Die A-Mannschaft schlägt zu

Unbekannte terrorisierten in Ankara Transvestiten und Transsexuelle, bis diese die Stadt verließen. Die Polizei sah keinen Anlass einzugreifen. von sabine küper-büsch, istanbul

Die Person mit der Baseballkappe hat etwas Gehetztes an sich: einen flüchtigen Händedruck, unruhige Augen, einen wippenden Oberkörper und eine schnelle Sprechweise, an die man sich gewöhnen muss. Erst nach einiger Zeit wird Sezer ruhiger. Wenn der Transvestit die Baseballkappe etwas in den Nacken schiebt, sieht man ein androgynes, aber doch eher männliches Gesicht. Weibliche Züge wurden offenbar hastig und ängstlich übertüncht: die epilierten, mit dem Augenbrauenstift nachgezogenen Brauen, der ungeschminkte Mund mit Relikten des Permanent-Konturstrichs um die Lippen. Nur die langen Haare hat sich Sezer nicht geschnitten, aber er versteckt sie unter der Baseballkappe, die er selbst auf dem sicheren Terrain der Geschäftsstelle des Istanbuler Homo- und Bisexuellen-Verbandes Lambda nicht abnimmt.

Im April wurden die Transvestiten und Transsexuellen, die in Ankara im Vorort Eryaman leben und ihren Lebensunterhalt vor allem mit Sexarbeit verdienen, von einer unbekannten Gruppe Saubermänner, genannt die »A-Mannschaft«, terrorisiert. »Die ›A-Mannschaft‹ ist die Privatarmee von Melih Gökcek, dem Bürgermeister von Ankara«, behauptet Sezer. »Eine ihrer Methoden besteht darin, uns die langen Haare mit einem Säbel, vergleichbar einem Dönermesser, abzuschneiden. Das tut weh und demütigt. Dabei beschimpfen sie uns als ›Perverse‹ und ›dreckige Nutten‹.«

Am 12. April rückten die Saubermänner in einem Transitbus in Eryaman an. Dort leben Transvestiten und Transsexuelle aus der ganzen Türkei in zwei Straßenzügen. Die Gegend avancierte zu ihrem Straßenstrich in Ankara, nachdem die Stadtverwaltung sie vor zwei Jahren aus der Innenstadt vertrieben hatte. Etwa 20 bis 25 Personen bedrohten sie, als sie gerade auf Kunden warteten, mit Knüppeln und Dönermessern und forderten sie auf, von der Straße zu verschwinden. »Das sind keine Polizisten, keine Beamten oder sonst etwas. Das sind unkontrollierte brutale Schläger, die rot sehen, sobald ein Mensch, der nicht ihren Normen entspricht, auch nur die Straße betritt«, erzählt Sezer voller Empörung.

Niemand weiß genau, wer diese Leute sind. Stammen sie vom ehemaligen Jugendverband der inzwischen verbotenen islamistischen Wohl­fahrtspartei, als deren Kandidat Melih Gökcek vor zwölf Jahren zum Oberbürgermeister gewählt wur­de? Handelt es sich um ausgewählte Mitarbeiter der »Zabita«, der städtischen Angestellten, die in der Türkei ihrer Funktion gemäß zwischen Ordnungsamtsbeamten und der Polizei stehen? Oder aber um eine selbsternannte Bürgerwehr zum Erhalt von Ordnung, Moral und Anstand?

Am Tag nach dem Angriff ging Sezer mit einer Gruppe Transvestiten zur Polizei, um sich zu beschweren. Er lacht inzwischen selbst darüber, dass sie versuchten, dort Hilfe zu bekommen, denn im Allgemeinen schikaniert die türkische Polizei Transvestiten und Transsexuelle gnadenlos. Da Männer sich in der Türkei nicht als Prostituierte registrieren lassen können, arbeiten sie als Sexarbeiter grund­sätzlich illegal. Deshalb werden sie immer wieder zum Ziel wahlloser Verhaftungen, denen meist Geldstrafen folgen. Wenn sie diese nicht bezahlen können, kommen sie ins Gefängnis. Solange sie nicht als Sänger oder Künstler auf der Bühne oder im Fernsehen auftreten, finden sie in der Türkei in keinem bürgerlichen Beruf Arbeit. So sehen die meisten sich gezwun­gen, Sexarbeit zu verrichten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. In fast jedem türkischen Knast gibt es inzwischen eine Groß­raumzelle für Transvestiten und Trans­sexuelle.

