Die Mafiosi aus der Garage

Die Nachfolger von Bernardo Provenzano an der Spitze der sizilianischen Mafia wurden verhaftet. Der italienische Staat jubelt, doch die politische Protektion wird nicht bekämpft. von federica matteoni

A ls »der Pate« der sizilianischen Mafia, Bernardo Provenzano, im April 2006 gefasst wurde, war es nicht besonders verwunderlich, dass in den Medien vor allem die folkloristischen Aspekte seiner Verhaftung hervorgehoben wurden. Schließlich war Provenzano zu einem Mythos geworden, ähnlich wie Marlon Brando in der legendären Rolle des Don Vito Corleone. Ausgiebig wurde nach Provenzanos Verhaftung darüber berichtet, dass der 43 Jahre lang gesuchte »Boss der Bosse« in seinem Versteck, einer ärmlichen Hütte am Rand seiner Heimatstadt, seinen Käse selbst machte und dass ihm von seiner Frau regelmäßig frisch gewaschene Hemden geliefert wurden. In dem Versteck wurden auch Hunderte von so genannten Pizzini gefunden. Niemand wollte zunächst ernsthaft glauben, dass ein Mafiaboss im 21. Jahrhundert durch diese Zettelchen mit kodierten Anweisungen an seine Vertrauensleuten jahrzehntelang ein Imperium regieren konnte.

Dass die Pizzini jedoch mehr als ein folkloristisches Detail waren, bewies in der vergangenen Woche der größte Einsatz der letzten Jahre gegen die Mafia in Palermo: 45 Bosse wurden verhaftet, laut Ermittlern landete dabei die »gesamte Führungsspitze der Cosa Nostra« hinter Gittern. Zum Verhängnis wurden den Verhafteten ausgerechnet die Papierschnipsel mit den verschlüsselten Geheimbotschaften, die in Provenzanos Versteck gefunden worden waren. Schon seit zwei Jahren hatten die Ermittler die Treffen führender Mafiosi, die in einer Wellblechgarage im Westteil von Palermo stattfanden, belauscht. In dieser unauffälligen Kommandozentrale planten sie ihre Aktivitäten und ihre kriminelle Strategie.

Stolz betonte die italienische Polizei in den vergangenen Tagen, dass die Gespräche »dank ausgefeilter Abhörtechnik« belauscht werden konnten. Dabei waren die Sicherheitsvorkehrungen der Bosse in der Garage recht primitiv: Wenn ein »Gipfeltreffen« mit erhöhter Sicherheitsstufe stattfand, wurde ein Fußball an die Tür gebunden. Aus den mitgehörten Gesprächen bekamen die Fahnder die entscheidenden Informationen, um Provenzanos Zettelchen, die durch einem Zahlencode verschlüsselt waren, zu entziffern. Unter den 45 Verhafteten sind die drei Nachfolger des Paten, die nach dessen Verhaftung das Unternehmen Cosa Nostra auf Sizilien lenkten. Neben dem Führungstrio konnten auch zahlreiche weitere Bosse von 13 Familien und sechs »Distrikten« – das sind Großbezirke, in die die Cosa Nostra Palermo aufgeteilt hat – verhaftet werden. Die Mafia sei damit »in die Knie gezwungen worden«, triumphierte Staatsanwalt Piero Grasso.

Abgehörte Gespräche hätten darauf hingedeutet, dass ein Machtkampf um die Nachfolge Provenzanos als »Boss der Bosse« bevorgestanden habe. Mit dem Einsatz sei ein blutiger Krieg zwischen rivalisierenden Clans auf den Straßen von Palermo verhindert worden. Einer der Bosse der Cosa Nostra hätte seine »Soldaten« vom Clan der Corleonesi schon angewiesen, größere Mengen Schwefelsäure zu besorgen. Wozu die ätzende Flüssigkeit dient, ist bekannt: Sie soll nach einer Abrechnung Leichen »verschwinden« lassen. Neben wichtigen Einblicken in die Führungsstruktur der Mafia konnten durch die Operation erschütternde Informationen über die Beziehungen zwischen der Mafia und der Politik aufgedeckt werden. Dabei wies die Staatsanwaltschaft auf eine neue Strategie von Cosa Nostra hin. Anstatt, wie seit Jahrzehnten, ihre »vertrauenswürdigen« Kandidaten aus den meist christlichen und konservativen Parteien zu unterstützen, sei die Mafia dazu übergegangen, ihre eigenen Kandidaten zu stellen, heißt es im Haftbefehl gegen die drei Anführer: Für die Kommunalwahlen in Palermo im nächsten Jahr wollten die Corleonesi ihre eigenen Kandidaten auf den Listen der Mitte-Rechts Parteien stellen.

