Die bedeckte Frau

Die türkische Klamottenkette Tekbir ist ein H & M für Muslime, nur teurer. von jutta sommerbauer

Auf den ersten Blick ist die Fevzipasa Caddesi im Istanbuler Bezirk Fatih eine Einkaufsstraße wie jede andere. Ein Laden reiht sich an den nächsten, dazwischen gibt es die übliche Mischung aus Börek-Imbissstuben, Lokantas und Cafés. Doch in Fatih leben vor allem Religiöse, und die Geschäfte bedienen ihre Verbraucherwün­sche. Die Klamottenläden sind auf die modische Ausstattung der modernen Muslima spe­zialisiert. Schaufensterpuppen in Fatih tragen pardesüs, bodenlange Mäntel, daneben liegen neue Kopftücher in den aktuellen Farben des Winters aus, auf einem Kleiderständer werden Tunikas im Sonderangebot angepriesen. Islamische Credibility gilt auf allen Ebenen: Mitunter müssen die Konsumentinnen bei der Shoppingtour geduldig sein – am Freitag haben viele der Läden während der Gebetszeiten geschlossen.

Auch bei Tekbir werden Kundinnen auf die freitäglichen Verkaufspausen hingewiesen. Tek­bir gilt als der erste Department-Store religiösen Zuschnitts. Hier ist der Name Programm: Tekbir, das ist der islamische Gebetsruf. »Wenn man ein islamisches Geschäft betreibt, dann muss auch Islam drin sein«, sagt Mustafa Karaduman, der Geschäftsführer des Damenbekleidungs-Imperiums.

Tekbir, die selbst ernannte »Weltmarke für die bedeckte Frau«, hat heute in der Türkei 25 Läden. In drei Jahren wolle man bei 100 angelangt sein, erklärt Karaduman die Zukunftspläne. Derzeit produziert das Unternehmen 30 000 Kleidungsstücke im Monat, 750 Angestellte arbeiten in dem Unternehmen. Tekbir betreibt Läden in europäischen Ländern und hat einen Internet-Versandhandel.

»Seit den achtziger Jahren haben die Islamis­ten ihr alternatives Business und eine Bour­geoi­sie gegründet. Es gab Geld, also hat man es aus­gegeben. Das wurde im Modebusiness, in Luxusgütern angelegt«, erklärt Yesim Arat, Professorin für Politikwissenschaft an der Is­tanbuler Bosporus-Universität. »Die Klassendifferenzierung wurde offensichtlich – früher gab es keine reiche islamische Bourgeoisie, keine Unternehmerklasse.«

Parallel zu den »säkulären« Marktplätzen, die nach der neoliberalen Wende in der Türkei in Form von Einkaufsstraßen und modernen Shoppingzentren entstanden, haben religiöse Muslime ihre eigene Konsum-Infrastruktur etabliert. Der politische Islam wurde Teil der Konsumkultur. Islamisten »trugen andere Kleidung, aßen nur bestimmtes Essen, sie gingen in spezielle Läden, sie begannen, ein eigenes Business zu gründen«, schreibt die Sozialwissenschaftlerin Yael Navaro-Yashin in ihrer Studie »Faces of the State«. Um eine religiöse Identität zu haben, darf man heute vor allem eines tun: shoppen gehen.

Mustafa Karaduman kann eine Erfolgsgeschichte erzählen. Er stammt aus dem anatolischen Malatya und kam im Jahr 1969 nach Istanbul. »Ohne einen Groschen«, wie er beteuert. Er erlernte den Schneiderberuf und mach­te sich schließlich mit einem eigenen Atelier selbständig. Das Geschäft lief gut, seine Brüder begannen in der Fir­ma zu arbeiten. Auch heute noch ist Tekbir ein Familienunter­nehmen. In der türkischen Öf­fent­lichkeit erregte Tekbir erstmals 1992 Aufsehen – als das Unternehmen als erste islamische Bekleidungsfirma eine Modenschau veranstaltete und verhüllte Models auf den Laufsteg schickte.

