Das Dritte Reich als Partywissen

Ein kurioser Sammelband versucht, den Nationalsozialismus in Listen, Zahlen und Anekdötchen zu packen. von jörg sundermeier

Was alles wissen wir noch nicht? Wir wissen nicht, wie viele Biber von 1933 bis 1945 in der Isar ertrunken sind. Wir wissen nicht, ob Göring einen klitzekleinen Leberfleck auf seiner rechten Hinterbacke hatte. Vor allem aber wissen wir noch immer nicht, was Menschen befähigt, industriellen Massenmord zu begehen.

Und was lernen wir alles Dank »Und morgen gibt es Hitlerwetter« von Gisela und Hans-Jörg Wohlfromm? Das lernen wir: Coca Cola Deutschland konnte seinen Absatz im Dritten Reich erheblich steigern. Aber dafür musste das Unternehmen seine amerikanische Herkunft leugnen. 1937 waren im »fröhlichen Deutschland«, wie die Luft­hansa ein Jahr später warb, 151 Verkehrsflugzeuge unterwegs. Die »Arbeitsgemeinschaft deutsch-arischer Fabrikanten« kürzte sich ADEFA ab, denn »jeder Volksgenosse soll wissen, woran er ist«, wie es in einem Werbetext hieß. Neben den unvermeidlichen Spitzentiteln aus den Federn von Adolf Hitler, Alfred Rosenberg oder Hans Grimm fanden sich auch Bücher von Rilke auf den Bestsellerlisten im Reich. 1938 übernachteten US-Amerikaner 447 640 Mal im Reich, Bulgaren dagegen nur 36 754 Mal. An der Spitze lagen Übernachtungen von Bürgern der Tschechoslowakei, das wohl »wegen der Sudetendeutschen«.

Gisela und Hans-Jörg Wohlfromm haben ein Buch veröffentlicht, in dem sie ausschließlich »Alltägliches und Kurioses aus dem Dritten Reich« versammelt haben. Dieses bieten sie in Form von Schautafeln und Statistiken an, in Form von Listen und Kurzberichten. Garniert wird das Sammelsurium mit Zitaten aus Zeitungen, Reden und Briefen. Ob die genannten Fakten dabei jedoch etwas anderes zeigen, als dass Coca Cola den Absatz steigerte oder Rilkes »Cornet« sich gut verkaufte, bleibt fraglich. Nazis tranken die braune Zuckersuppe, obschon es nicht zu ihrem Gesundheitswahn passte, na und? Wollen wir nazistischer als der Nazi sein und das unpassende Cola-Getrinke daher »kurios« finden? Wollen wir Coca Cola Deutschland als Nazi-Profiteur vorführen? Oder gar eingemeinden? Was ist »überraschend« an der Nachricht, dass auch der Wehrmachtssoldat und seine judenhassende Gattin das Buch »Die Biene Maja und ihre Abenteuer« schätzen? Ist es den beiden Wohlfromms nicht bekannt, dass die Nazis inmitten ihrer Sippen durchaus das Niedliche schätzten und dass sie nicht erst seit Dresden weinten? Es ist ja gerade das Schreckliche, dass die glücklichen Volksgenossinnen und -genossen, die von der Naziregierung profitierten, nicht einfach nur unmenschliche Roboter waren, die sich den ganzen braunen Tag lang auf den Thingfeldern die Kehle heiser brüllten und den Besitz der Nachbarn »arisierten«, sondern durchaus auch liebevolle Eltern sein konnten, ihre Hunde streichelten, freundlich grüßten und sich also einen menschlichen Rest bewahrt hatten, der es gerade so unverständlich macht, wie unmenschlich sie gegen­über den Juden und all den anderen Opfergruppen waren.

Die beiden Wohlfromms jedoch versuchen, möglichst keine Zusammenhänge herzustellen, oft lassen die von ihnen mitgeteilten Daten nicht einmal Vergleiche zu. 36 754 Mal übernachteten Bulgaren 1938 im Reich, aber wie oft im Jahr 1939, wie oft 1934? Was sagt uns diese Zahl?

Andererseits neigen die beiden Wohlfromms auch zu merkwürdigen politischen Vergleichen. Unter dem verdrucksten Titel »Gestohlene Lieder« zeigen sie, wie Soldatenlieder aus dem Ersten Weltkrieg zunächst in kommunistische Kampflieder umgewandelt wurden, später dann, mit noch einmal verändertem Text, der NSDAP dienten. Was wollen die Autoren damit zeigen? Die Nähe von kommunistischer und nationalsozialistischer Bewegung? Die vergleichbare Ästhetik von Kampfliedern? Und was erst werden sie machen, wenn sie merken, dass die Engländer und das deutsche Kaiserreich die gleiche Hymne hatten? Auch dies ein Diebstahl? Hat es Bedeutung? Ist’s ein neues Kuriosum?

Den Schlüssel zu der Nähe von kommunistischer und nationalsozialistischer Straßenpropaganda halten die beiden sogar in Händen, wenn sie kurz zuvor unter dem schönen Schlagwort »Arbeitslosigkeit« zeigen, dass 1936 im Reich beinahe »Vollbeschäftigung« herrschte und selbst der junge Willy Brandt eingestehen musste: »Ich sah, dass die Menschen wieder Arbeit hatten und die Stimmung nicht überschwänglich, auch nicht betont regimefreundlich war, doch erst recht nicht regimefeindlich. Warum sich nicht klarmachen, dass auch Menschen, die früher links gewählt hatten, sich beeindruckt zeigten?« Doch die Wohlfromms wollen diesen Schlüssel gar nicht benutzen.

Sich etwas klar machen heißt, Dinge in Beziehung setzen zu wollen. Es gibt viele Beiträge zur Alltagsgeschichte des Dritten Reichs, manche neigen dazu, verharmlosend zu wirken. Dieses Buch jedoch ist einfach nur ärgerlich.

Es benutzt als Grundanlage die Form des Breviers, in dem nichts erklärt, nichts kontrastiert, sondern einfach nur versammelt wird. Bücher wie »Schotts Sammelsurium« verkaufen sich gerade wie geschnitten Brot. Warum, so scheinen sich die Wohlfromms gefragt zu haben, nicht auch das Leben im Dritten Reich als Vorlage für das »Partywissen« benutzen, wo es doch so gut dokumentiert ist.

Hans-Jörg Wohlfromm, Gisela Wohlfromm: Und morgen gibt es Hitlerwetter! Eichborn, Frankfurt a. M., 2006, 299 Seiten, 20,50 Euro