»Verrottetes System«

In Postlow in Ostvorpommern stimmten 38 Prozent der Wähler bei den Landtagswahlen für die NPD. Eine Ortsbesichtigung von martin behrens

Im Nordosten der Republik, wo die Arbeitslosenrate vielerorts um die 20 Prozent liegt und ganze Landstriche dem Verfall preisgegeben sind, ist die NPD bei der Landtagswahl im September sehr stark geworden. In manchen Orten erreichte sie zweistellige Ergebnisse. Aber wie sieht es in solchen Orten aus?

»Spürbar ist der Rechtsextremismus hier überhaupt nicht«, wehrt Norbert Dörschner ab, wirft einen Öllappen auf den Boden, streckt die Hand aus und grüßt. Der Besitzer einer Autoreparaturwerkstatt ist einer der wenigen Menschen, die hier noch arbeiten. Ansonsten aber ist er ein typischer Postlower. »Sicher, die Zeiten waren schon besser«, sagt er. »Die Leute hatten einmal Arbeit, sprachen noch miteinander, man half einander, und auch der Konsum-Bus kam ab und an ins Dorf.« Mittlerweile muss er zum Einkaufen zehn Kilometer bis nach Anklam fahren. Aber dieses ewige Klagen über die Zustände, »das haben wir uns aus dem Westen abgeguckt«, meint er.

Eine Entschuldigung sei die Arbeitslosigkeit freilich nicht, aber Verständnis zeigt er schon für die Wähler der NPD. Auch wenn man ein »Schwachkopf sein muss, um die zu wählen«, fügt er eilig an. Versagt hätten aber doch die »Genossen in der Regierung«. Man sehe das ja: »Sogar Asylbewerber« kämen zu ihm und wollten Autos kaufen. »Asylbewerber«, wiederholt er. Dann schüttelt er den Kopf und schraubt weiter an dem aufgebockten Trabbi. »Das ist was für Liebhaber«, sagt er mit funkelnden Augen. Die Zeiten, in denen Kapitalismus nur ein Wort aus den Schulbüchern war, haben viele Anhänger hier.

Auch den parteilosen Bürgermeister. Am liebsten, sagt Norbert Mielke, stiege er heute, wie einst im »Revolutionsjahr 1989«, auf das inzwischen halb verfallene Gebäude seiner LPG, um »wieder eine anständige Fahne« zu hissen. Denn die alte, die bundesdeutsche, die er einst hisste, sei »verrottet wie das ganze System«. Zwar wolle er weder den Arbeiter- und Bauernstaat noch den Nationalsozialismus verklären, doch man müsse »auch über die guten Seiten« reden dürfen. Der »Leistung« Hitlers »bis 1939« zollt er Hochachtung. Den vor Jahren ausgerufenen »Kampf um die Straße« scheint die NPD hier gewonnen zu haben.

Mielke lebt am Ende der Dorfstraße in seinem Geburtshaus im Nachbardorf Görken. »Eintritt nur nach Aufforderung«, ist auf einem gelben Schild vor seinem Geflügelzuchtbetrieb zu lesen. Ein freundlicher Empfang sieht anders aus. Der Hof wirkt trostlos, wenngleich nicht ganz so heruntergekommen wie der Rest des Dorfes. »Die verlassenen Häuser bleiben hier stehen, bis sie zusammenfallen«, sagt er. »Da kümmert sich niemand mehr.« Auch der »Konsum« ist verriegelt. Farbe blättert von der Fassade. »Laden geschlossen«, steht seit zehn Jahren an der Türe.

Ein junger Mann mit kurz geschorenen Haaren schlendert vorbei. Was sein geistig-kulturelles Leben prägt, steht in Frakturschrift auf seinem Pullover: »HBP« ist da zu lesen. HBP, das ist der Heimatbund Pommern, eine der aktivsten Kameradschaften in Vorpommern. »Die paar jugendlichen Skinheads« in Bomberjacken, das sei nur »eine Mode«, sagt der Bürgermeister.

400 Einwohner zähle die Gemeinde noch. »Wer hier keine Arbeit hat, schämt und verkriecht sich«, sagt der 53jährige. So gehe die Gemeinschaft kaputt. »Früher« – sein Lieblingswort fällt in jedem zweiten Satz – »früher war das anders.« Wie hoch die Arbeitslosigkeit in Postlow sei, wisse er nicht. Um die 50 Prozent, schätzt er. »Uns werden aber bewusst keine genauen Daten gegeben«, davon ist er überzeugt. Auf die Frage nach der Herkunft der Hakenkreuze und SS-Runen in einer Gemeinde »ohne rechtsextreme Szene« geht er nicht ein.

Dafür auf die Zeiten, als »die Asylanten« noch hier untergebracht waren. Da habe sich gezeigt, wo der Staat versage. Selbst die Polizei habe sich »lieber umgedreht, wenn es Probleme gab«, erzählt er. Nicht einmal die Wäsche auf die Leine zu hängen, habe man sich mehr getraut Mitte der neunziger Jahre. Später entschuldigt er sich, dass sich das Wort »Asoziale« nicht vermeiden lasse, wenn man über bestimmte Leute sprechen wolle. »Die NPD immer an den Pranger zu stellen, das ist sicherlich nicht gerechtfertigt«, sagt er. »All denen, die noch arbeiten für das Wohl des deutschen Volkes, wird doch täglich in den Arsch getreten«, schimpft er. Auf die Demokratie ist hier kaum jemand gut zu sprechen. Mielke spricht von einer »Diktatur«, die in Deutschland herrsche.

Der Rentner Peter Streblow ist erst ein Mal wählen gegangen. »Aber das ganze Dorf wusste, was ich gewählt habe. Schlimm ist das«, seufzt er und verzieht angewidert sein Gesicht. Das sei ja alles Lug und Trug mit der Demokratie. Die Parteien, so erinnern sich die Dorfbewohner, konnten der NPD vor der Landtagswahl kaum etwas entgegensetzen, so aktiv waren die rechten Wahlhelfer. »Eigentlich sind alle Plakate abgerissen worden, nur die von der NPD sind hängen geblieben«, erinnert sich ein Mann. Die Arbeitslosigkeit treibe die Leute zur NPD. »Das ist ganz normaler Protest. Was würden Sie denn machen ohne Lehre, ohne Arbeit, ohne Zukunft?« fragt ein Mann mittleren Alters.

»Die Braunen?« ruft Dörschners Mutter Annemarie aus dem Wohnzimmer. Die habe sie im Fernsehen gesehen. Im Dorf selber bekomme man davon nichts mit. »Das ist wie damals mit den KZ. Wir wussten ja auch nichts davon«, sagt die 81jährige. »Die von der NPD sind alles ordentliche und vernünftige Jungs«, weiß sie, obwohl sie davon nichts mitbekommt. Dass es diese »vernünftigen, ordentlichen Jungs« von nebenan sind, die auch die Bushaltestelle in Postlow mit Nazi-Parolen beschmiert haben, das glaubt sie nicht. »Die kommen von außerhalb.«

Die Dorfjugend schlage nur manchmal den Fahrplan kaputt. Randale gebe es nicht. Vor Jahren einmal, ja. In der Gaststätte im Nachbardorf Spantekow, da wo sich die Schule befindet. Auf Postlow aber lässt sie nichts kommen. Zu viel hat man hier verloren. Erst den Staat, dann die Arbeit, die D-Mark, die Hoffnung und jetzt auch noch die letzte Würde.