Aus Karaduman, dessen schmuckloses Büro sich über dem dreistöckigen Kaufhaus befindet, spricht abwechselnd der findige Geschäftsmann und der fromme Muslim. »Wenn man heute in Europa von islamischer Mode spricht, dann sagt man Tekbir«, sagt er. Alles was er als Geschäftsmann tue, sei, Allahs Auftrag zu erfüllen. »Die Ärmel müssen bis zu den Handgelenken reichen, das Kopftuch muss die Haare und den Hals so verdecken, dass nur noch das Gesicht zu sehen bleibt, Röcke müssen bis an die Knöchel reichen. Weder dürfen die Körperlinien erkennbar, noch darf die Kleidung durchsichtig sein«, erklärt der Tekbir-Chef die göttlichen Richtlinien. »Inner­halb dieser Grenzen kann man so viele Modelle entwerfen, wie man will. Form oder Uniform-Vorstellungen gibt es im Islam nicht.«

Billig ist sie nicht – die Winterkollektion von Tekbir. Eine freundliche Verkäuferin zeigt taillierte pardesüs aus Jeansstoff, die mit bunten Perlen und Pailletten im Ethno-Look bestickt sind. Zwischen 80 und 150 Euro kostet so ein Stück. Im Erdgeschoss können Kundinnen ein dazu passendes Kopftuch erstehen. Gibt es auf den Märkten Kopftücher schon für ein paar Euro, kosten sie hier im Durchschnitt 30 Euro. »Bei Tekbir findet jede Frau die passende Kleidung«, ist sich die junge Verkäuferin Özlem sicher.

Doch die Konkurrenz schläft nicht. Ein paar Häuserecken weiter hat vor kurzem die Textilfirma »Armine« ein neues, glitzerndes Riesenkaufhaus eröffnet. Die Fassade des mehrstöckigen Ladens ist mit einem riesigen Plakat überzogen – mit einem anmutig dreinschauenden Model, das ein durchaus körperbetontes Businesskostüm mit einem luxuriösen Seidenkopftuch trägt.

Was Säkulare als Zeichen für Rückständig­keit und Unterwerfung interpretieren, ist in Fatih längst zum Marker für die Modernität der Religiösen und einen zeitgemäßen Islam geworden. Für Melike, Verkäuferin im Pyjama-Laden »First Touch«, gibt es da keinen Widerspruch. »Ich will gut vor den Leuten aussehen«, sagt die 19jährige. »Auch wenn ich bedeckt gehe, heißt das nicht, dass ich außerhalb der Mode stehe.«

Denn auch ein göttlicher Befehl lässt sich unterschiedlich interpretieren. Röcke etwa, die knapp übers Knie gehen, seien »kein Problem«, sind sich die beiden Studentinnen Merve und Zeynep einig. Klar, Miniröcke seien tabu, aber bodenlang müs­se es nun auch nicht sein. Solange die Beine mit einer dunklen Strumpfhose bedeckt sind, über Armen und Kopf ein Stückchen Stoff ist, seien die islamischen Kleidervorschriften für Frauen erfüllt, erklären die Mädchen.

Merve und Zeynep sehen aus wie Mus­terjugendliche aus einem Schaufenster. Ihre Lieblingsshops sind Mavi, Koton, Collezione, Lets go – die angesagten Marken für türkische Jugend­liche, H & M alla turka. Sie tragen Sport­schuhe, enge T-Shirts in schwarz und lila, Jeansröcke mit Rüschen, Zeynep hat ein altrosa Strickjäckchen übergeworfen – Klamotten, wie es sie diesen Winter in allen »säkularen« Department Stores gibt. Nein, bei Tekbir gehen die beiden nicht einkaufen. Auf dem Kopf tragen Merve und Zeynep bunte Kopftücher. »Wir schmücken unser Haar nicht, sondern setzen eben ein zur Kleidung passendes Kopftuch auf«, sagt Zeynep.

Nur an einem Ort können die beiden ihren türban nicht tragen: an der Universität, wo – ebenso wie an anderen staatlichen Einrichtungen – das Kopftuchverbot gilt. »Das ist sehr schwierig für uns«, erklärt Zeynep.

Um an der Universität dem islamischen Gebot entsprechen zu können, werden Studentinnen erfinderisch, erklärt die Politologin Yesim Arat. »Jetzt kommen weibliche Studenten etwa mit Kappen, Hüten oder Perücken – und das ist nicht illegal. Kopfbedeckung an sich ist zwar illegal, aber sie versuchen eine Grauzone zu schaffen, was es früher nicht gab«, so Arat. »Die Art des Wider­stands verändert sich.«

Der Erfindungsreichtum der Studentinnen mag für Mustafa Karadumans Verständnis keine gottgewollte Lösung sein. Doch selbst er, der streng religiöse Geschäftsmann mit den Koran-Inter­pretationen im Rücken, sieht manche Dinge pragmatisch. »Sie können aus einem Stoff einen Minirock, eine Badehose oder Unterwäsche machen. Ich persönlich mache eben islamische Kleidung daraus. Am Ende«, so Karaduman, »trifft den Stoff keine Schuld.«