklagen und Mu­sharrafs Entspannungspolitik mit Indien ablehnen. Wahrscheinlicher als eine säkulare Diktatur nach dem Vorbild Atatürks wäre dann ein zweites islamistisches Militärregime. Doch anders als unter Zia ul-Haqq, der zwischen 1977 und 1988 herrschte, verfügen die Generäle nun über Atombomben.