Lauter Diktaturen

Das Bundeskabinett beschloss eine Rente für Stasi-Opfer. In der Debatte wurden sie mit den Opfern des Nationalsozialismus verglichen. von ron steinke

Menschen, die in der DDR für mindestens sechs Monate aus politischen Gründen inhaftiert waren, sollen künftig einen Anspruch auf eine Opferrente von monatlich 250 Euro erhalten. Das verkündete das Bundeskabinett Mitte voriger Woche. Voraussetzung für die Gewährung der Rente soll sein, dass die Empfänger bedürftig sind, also weniger als rund 1 000 Euro im Monat zur Verfügung haben.

Die Reaktionen auf diesen Beschluss reichten von verhalten positiv bis überaus zufrieden. Auch die vorangegangene Diskussion in der Großen Koalition war kurz und bündig ausgefallen. Streit hatte es nur über die Höhe der zu gewährenden Zahlungen gegeben. Manche wollten den Rentnern monatlich 500 Euro überweisen.

Die allseits große Bereitschaft, rasch Entschädigung zu zahlen, dürfte dabei allerdings nicht ausschließlich mit dem Leid der Menschen zu erklären sein, die von der Stasi für ihre wirkliche oder vermeintliche politische Haltung etwa mit systematischem Schlafentzug oder psychischen »Zersetzungsmaßnahmen« in Gefängnissen traktiert wurden. Für die verschiedenen politischen Akteure im Bundestag spielte offenbar auch die eigene Geschichte eine gewisse Rolle oder das, was man gerne dafür halten möchte.

Die Linkspartei kritisierte in der vorangegangenen Bundestagsdebatte Anfang März die DDR am meisten. Ihr Redner Volker Schneider kündigte an, die Partei werde das so genannte 3. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz, das die Regierungsfraktionen noch vor der Sommerpause vorlegen wollen, ablehnen, nur um eine noch deutlich höhere Entschädigung zu fordern. Im Übrigen sei er der Ansicht, dass der Entschluss von Union und SPD 16 Jahre später komme, als dies angemessen gewesen wäre.

Den Umgang der DDR mit Oppositionellen verurteilte Schneider dabei besonders ausführlich: »Systematisch wurden Neinsager mit einer Reihe von Schikanen und Repressalien überzogen, von denen die im Antrag der Regierungs­koalition genannte Haft oft nur der finale und sichtbarste Ausdruck eines Systems der Einschüchterung und Unterdrückung war.« Ob das Schneiders Fraktionskollege Lutz Heilmann auch so formuliert hätte? Er zog für die Linkspartei über die Landesliste in Schleswig-Holstein in den Bundestag ein und war nach eigenen Angaben noch bis 1990 hauptamtlicher Mitarbeiter der Abteilung »Personenschutz« bei der Stasi. Mit Volker Schneider schickte die Linksfraktion dann doch lieber ein Wasg-Mitglied aus dem Saarland – einen doppelten Wessi quasi – in der Debatte vor.

Die Redner der Koalitionsparteien nutzten unterdessen die Gelegenheit, um das in der DDR begangene Unrecht mit den Verbrechen des Nationalsozialismus in Beziehung zu setzen. Der ostdeutsche SPD-Abgeordnete Markus Meckel sagte, dass die Opfer der »anderen Diktatur« von der Bundesrepublik umfassend entschädigt worden seien, sprach von »Opfern des Nationalsozialismus« und »Opfern des Kommunismus« und forderte, dass gegenüber letztgenannten nun »die Proportionen« gewahrt werden müssten.

Er betonte, die Zahlungen an ehemalige Stasi-Häftlinge könnten leider nur deswegen nicht so hoch ausfallen wie eigentlich gewünscht, weil man die »Verhältnismäßigkeit zu den Entschädigungsleistungen für NS-Opfer« wahren müsse. Die Höhe der geplanten Opferrente für Stasi-Häftlinge und die Bedürftigkeitsklausel wurden daher aus einer Regelung übernommen, die im Jahr 1992 für ehemalige jüdische KZ-Häftlinge geschaffen wurde. Der Sprecher der ostdeutschen Abgeordneten in der Unionsfraktion, Arnold Vaatz, nennt dies die »Prämisse der Gleichbehandlung der Opfer von vor 1945 mit den Opfern von nach 1945«.

