Keynes für Arme

Die Präsidentschaftswahl in Mexiko von wolf-dieter vogel

Brasilien, Uruguay, Venezuela, Bolivien, Argentinien, Chile – und jetzt Mexiko? Folgt das Land nun auch dem lateinamerikanischen Trend, nachdem linke oder sozialdemokratische Politiker die Regierungen übernehmen? Jedenfalls hat der Kandidat der Partei der Demokratischen Revolution (PRD), Andrés Manuel López Obrador, gute Chancen, bei den Präsidentschaftswahlen am kommenden Sonntag zu gewinnen. Meinungsforscher sprechen ihm einen knappen Vorsprung vor Felipe Calderón von der konservativ-liberalen Partei der Nationalen Aktion (Pan) zu. Abgeschlagen auf Platz drei liegt Roberto Madrazo, der für die ehemalige Staatspartei der institutionalisierten Revolution (Pri) kandidiert.

López Obrador gibt sich alle Mühe, seine Pläne für eine etwas gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums gegen die Bilanz zu setzen, mit der Präsident Vicente Fox (Pan) nun seine sechsjährige Amtszeit beenden wird. Obwohl sich mit den Erdöleinnahmen und den Überweisungen migrierter Mexikaner die Umsätze der größten Devisenbringer verdreifacht haben, ist die Wirtschaft nicht einmal um die Hälfte der angekündigten sieben Prozent pro Jahr gewachsen. Die handelspolitische Öffnung hat nur in wenigen exportorientierten Sektoren Arbeitsplätze geschaffen, zugleich bedrohen US-Billigwaren die Existenz vieler Kleinbauern. Freihandel, Privatisierung staatlicher Betriebe, Anreize für Investoren – an diesem Konzept würde auch ein künftiger Präsident Calderón festhalten.

López Obrador hält dagegen: »Wir werden weder die Bildung noch die Sozialversicherung, noch die Elektrizitätsindustrie oder das Erdöl privatisieren.« Er setzt auf ein neokeynesianisches Modell, mit einer Art Grundsicherung will er Millionen arme Familien alimentieren. Von solchen Versprechen wird nicht viel bleiben. Aber immerhin kann der PRD-Mann auf seine Amtszeit als Bürgermeister von Mexiko-Stadt verweisen. Dort führte er eine Grundrente für Alte ein, unterstützte allein erziehende Mütter – und kooperierte bestens mit heimischen Unternehmern.

Das wird auch jenseits des Rio Grande anerkannt. Internationale Investoren und die US-Regierung hätten mit einem Wahlsieg von López Obrador keine Probleme, bestätigte eine in der vorigen Woche veröffentlichte Untersuchung des renommierten US-amerikanischen Instituts Council of Foreign Affairs. Im Gegensatz zu Venezuelas Staatschef Hugo Chávez sei der »moderate Linke« an »guten Beziehungen mit den USA« interessiert, erklärte die Wissenschaftlerin Pamela Starr. Tatsächlich will López Obrador nicht, wie radikale Bauernverbände fordern, den Freihandelsvertrag mit den USA und Kanada in Frage stellen. Nur die Zollabbaufristen für Mais und Bohnen sollen verlängert werden. Mit der US-Regierung werde es keinerlei Probleme geben, bestätigt der PRD-Kandidat: »Sie hat die inneren Angelegenheiten Mexikos immer respektiert.«

Solche Statements kommen bei Chávez nicht gut an. Zwar verbindet die beiden dasselbe Interesse – sie brauchen den Erdölverkauf an die USA, um ihre Sozialprogramme zu finanzieren –, doch für das regionale Projekt der Wirtschaftsintegration, die »Morgenröte« (Alba), wie die von Chávez’ anvisierte Latino-Front gegen den Imperialismus genannt wird, ist López Obrador sicher nicht zu haben. Nicht zufällig nennen ihn seine Gegner »Lula Light«, in Anlehnung an Brasiliens Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. Trotz gegenteiliger Ankündigungen setzt Lula den wirtschaftsliberalen Kurs seiner Vorgänger fort, und die Landlosen warten bis heute auf die vor der Wahl versprochene Agrarreform.