Hassreime

Antisemitismus unter Migranten von aycan demirel

Ein türkischer Verband lud Ende 2004 zu einer Tagung zum »Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft« ein. Nach einem guten Einblick in die pädagogische Auseinandersetzung sollte das Thema politisch angegangen werden. Doch die Referenten zeigten sich darin einig, dass die Debatte um den spezifischen Antisemitismus unter muslimischen Migranten nur der Versuch der deutschen Mehrheitsgesellschaft sei, den Antisemitismus auf andere zu projizieren. Abgehalten wurde die Tagung im Kreuzberg-Museum. Zur selben Zeit wurde zwei Etagen tiefer eine Schulklasse durch das Museum geführt. Ein Schü­ler schrieb anschließend ins Gästebuch: »Es lebe unser großer Führer Arafat! Tod den Juden!« Als die Lehrerin darauf aufmerksam gemacht wurde, riss sie die beschmierte Seite heraus und nahm sie mit.

An dieser Episode lassen sich einige Erfahrungen aufzeigen: Lobenswerterweise spricht eine türkische Organisation das Thema an. Doch anstatt sich dem Problem zu stellen, bestreitet man, dass es existiert. Solche Abwehrreaktionen sind nicht nur bei Migranten zu beobachten; auch viele deutsche Linke und Liberale neigen dazu, Einwanderer allein als Opfer von Diskriminierung wahrzunehmen und nur über diese – sicher vorhandenen – Probleme zu sprechen. Sie ignorieren die Islamisierung der migrantischen Milieus und den wachsenden Antisemitismus und reden lieber von »Islamo­phobie«. Daneben offenbart diese Begebenheit die oft bestrittene Verquickung von Antisemitismus und der Feindschaft gegenüber Israel. Schließlich zeigt das Verhalten der Lehrerin die bei vielen Pädagogen vorhandene Hilflosigkeit.

Die Aufklärung über den Holocaust allein reicht nicht. Eine anti-antisemitische Praxis muss aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus wie die Feind­schaft gegenüber Israel und antisemitische Verschwörungstheorien aufgreifen. Selbst wenn diese Dinge auch unter herkunftsdeutschen Jugendlichen zu sehen sind, unterscheiden sie sich bei muslimischen Jugendlichen hinsichtlich ihrer Emotionalität und ihren Entstehungskontexten. Unter den deutsch-arabischen Jugendlichen wiederum sind der Bezug zum Islam und der Hass auf Israel viel präsenter als bei den deutsch-türkischen. Dass viele dieser Jugendlichen nur rudimentäre Kenntnisse des Islam haben, hindert sie nicht daran, sich verstärkt durch den Islam zu definieren.

Ein Rapsong, der derzeit unter Berliner Jugendlichen kursiert, zeigt, wie fort­geschritten die Verbindung von Islamismus, Antisemitismus und Jugendkultur ist. Darin heißt es: »Ich bin Nazi, sag na und / andere Nazis, sagt nicht nein / tötet jedes Judenschwein (…) Alle sollen sie hier krepieren / Araber werden hier regieren / Palästina dirigieren /  (…) Allahu Akbar.« Wenn man bedenkt, dass viele arabische Jugendliche mit antisemitischen Vorstellungen erzogen werden, wenn man um den Einfluss von islamistischen Predigern und Medien weiß, und wenn man sich vergegenwärtigt, wie schlecht es um die gesellschaftliche Teilhabe gerade der libanesisch-palästinensischen Einwanderer bestellt ist, kann es nicht verwundern, dass diese Jugendlichen ihr »negatives soziales Kapital« aus dem Hass auf Juden beziehen.

Mit pädagogischen Mitteln allein wird diese Entwicklung nicht aufzuhalten sein. Aber jeder Tag, an dem das Problem verharmlost oder verleugnet wird, vergrößert die Gefahr, dass aus einem jugendlichen Stammelreim blutiger Ernst wird.

Aycan Demirel ist Mitarbeiter der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus.