Konsequent dumm. Für Berlin

In der Hauptstadt hat der Wahlkampf begonnen. Ein Streifzug durch die Wahlprogramme und frisch geschmückten Straßen von markus ströhlein

So kennt man die FDP: pragmatisch und effizient. Zumindest in Berlin-Mitte hingen ihre Plakate als erste. Die Forderungen sind schlicht: »Schlaglöcher weg – Straßensanierung jetzt!« Oder auch: »Leinen los – Für Hundeauslaufgebiete!« Welche Wähler die Liberalen ansprechen wollen, ist ebenfalls klar: »Mehr Unternehmen für Berlin!« Und wer wirklich wissen möchte, welche Überzeugungen die Partei vertritt, muss nur den zentralen Satz ihres Kurzwahlprogramms lesen: »Privat ist meistens besser als Staat!«

Oft muss man sich fragen, was die Werbestrategen der Parteien dazu bewegt, bestimmte Bildmotive für die Plakate auszuwählen. »Konsequent gastfreundlich« ist eines der SPD betitelt. Darauf ist ein Taxifahrer zu sehen, der sich an sein Auto lehnt und Zeitung liest. Der passende Slogan müsste also lauten: »Dieser Mann macht Pause. Sollten Sie es wagen, ihn anzusprechen, wird er Sie zur Schnecke machen. Dit is Berlin.«

Die Linkspartei hat für ihr großes Plakat ein Zitat von Kurt Tucholsky aus dem Jahr 1927 ausgewählt: » … für diese Stadt, in der immerhin Bewegung ist und Kraft und pulsierendes rotes Blut. Für Berlin.« Das soll wohl von linker Tradition und Lokalpatriotismus zeugen. Doch Tucholsky drückte mit dem Text, der in der Weltbühne erschien, eigentlich etwas ganz anderes aus, nämlich dass er Berlin im Vergleich zu anderen Städten in Deutschland lediglich weniger unerträglich fand. So heißt es an einer anderen Stelle: »Ich liebe Berlin nicht.«

Die CDU hat ein Problem: Niemand würde ihren Spitzenkandidaten Friedbert Pflüger auf der Straße erkennen. Deshalb ist sein Gesicht auf großen Plakaten zu sehen mit dem Slogan »Arbeit für Berlin!« Im Hintergrund ist eine Großbaustelle abgebildet. Man sieht also Dreck, Stahl, Beton, Leute mit Bauhelmen und Friedbert Pflüger. So wird er natürlich auch nicht bekannt. Deshalb ist ihm anscheinend alles recht, was Stimmen bringt. Er spricht sich gegen den Neubau einer Moschee in Berlin-Heinersdorf aus. Und das könnte die NPD, die das genauso sieht, etliche Wähler kosten.

Wie im Bundestagswahlkampf ist orange die Farbe der CDU. Das sorgt für Verwirrung. Denn die Plakate der Wasg haben einen ganz ähnlichen Ton. Erst wer sich auf weniger als zehn Meter nähert, erkennt den Unterschied. Mit den zu erwartenden Parolen wirbt die Wasg: »Sozialabbau? Privatisierung? 1-Euro-Jobs? Zwangsumzüge? Gute Bildung nur für Reiche? Nicht mit uns!«

Die Grünen haben es bei der Farbgebung recht leicht. Auf dem Hauptplakat der Partei sieht man einer Frau ins stechend grüne Auge. Der Slogan lautet: »Bevor Sie rot sehen – Berlin grün!« Die Botschaft ist klar: Wir wissen zwar auch nicht, was man tun kann. Aber die SPD und die Linkspartei sind noch schlimmer.

Da die Plakate wenig sagen, muss man die Wahlprogramme lesen. Die SPD hat ihres mit dem Titel »Konsequent Berlin« versehen. Die Partei treibt die hohe Arbeitslosigkeit um. Doch sie weiß Rat: Die »Wachstumsbranchen« und den »Mittelstand« stärken! Und ihre Lektion in Globalisierungskritik hat sie ebenfalls gelernt: »Im Wettbewerb um Global Player kann und will Berlin nicht mithalten.«

Dass Jugendliche ab 16 Jahre an den Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung im September teilnehmen dürfen, wird als Verdienst der Sozialdemokraten gepriesen. Wenn die Kids schon keine Arbeit bekommen, sollen sie sich also wenigstens aussuchen, von wem sie verwaltet werden.

Angesichts der Probleme zählt für die SPD ganz besonders der »soziale Zusammenhalt«. Was sich hinter der Floskel verbirgt, erfährt man auch. »Ziel unserer Politik ist es, den sozialen Zusammenhalt in den Bezirken und Kiezen zu verbessern. Wir setzen dabei auf die Eigenkräfte der Quartiere, auf Kompetenzen, Kreativität und Fähigkeiten der Menschen, die dort wohnen.« Schöner lässt es sich nicht umschreiben, die verarmten Stadtteile sich selbst zu überlassen. Das Vertrauen, das in ihre »Fähigkeiten« gesetzt wird, dürfte die jungen Neonazis in Lichtenberg oder Marzahn freuen. Und es wird spannend sein zu verfolgen, welche »Eigenkräfte« in Neukölln oder im Wedding entstehen.

Auch die CDU will die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Das Programm heißt: »Berlin kann mehr!« Die Partei will an die Wurzel des Übels, und das heißt, die Arbeitslosen zu gängeln: »Die Hilfesuchenden müssen erfahren, dass Fordern und Fördern zusammen gehören.« Dieser Grundsatz soll schon früh verinnerlicht werden. In den Schulen sollen wieder »Leistung, Qualität, Werte« oder auch »Fleiß, Ehrgeiz, Pünktlichkeit« zählen. Die CDU möchte eine »Kultur der Verantwortung« schaffen. Und damit niemand auf falsche Gedanken kommt und meint, er sei nur für sein eigenes Wohl verantwortlich, stellt das Programm klar: »Verantwortung übernehmen für unser Gemeinwesen und für das Gemeinwohl!« Den schwarzen Schafen soll mit »Null Toleranz« begegnet werden. Und wer sind die bösen Buben? »Viele Delikte werden zu einem hohen Teil von oft arbeitslosen jungen Männern nichtdeutscher Herkunft begangen.« Diese Ausländer!

Die Linkspartei hat zwar den Slogan »Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren« eins zu eins von der CDU abgeschrieben, hat aber andere Ideen. Sie will die »Kreativwirtschaft« stärken. Das ist schlau, denn die jungen Kreativen sind gerne arm und meckern nicht. Darüber hinaus setzt die Partei vor allem auf die »öffentlich geförderte Beschäftigung«. Ein Teil davon soll »ausschließlich dem Gemeinwohl dienen«. Das ist fantasievoll ausgedrückt. »Staatlicher Zwangsdienst« klänge auch wirklich sehr unvorteilhaft. Und wenn einem gar nichts mehr einfällt, kann man das Programm mit sinnlosen Sätzen füllen: »Eine konsequente Innovationspolitik mit dem Motto: Die Stärken stärken!«

Die Grünen tun sich schwer, irgendeinen eigenen Gedanken zu Papier zu bringen. Den »sozialen Zusammenhalt« will auch die SPD stärken. Den »gemeinwirtschaftlichen und gemeinwohlorientierten Sektor« will auch die Linkspartei fördern. »Mehr Selbständige«? Da hilft schon die FDP. Es bleibt also nur noch die Ökologie. Da fordern die Grünen »feinstaubfreie Schulen« und »saubere Luft zum Leben«. Und vielleicht findet sich noch jemand, der diesen Slogan versteht: »Verkehr macht Arbeit – am besten mit Zukunft!«

Auch die Wasg klagt, dass der »soziale Zusammenhalt« fehlt. Mutig will man der »Allparteienkoalition« entgegentreten und der »neoliberalen Umverteilungspolitik« mit dem »Notopfer Haushalt« ein Ende setzen. Man könne doch einfach »das obere Drittel des Geldvermögens in Deutschland abschöpfen«. Wo in Berlin das Internierungslager für die enteigneten Bonzen errichtet werden soll, erwähnt das Wahlprogramm der Wasg aber nicht.