Hintermänner im Halbdunkel

Urteil gegen zwei Offiziere des ­türkischen Militärgeheimdienstes

Zum ersten Mal in der Geschichte des Kampfes des türkischen Staates gegen die PKK wurden in der vergangenen Woche zwei Unteroffiziere des türkischen Militärgeheimdienstes zu jeweils fast vierzig Jahren Haft verurteilt. Ali Kaya und Özcan Ildeniz hatten am 9. November 2005 einen Bombenanschlag auf den Buchladen eines ehemaligen Mitgliedes der kurdischen PKK in der Stadt Semdinli verübt, bei dem ein Kunde ums Leben kam und mehrere andere verletzt wurden ( Jungle World, 48 / 05).

Bislang waren Mitglieder der Streitkräfte durch Verschleppung von Verfahren und das Abwälzen der Hauptschuld auf informelle Mitarbeiter immer davongekommen, wenn sie zu den so genannten Methoden der Kontraguerilla griffen. Dazu gehörten in der Vergangenheit Entführungen, Bombenanschläge, Morde und Folterungen, die oft als Taten der PKK getarnt wurden und der Eskalation von Gewalt, Einschüchterung der Bevölkerung und nicht zu selten auch der Bereicherung korrupter Offiziere dienten.

Die Frage, die sich nach dem Urteil stellt, lautet: Werden mit der alleinigen Bestrafung der Attentäter nicht vor allem die Hintermänner geschützt? Eine ebenfalls übliche Kontra-Strategie. Im Prozess wurde nicht versucht, die Hintergründe des Attentates aufzuklären. Die Dynamiken und Machtkämpfe in der Region wurden aber durch den Verlauf des Verfahrens deutlich. Die Anwälte der Opfer des Anschlages hatten darauf hingewiesen, dass von den insgesamt achtzehn Anschlägen in der Provinz Hakkari in der zweiten Hälfte 2005 nur zwei auf das Konto der PKK gingen. Die türkische Regierung richtete daraufhin eine parlamentarische Untersuchungskommission ein und hörte unterschiedliche Stimmen zu den Vorfällen an. Die Protokolle der Sitzungen der Kommission wurden dem Staatsanwalt Ferhat Sarikaya zugänglich gemacht. Daraufhin verfasste er eine Anklageschrift, die die Kontra-Strategien zur Aufrechterhaltung des militärischen Konfliktes gegen die PKK thematisiert, in der auch der designierte Generalstabschef Yasar Büyükkanit erwähnt wurde. Doch wenig später begann das Justizministerium Ermittlungen gegen Sarikaya, der schließlich seinen Vorstoß mit Berufsverbot bezahlen musste. Dass dies auf Weisung des Militärs geschah, ist nur zu offensichtlich.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wurde just in dieser Phase gehäuft zu Krisengesprächen in den Präsidentenpalast unter Beisein der obersten Generäle des Landes gerufen. Eine übliche Strategie, türkische Regierungen auf Linie zu halten. Die nun ergangenen Urteile gegen die Unteroffiziere müssen daher im Zusammenhang mit der Verschleierung der Hintergründe beurteilt werden. Der suspendierte Staatsanwalt hatte etwa den Vorgesetzten der Angeklagten, den Kommandanten der Gendarmerie, Major Erhan Kubat, des Amtsmissbrauches beschuldigt und die Staatsanwaltschaft des Militärs dazu aufgefordert, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Dies wurde ebenso wie Ermittlungen gegen General Yasar Büyükkanit, der in seiner Zeit als Kommandant der Einheiten in Diyarbakir ebenfalls Kontra-Strategien befehligt haben soll, als »unnötig« abgelehnt. Im Auto der verurteilten Unteroffiziere war nach dem Anschlag eine Liste potenzieller weiterer Anschlagsziele gefunden. Dass sie nicht auf eigene Faust handelten, ist offensichtlich. Momentan ringen zivile, politische Instanzen und das Militär um die Macht im türkischen Staat. Mit diesen Urteilen hat zunächst das Militär die Oberhand behalten. Die Urteile des Schwurgerichts in der ostanatolischen Provinzhauptstadt Van müssen nun noch vom obersten Berufungsgericht der Türkei bestätigt werden.

sabine küper-büsch