Kopfgeburten

Happy Family V

Meine These zum Thema: Familie entsteht im Kopf! Wenn der Mensch älter als 13 wird, manchmal sogar schon früher, hat er den unheilbaren Drang, sich zu multiplizieren. Seine Liebe schießt dann wüst durch die Gegend, und wer gerade im Weg steht, bums, der wird ­Familie.

Bei uns verlief der Bumstrieb leider nicht kongruent mit der Fortpflanzungsplanung, anders als bei den späten Vätern, die allerorten die »Spielis« bevölkern, um sich gegenseitig stolz auf die Schulter und ihr Dingdong zu klopfen: »Das da, das hab’ ich ganz allein gemacht!« Fast.

Aber der Reihe nach. Zuerst dachte ich, die Linke sei meine Familie. Doch die hatte sich eines Tages dermaßen zerstritten, da hieß es auf einmal: Scheidung! Was machen die Kinder in einem solchen Fall? Der eine Teil von mir dachte fortan antideutsch, der andere anti­im­pe­ria­lis­tisch. Das fand der Psychiater interessant, war aber der Sache nicht dienlich.

Beim nächsten Versuch, eine Familie zu gründen, nahm ich daher okaye Objekte der Begierde. Frau Maus und Herr Bär, wie wir zu Hause heißen, dachten logisch. Frau Maus adoptierte die blaue Maus. Die gab es in der Apotheke und ist eine mikrowellengeeignete Wärmflasche mit Kirschkernen darin. Ich fand den klei­nen Bären im Trödel neben der psychosozialen Beratungsstelle in der Goebenstraße, Berlin-Schöneberg. Rütli-Credits, Handy­klau und Prügeleien gab es bei uns noch nie. Stattdessen sorgt die blaue Maus für viel familiäre Wärme, logisch. Der Bär – wenn sie klein sind, sind sie am liebsten! – hat den unschlagbaren Vorteil, dass er nie erwachsen wird. So pflegeleichte Kinder gibt es selten.

Vor zwei Jahren kam dann die kleine Susi. Sie ist ja oft krank, so sind sie, die Nachzügler. Aber gerade die hat man ja am allerliebsten. Wenn es Susi nicht gut geht, bringen wir sie zu Doktor Fuhrmann in Neukölln, unserem Vertragsarzt. Denn wenn ihr die Nase läuft, braucht sie eine Zylinderkopfdeckeldichtung, und wenn sie stottert, keinen Logopäden, sondern eine Vergaserreinigung. Wenn sie gut drauf ist, ist sie unser Sonnenschein. Dann fährt sie 220 Spitze und ist in 3,9 Sekunden von Null auf Hundert. Elternfreuden!

Bei so viel Glück muss ich hier verkünden: Neulich war wieder was unterwegs. Weil wir nichts riskieren wollten, be­gaben wir uns in Spezialistenhände. Die Geburt verlief beinahe reibungslos. Das Kleine ist ein wenig eckig und hat 160 Seiten. Für ein Kind hat es einen Top-Umschlagentwurf. Selten ist eins so hübsch angezogen. Aber das Arme wird wohl noch viele Probleme kriegen: So lustig es ist, nur wenige wollen mit ihm spielen. Fachleute attestieren ein leichtes Tourette-Syndrom (Fluch­zwang). Wie schön, ganz der Vater! »Ist doch nur’n Buch, ej«, krieg’ ich manchmal ­geschimpft. Ist aber doch besser, als schizophren zu sein, oder?

Neulich habe ich meinem Chef meine Papa-Monate angekündigt. Der zeigte sich gleich hocherfreut: »Du hast sie nicht mehr alle!«

Von wegen.

jürgen kiontke