Die Polizei in Ankara verlangte von Sezer und seinen Begleitern konkrete Angaben zu den Personen, die sie der A-Mannschaft zurechnen. Da »A-Mannschaft« auch ein Begriff im türkischen Fußballjargon ist, handelten sie sich auf dem Präsidium vor allem beleidigende Sprüche ein. Sie sollten doch eine B-Mannschaft aufstellen und mit der A-Mannschaft das nächste Mal Fußball spielen, hieß es.

Der 14. April war ein muslimischer Feiertag, an dem sich die Transvestiten und Transsexuellen wohlweislich in ihren Wohnungen verkrochen, um keinen Ärger zu erregen. Eigentlich ist Eryaman kein frommes Viertel. Eher eine moderne Trabantenstadt mit künstlichen Seen, bunten Hochhäusern und großen Ein­kaufs­zentren. Die Transvestiten und Transsexuellen fühlten sich in der anonymen Atmosphäre einigermaßen sicher. Sezer meint, dass die Schlägertypen es offensichtlich nicht ertragen konnten, sie außerhalb der Slums in einer relativ wohlhabenden Umgebung zu sehen.

Am Samstag, dem 15. April, eskalierte die Situation. Um neun Uhr abends, als es begann, auf dem Straßenstrich geschäftig zu werden, fuhren plötzlich mehrere Minibusse vor, und hunderte bewaffnete Männer strömten in das Viertel. Zunächst wurden die Autos der Transvestiten und Transsexuellen mit Knüppeln demoliert, dann wurden die Personen verprügelt. »Yagmur ist sehr übergewichtig«, erklärt Sezer, »sie konnte nicht weglaufen. Sie haben sie mit ihren Knüppeln brutal zusammengeschlagen.«

Im Laufe der nächsten zwei Tage wechselten sich die Polizei und die A-Mannschaft mit ihren Besuchen in Eryaman ab. Die A-Mannschaft kam, um die Leute zu verprügeln, Autos zu demolieren und schließlich auch, um in die Wohnungen der Gejagten einzudringen, sie zu plündern und die Einrichtung zu zerschlagen. Die Polizei rück­te stets viel zu spät an, um den Transvestiten und Transsexuellen zu zeigen, dass niemand sie schützt. Ohne die vollständigen Namen und Adres­sen der Täter ergriffen sie sowieso keine Initiative, betonten die Beamten. Die Gejagten versuchten schließlich, Anzeige gegen die Angreifer bei der Staatsanwaltschaft des Be­zirks Sincan zu erstatten. Das wurde mit dem Hinweis abgelehnt, nur einzelne Personen könn­ten bei konkreten Taten Anzeige erstatten. Weil sie keine Unterstützung von Anwälten, keine Lobby und keine Infrastruktur haben, verließen die meisten innerhalb einer Woche Eryaman.

Die Polizei weigert sich zu ermitteln. Deshalb wird vielleicht niemals aufgeklärt, wer sich hinter der mysteriösen A-Mannschaft verbirgt. Auch in Istanbul tyrannisierte die Polizei des Amüsierviertels Beyoglu Ende der neun­ziger Jahre auf Drängen der konservativen Nachbarschaft die Transvestiten und Transsexuellen, bis fast alle einschlägigen Straßen geräumt waren. Später kam es nur zu vereinzelten Prozessen wegen Amtsmissbrauch und Misshandlung.

Der zuständige und sehr gefürchtete Polizeikommissar, genannt »Süleyman mit dem Schlauch«, weil er mit einem solchen gerne seine Opfer verprügelte, wurde lediglich innerhalb Istanbuls versetzt. Keiner der Geschädigten und Misshandelten erhielt je eine Entschädigung.