Should I stay or should I go?

Wer protestiert in Heiligendamm wogegen, und wer demonstriert wofür? Die Aufrufe der Globalisierungskritiker hat peter bierl gesichtet

Die letzten Aufrufe zu den Protesten gegen das G8-Treffen Anfang Juni sind geschrieben. Die Texte einzelner Gruppen lesen sich manchmal wie Grundsatzerklärungen, die Bündnisaufrufe bieten meist ein Sammelsurium auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners.

Immerhin wartet Attac Deutschland in seinem Aktionsaufruf mit der sympathischen Parole »Wohlstand für alle« auf, während sich die DGB-Jugend mit »Guter Arbeit weltweit« begnügen würde. Die Friedensbewegung stören die »Kriegsdrohungen gegen den Iran«, sie verlangt »Verhandlungen ohne Vorbedingungen im Nahen und Mittleren Osten«. Nicht erklärt wird, wie man mit einem Regime verfahren soll, dessen Repräsentanten mit deutschen Nazis die antisemitischen Wahnvorstellungen teilen und bald über Atomwaffen verfügen könnten, um ihre Vernichtungsdrohungen gegen Israel in die Tat umzusetzen.

Die Grünen fordern, dass es bei der Ausbeutung von Mensch und Natur fair, transparent und gerecht zugehen möge. Den großen Bündnisaufruf gegen das Treffen der G8 konnten sie als Partei, deren Führer den Angriff der Nato auf Jugoslawien im Jahr 1999 forciert hatten, nicht unterschreiben, weil darin der Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Krieg festgestellt wird. Es schien so, als hätten sich die Grünen damit aus dem Protestbündnis katapultiert. Aber sie dominieren, zusammen mit Attac und diversen entwicklungspolitischen, christlichen und Umweltverbänden, den international besetzten Alternativgipfel, der vom 5. bis 7. Juni stattfinden wird.

Die »Interventionistische Linke« zählt zu den Initiatoren dieses Gipfels und unterläuft damit ihre eigene, richtige Forderung einer »klaren Abgrenzung gegen Rechts«. Denn die prominentesten Redner des Kongresses sind Ignacio Ramonet, der Chefredakteur der internationalen Monatszeitschrift Le Monde Diplomatique, Walden Bello, Sprecher der philippinischen Gruppe »Focus on the Global South«, und die Ökofeministin Vandana Shiva – drei Personen, die für Eurochauvinismus, Anti­amerikanismus, das Bündnis mit Islamisten und die Perspektive einer reaktionären Subsistenzwirtschaft stehen.

So konnte man etwa von Ramonet lesen, Frank­reich und Deutschland setzten, um die heutigen Probleme der Mensch­heit zu lösen, »auf den ewigen Frieden, Präsident Bush und seine Umgebung dagegen auf den ewigen Krieg«. Vandana Shiva wetterte zusammen mit Maria Mies von Attac gegen eine »Homogenisierung der Kulturen nach dem nordamerikanischen Coca-Cola- und Fast-Food-Modell«. In einem Kommentar wertete sie die Anschläge auf das World Trade Center als Reaktion auf die Zerstörung von Werten, kultureller Verschiedenheit und Umwelt. So wie Tiere, die gewalt­tätig werden, weil sie in der industriellen Landwirtschaft unter »KZ-Bedingungen« leben müssten, reagiere auch der Mensch.

Walden Bello schimpfte auf dem von der Hizbollah organisierten »International Strategy Meeting« der Globalisierungskritiker in Beirut im September 2004 gegen »Israels zunehmend völkermörderische Politik«. Die Kluft zwischen westlichen Globalisierungskritikern und den arabisch-islamischen Bewegungen gelte es zu schließen und den Imperialismus zu bekämpfen, »der unsere arabischen und muslimischen Genossen als Terroristen oder Unterstützer von Terroristen denunziert«.

Vielleicht glaubt die »Interventionistische Linke«, eine klare Abgrenzung sei nur gegenüber der NPD nötig. Das könnte man aus dem Beitrag schließen, den Thomas Seibert in der Broschüre »G 8: Die Deutung der Welt« veröffentlicht hat. Das Heft, eine Gemeinschaftsproduktion der Redaktionen von analyse&kritik, Arranca!, Fantômas und So oder So, enthält allerlei Aufsätze unterschiedlichster Güte, wobei die strategisch gemeinten Beiträge am schwächsten sind. »Neue Gemeinplätze« hat Seibert seinen Text treffend betitelt. Er übernimmt die pseudolinke, oberflächliche Begrifflichkeit von Negri und Hardt. Für ihn gibt es bloß Empire und rebellische Multitude. Statt von Antisemitismus und Diktatur, Warlords und Terror zu sprechen, subsumiert Seibert das Regime in Teheran, den irakischen und den afghanischen »Widerstand«, nicht näher benannte Aufständische und Rebellen in Afrika und Asien sowie »zahllose Akteure der Gewalt« unter der Bezeichnung »dunkle Seiten der Multituden«.

Es wäre nötig, sich mit solchen Leuten auseinanderzusetzen, statt deren brutale Praktiken und Ideologien sprachlich zu vertuschen; und das müsste bündnispolitische Konsequenzen haben. Seibert zieht es vor, die Beliebigkeit zu beschwören: »Der Pluralismus der Kämpfe und Subjektivitäten (widersteht) jeder Vereinheitlichung.« Der Jargon anderer Autoren der Broschüre erinnert bisweilen an Unternehmensberater, etwa wenn es heißt, es gelte »Pluralität als Potenzial anzuerkennen und neue Horizonte zu eröffnen«.

Trotz solcher Phrasen ist das Empire-Multitude-Schema binär. Innerimperialistische Konflikte und ihre Beilegung, etwa auf G8-Treffen, Klassenkämpfe und Kollaboration von Beherrschten und herrschenden Klassen, ihre gemeinsamen Raubzüge, der Chauvinismus des relativen Wohlstands in den Metropolen, das alles übersteigt das Fassungsvermögen dieses Ansatzes.

So fordert Seibert, dass die Opposition gegen die kapitalistische Globalisierung (gibt es eine andere?) mit einer Opposition gegen den Krieg zusammenfallen müsse. Das ist für ihn die Lehre aus dem »Knick in der Mobilisierung« gegen den G 8-Gipfel in Köln 1999, den er auf die Beteiligung der rot-grünen Koalition am Kosovo-Krieg zurückführt. Seibert erklärt nicht, warum eigentlich die deutsche Multitude damals nicht gegen Globalisierung und Krieg demonstriert hat. Um Seiberts Terminologie zu benutzen: Gegen Jugoslawien führten die »cäsarische Gewalt« der USA und ihre »willige Aristokratie«, die deutsche Regierung, gemeinsam Krieg, im Fall des Irak stellte sich die »willige Aristokratie« gegen ihren »cäsarischen« Herren. Die traditionell obrigkeitshörige deutsche Multitude orientierte sich immer an der heimischen Aristokratie: Sie applaudierte dem Jugoslawien-Krieg und demonstrierte vier Jahre später mit dem Bundeskanzler für eine Achse Paris–Berlin–Moskau gegen die USA.

In der Broschüre der »Interventionistischen Linken« wird die von der sektiererischen Socialist Workers Party dominierte Answer-Koalition in den USA als Teil einer »vielfältigen Protestkultur« gelobt, ohne zu fragen, warum Answer das irakische Baath-Regime bejubelte, das mehr Menschen und auch mehr Linke umgebracht hat als Pinochet & Konsorten in Lateinamerika. Als Beispiel für positive »Basisproteste« werden pauschal »militante Öko- und Tierschutzaktivistinnen« genannt, jene Erdbefreiungskrieger, Tierrechtler und Tiefenökologen, die einen Einwanderungsstopp aus ökologischen Gründen fordern und der Masse der Menschheit den Tod wünschen, um ihre Utopie »Zurück zur Wildnis« zu verwirklichen.

Seibert freut sich über linke Parteien und links regierte Nationalstaaten, statt zu fragen, was es bringt, wenn die Rifondazione Comunista in der italienischen Regierung neoliberale Politik mitträgt oder unter Präsident Lula in Brasilien die Landarbeiterbewegung von Todesschwadronen traktiert und der Regenwald am Amazonas abgeholzt werden. Die sozialdemokratische Antwort darauf lautet: Wenn wir es nicht tun, machen es die anderen. So wird aus der »Interventionistischen Linken« eine Mitmacher-Linke.