Der Vergleich zwischen den verschiedenen Gruppen von Opfern ist jedoch ebenso absurd und unangebracht, wie es die gesamte implizite Gleichsetzung der DDR mit dem NS-Staat ist. Unter dem Begriff der »beiden Diktaturen auf deutschem Boden« tauchen der nationalsozialistische Vernichtungskrieg und die Shoah allenfalls noch als Erscheinungsformen eines vermeintlich allgemeinen Phänomens auf, unter dem auch die Ostdeutschen 40 Jahre lang zu leiden gehabt hätten. Wie explizit diese Sichtweise künftig von der Bundesregierung gefördert werden soll, könnte sich in Kürze zeigen, wenn der Kulturstaatsminister, Bernd Neumann (CDU), seine neuen »Leitlinien« zum offiziellen Gedenken an die »beiden Diktaturen« vorlegt.

Wenn Politiker der Bundesrepublik schon ausdrücklich den Anspruch geschichtspolitischer Kohärenz (»Verhältnismäßigkeit«) erheben, dann sollte man sie aber durchaus einmal beim Wort nehmen. Der Unterschied zwischen der gegenwärtigen Diskussion über eine Entschädigung von Stasi-Opfern einerseits und etwa der Politik um die Entschädigung von ehemaligen NS-Zwangsarbeitern andererseits ist frappierend. Was der bundesrepublikanischen Politik im Umgang mit der DDR anscheinend so leicht von der Hand geht, hat bei ihr im Umgang mit den Verbrechen des Nationalsozialismus jahrzehntelang nur Unwillen hervorgerufen.

Die Entschädigungsansprüche von ehemaligen NS-Zwangsarbeitern stellte die damals von der CDU geführte Bundesregierung noch bis in die neunziger Jahre völlig in Abrede. Erst im Jahr 2001 gab es die ersten Auszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Osteuropa – ohne jedoch ihre Rechtsansprüche anzuerkennen. Was als »Geste der Versöhnung« bezeichnet wurde, sollte schlicht die aussichtsreichen Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen in den USA stoppen.

Die heutige Bundesregierung, die sich gegenwärtig so sehr für die Entschädigung von Stasi-Opfern einsetzt, übt zugleich noch immer Druck auf die Regierung von Griechenland aus, damit diese die Klagen von Überlebenden von SS-Massakern unterbinde, die bis heute auf eine – und wenn auch nur symbolische – Entschädigung warten. Die Bundesrepublik bleibt ihnen gegenüber zahlungsunwillig. Nachdem das griechische Justizministerium im Jahr 2000 gegen Griechenlands höchstes Gericht einschritt und die bevorstehende Pfändung des Goethe-Instituts in Athen verhinderte, haben sich die Opfer des SS-Massakers in Distomo nun an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt.

Dort hat die Bundesregierung allerdings erst kürzlich die Entschädigungsansprüche von Opfern eines SS-Massakers im griechischen Kalavryta mit dem Hinweis auf ihre Staatenimmunität erfolgreich abwehren können. Vor dem Gerichtshof wird demnächst auch der Fall von mehr als 100 000 ehemaligen italienischen Militärinternierten verhandelt. Ihnen verweigert die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft«, die im Jahr 1999 von der Bundesregierung und deutschen Privatunternehmen gegründet wurde, mit einer gewagten Auslegung des eigenen Regelwerks die Anerkennung als Zwangsarbeiter. Die Militärinternierten, die Zwangsarbeit in der deutschen Rüstungsindustrie leisten mussten, werden von der Stiftung als »Kriegsgefangene« bezeichnet, deren Entschädigung völkerrechtlich nicht vorgesehen ist.

In seiner Rede vor dem Bundestag sagte der SPD-Politiker Meckel: »Es war oft ein sehr schwieriger Prozess – das gilt für beide Diktaturen –, den Opfern zu ihrem Recht zu verhelfen.« Manche Entschädigungsdiskussionen scheinen aber doch einfacher zu sein als andere.