Geschenkt ist geschenkt

In der Gewerkschaft Erziehung und Wissen­schaft (GEW) in Hamburg wird darum gestritten, was mit einer gewerkschaftseigenen Immobilie geschehen soll, die im Jahr 1935 »arisiert« wurde. von andreas blechschmidt

Es geht um die Frage, ob die GEW eine späte Profiteurin der nationalsozialistischen »Arisierungen« ist. Eine jüdische Erbengemeinschaft verkaufte das im Universitätsviertel gelegene Gründerzeithaus im April 1935 an die bereits im »Nationalsozialistischen Lehrerbund« (NSLB) gleichgeschaltete »Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens«. Die GEW Hamburg wurde juristische Rechtsnachfolgerin jener »vaterländischen Gesellschaft«.

Auf der Landesvertreterversammlung im April beschloss man mit 57 zu 50 Stimmen, sich nicht von der Immobilie zu trennen. Statt den erhofften Schlussstrich ziehen zu können, ist die öffent­liche Kontroverse seither voll im Gange. Sogar Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hat sich zu Wort gemeldet. Dass sich eine als links geltende Gewerkschaft von einem CDU-Bürgermeister per Presseerklärung unter der Über­schrift »Moralische Pflicht muss Vorrang haben vor materiellen Interessen« belehren lassen muss­te, darf als Novum gelten. »Ich appelliere dringend an die GEW, diese Entscheidung zu überdenken (…) Es geht hier auch nicht um juristische Fragen, sondern um die moralische Verantwortung, um die historische Verantwortung und um menschlichen Anstand«, hieß es in dem Papier.

Der Ausgangspunkt des Konflikts um die Stadtvilla Rothenbaumchaussee 19 (kurz: »Ro 19«) waren gewerkschaftsinterne Recherchen zur verdrängten Geschichte der Immobilie. Zunächst sah alles nach einer mustergültigen Aufarbeitung aus. Die Zwischenergebnisse wurden in der gewerkschaftseigenen Zeitung veröffentlicht, im November 2005 erfolgte ein Hearing, an dem renommierte Historikerinnen und Historiker teilnahmen. Zuletzt wurden sogar informelle Gespräche darüber geführt, das Gebäude an die Stadt zu übereignen, um dort ein Museum für die Geschichte der Juden in Hamburg einzurichten. All diese Überlegungen sind mit dem Beschluss der GEW, das Gebäude nicht zu veräußern, obsolet geworden.

Klaus Bullan, der Vorsitzende der GEW Hamburg, sagte dazu: »Dass es durchaus moralische Probleme damit gibt, leugnen wir nicht. Aber aus unserer Sicht ist es nicht der richtige Weg, seiner moralischen Verantwortung gerecht zu werden, indem man das Gebäude weggibt.« Tatsächlich bestehe ein »Konsens, dass dieses Gebäu­de 1935 unter Wert verkauft worden ist«. Auch lässt er gelten, dass grundsätzlich jeder Verkauf nach 1933 unter dem Verdacht steht, eine »Arisierungsmaßnahme« gewesen zu sein. Doch im konkreten Fall solle das gerade nicht zutreffen. »Der Historiker Frank Bajohr hat in einem Hearing unserer Gewerkschaft im November 2005 zu bedenken gegeben, dass es trotz allem immer auch auf den konkreten Einzelfall ankomme. Und im Falle der Ro 19 gehen wir davon aus, dass es keinen tödlichen Verfolgungsdruck gegeben hat, der die jüdische Erbengemeinschaft zum Verkauf gezwungen hat. Vielmehr sprechen Indizien dafür, dass die damaligen jüdischen Besitzer noch einen gewissen Spielraum hatten.«

Der Landesvorstand der GEW erklärte, dass »die Eigentümer in diesem konkreten Fall, anders als in anderen, nach dem Krieg keine Restitutionsansprüche gestellt haben und nicht alle Vorbesitzer Hamburg und Deutschland nach dem Verkauf verlassen haben«. Einer der ehemaligen Eigentümer der Ro 19 habe sogar nach 1935 eine andere Immobilie in Hamburg erworben.