Die Großrazzia kann insofern als Erfolg bewertet werden.

Das ewige Problem des Einflusses der Mafia auf staatliche Institutionen wird dadurch jedoch kaum gelöst. Erst vor drei Wochen wurde bei den Regionalwahlen in Sizilien der wegen Unterstützung der Mafia mehrfach angeklagte Präsident der Region Sizilien, Salvatore Cuffaro von den Christdemokraten, in seinem Amt bestätigt. Seine Gegnerin war Rita Borsellino, die seit der Ermordung ihres Bruders, des Untersuchungsrichters Paolo Borsellino im Juli 1992, die Anti-Mafia-Bewegung in Sizilien repräsentiert. Das Attentat erfolgte damals zwei Monate, nachdem Borsellinos Kollege Giovanni Falcone ebenfalls einem Anschlag der Mafia zum Opfer gefallen war. Nach den beiden Attentaten erlebte Sizilien zum ersten Mal eine Art »Aufstand der Anständigen«. Der Protest blieb jedoch nur symbolisch, mit Appellen an die »moralische Würde« ließ sich die Herrschaft der Mafia über das sizilianische Territorium nicht bekämpfen. Denn dem Unternehmen Cosa Nostra geht es vor allem um Geld. Die Kontrolle der sizilianischen Wirtschaft garantiert ihr den Zugang zur politischen Macht.

In den letzten Jahren sind Initiativen entstanden, die sich nicht mehr nur auf Proteste beschränken wollen. Die jüngste heißt »Addiopizzo« und ist eine Organisation von Geschäftsinhabern aus Palermo, die sich entschlossen haben, der Mafia kein Schutzgeld mehr zu zahlen. Die Staatsanwaltschaft von Palermo schätzt, dass 70 bis 80 Prozent der Geschäftsleute in Sizilien Schutzgeld zahlen. Das ist so etwas wie eine Versicherung, eine Art Steuer, die ihnen »Sicherheit« garantiert und dadurch Loyalitäten schafft.

Deshalb handelt es sich bei Initiativen wie »Addiopizzo« nicht bloß um einen Akt der »Zivilcourage«, sondern um einen direkten Angriff auf die ökonomische Herrschaft der Mafia über das sizilianische Territorium. Die Cosa Nostra verlangt in der Regel nicht nur Geld, sondern mischt sich in die Geschäfte der Unternehmen ein und zwingt die Inhaber, bestimmte Mitarbeiter einzustellen. Wer sich weigert, wird im besten Fall »nur« terrorisiert.

Die Verhaftung von Provenzano erfolgte ­zufällig am Tag nach der italienischen Parlamentswahl, als viele noch an einen deutlichen Sieg für das Mitte-Links-Bündnis von Romano Prodi glaubten. Damals war in vielen Zeitungen zu lesen, der Wind in Sizilien habe sich gedreht, eine neue Ära im Kampf gegen die Mafia habe begonnen. Die Wiederwahl von Cuffaro im sizilianischen Regionalparlament zeigt, dass die Mafia weiterhin ungestört die politische Konsensbildung beeinflusst, um die Institutionen zu infiltrieren. Daran kann weder ein moralischer Aufstand noch ein Wechsel der Regierung in Rom etwas ändern.

Und dennoch könnte nach der Abwahl von Berlusconi eine neue Situation entstanden sein. In den vergangenen Jahren war in Italien von der Mafia nur dann die Rede, wenn gegen Mitglieder der Partei des ehemaligen Premierministers oder dessen Koalitionspartner wegen Verstrickungen mit der Mafia ermittelt wurde. Nach dem blutigen Krieg am Anfang der neunziger Jahre schien die Cosa Nostra den militärischen Kampf gegen den Staat eingestellt zu haben. Dass sie mit den politischen Verhältnissen zufrieden war, bestätigten neulich nicht nur die Ergebnisse der Regionalwahlen, sondern auch die der Parlamentswahl im April, bei der 59 Prozent der Wähler, 5,9 Prozent mehr als bei den letzten Parlamentswahlen, für die Parteien von Berlusconis Bündnis stimmten.