Das Volk fragen

Palästinensischer Machtkampf von michael borgstede

»Wir sind einer Einigung näher, als Sie denken«, meinte der palästinensische Ministerpräsident Ismael Hanija noch am Donnerstag der vorigen Woche vollmundig. Unter den Augen einer ägyptischen Delegation hatten sich Abgesandte der regierenden Hamas gerade mit der Fatah-Partei von Präsident Mahmoud Abbas darauf geeinigt, ein »Nationales Komitee« zur Klärung prinzipieller Fragen zu gründen. Auf eine gütliche Einigung warten will Abbas anscheinend dennoch nicht. Sollte die Hamas nicht in zehn Tagen offiziell die Forderung nach einem palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 unterstützen, werde er diese Frage zum Gegenstand einer Volksabstimmung machen.

Abbas fordert von der Hamas, einem Papier zuzustimmen, das Gefangene aus der Fatah und der Hamas in israelischen Gefängnissen gemeinsam entworfen haben. Neben der Forderung nach einem palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 mit Jerusalem als Hauptstadt fordern sie auch das »Rückkehrrecht der Flüchtlinge«. Man will den Islamischen Jihad und die Hamas in die PLO eingliedern, »militärische Aktionen« auf die besetzten Gebiete beschränken, auf jede Gewalt untereinander verzichten und Ab­bas mit einem Mandat zur Aufnahme von Verhandlungen ausstatten. Die Hamas, die in ihrer Charta die Zerstörung Israels fordert, müsste den jüdischen Staat implizit anerkennen.

Dies lehnt ihre Führung strikt ab. Sie vermutet, dass eine Volksabstimmung zu­gunsten von Abbas ausgehen würde. Gewählt wurde die Hamas schließlich nicht hauptsächlich wegen ihrer unversöhnlichen Politik gegenüber Israel, sondern weil viele Palästinen­ser von der kor­rupten Führung der Fatah genug hatten. Der Wunsch nach Frieden ist aber nicht weniger stark. Umfragen zufolge wünschen über 70 Prozent der Palästinenser, dass Friedensverhandlungen aufgenommen werden. Zudem ist die palästinensische Autonomiebehörde pleite und die Hamas international weitgehend isoliert.

Nicht ohne Grund spricht Abbas davon, dass es an der Zeit sei, »dass wir nicht nur wissen, was wir ablehnen, sondern auch, auf welche politischen Ziele wir uns einigen können«. Er sieht das »gesamte nationale Projekt« in Gefahr. Derart deutliche Worte hätte man sich vor einigen Jahren von Yassir Arafat gewünscht. Nun kommen sie nach einer dramatischen Wahlniederlage der Fatah von Abbas, den viele stets nur für einen Apparatschik hielten.

In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob sich die Hamas von ihren ideo­logischen Zielen verabschiedet, um sich mit dem realpolitischen Konzept des Präsidenten anzufreun­den. Auf jeden Fall scheinen seine Drohun­gen nicht wirkungs­los zu sein. Angeblich weil man sich auf keinen Treffpunkt einigen konnte, wurde der »Nationale Dialog« am Sonntag fürs erste verschoben. In einer Moschee in Gaza wies Ministerpräsident Haniya das Ultimatum zurück: »Wir werden keine politischen Zugeständnisse machen«, sagte er. »Selbst wenn sie uns von allen Seiten belagern, sollten sie nicht davon träumen, dass wir nachgeben.« Trotz dras­tischer Rhetorik will die Hamas aber unbedingt vermeiden, dass der palästinensische Konflikt eskaliert und die Scharmüt­zel in Gaza zu einem Bürgerkrieg ausarten. Um weitere Kämpfe zu vermeiden, hat die Organisation die Mitglieder eines neuen Hamas-Sicherheitsdienstes wieder von den Straßen von Gaza entfernt.