Mit dieser eigenwilligen Interpretation der histo­rischen Fakten und der neuen Kategorie des »töd­lichen Verfolgungsdrucks« stellt die GEW Hamburg das geltende Verständnis von »Arisierung« in Frage: ein gesamtgesellschaftlicher Prozess der Ausplünderung auf der Grundlage eines aggressiven antisemitischen Konsenses, der auch ohne administrative Maßnahmen der nationalsozialistischen Machthaber auskam. So gingen die Alliierten nach 1945 von einer »prinzipiellen Entziehungsvermutung« bei allen Rechtsgeschäf­ten zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deut­schen aus. Zwar gab es nach 1935 in Einzelfällen Verkäufe mit angemessenen Verkaufserlösen. Dass ausgerechnet im Falle der Ro 19 die jüdischen Verkäufer auf Augenhöhe mit dem NSLB verhandelt haben sollen, kann als Wunschvorstellung der GEW Hamburg gelten, zumal die meisten Mitglieder der verkaufenden Erbengemeinschaft in den Jahren 1936/37 emigrierten.

Schließlich sind auch die Umstände des Erwerbs der Immobilie durch die GEW nach 1945 in der Kritik. Ausgerechnet der ehemalige Leiter der Ab­teilung Wirtschaft und Recht des Nationalsozialis­tischen Lehrerbunds, Kurt Holm, durfte damals bezeugen, dass der Verkauf im Jahre 1935 keine »Arisierung« dargestellt haben soll, und das auf Initiative eines ehemaligen Mitglieds der NSDAP, Wilhelm Bernhardt. Bernhardt war seit 1933 Vermögensverwalter des NSLB gewesen und in dieser Funktion nach 1945 für die GEW weiter tätig. Auch half vermutlich der damalige Landesamtsleiter für Vermögenskontrolle, Fritz Klesperer, bei der Übertragung der Immobilie. Der wiederum war in der NS-Zeit als Regierungsrat für die Ausplünderung jüdischer Familien in Hamburg mitverantwortlich.

Für Kritiker wie Benjamin Ortmeyer, Vor­stands­mitglied der GEW in Frankfurt am Main, steht »die Glaubwürdigkeit der GEW als Ganzes auf dem Spiel«. Ortmeyer befürchtet, dass im Hamburger Landesverband »nicht der geschichtsrevisionistische Mechanismus erkannt« werde, welcher in der Tendenz zur »Umkehr der Beweislast« liege. Ortmeyer spielt damit auf den nach 1945 geltenden Grundsatz an, nach dem mutmaßliche Arisierungsprofiteure zu beweisen hatten, dass ihr Geschäft auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus zustande gekommen wäre. Aus der Sicht der Kritiker hat die Gewerkschaft diesen Be­weis bisher nicht erbracht.

Der Versuch der GEW Hamburg, die Entscheidung bezüglich der Ro 19 in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, indem sie ab sofort jährlich 10 000 Euro für einen Fonds gegen rassistische und fremdenfeindliche Aktivitäten spen­det, ist gescheitert. Benjamin Ortmeyer sagte dazu: »Die 10 000 Euro sind ein zentnerschwerer Witz. Deutlich wird die Schuld und Verantwortung der GEW, unlogisch ist dann die Weigerung der Aufgabe des Hauses, zynisch ist die Summe bei jährlichen Einnahmen von 150 000 Euro.«

Damit deutet er den sehr schlichten Grund für das Festhalten der Gewerkschaft an der Ro 19 an: Offenbar will man auf die Mieteinnahmen, die das Gebäude einbringt, nicht verzichten. Das scheint schwerer zu wiegen als Fragen der politischen Moral. Zumindest insofern steht die GEW Hamburg bei der derzeitigen Beschlusslage in der historischen Kontinuität ihrer Vorläuferorganisation.