Crashkurs nach Heiligendamm

Auf dem Buko-Kongress in Berlin war ein beherrschendes Thema der G 8-Gipfel in Heiligendamm im kommenden Jahr. von nicole tomasek

Ich weiß nicht, ob Ahmadinejad wirklich Antisemit ist«, meine Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung (Imi) und löste damit einen Eklat auf dem diesjährigen Kongress der Bundeskoordination Internationalismus (Buko) aus, der am Wochenende in Berlin stattfand. Die Friedensaktivistin hatte auf einer Podiumsveranstaltung zum Thema Iran gesprochen und musste sich die Frage aus dem Publikum gefallen lassen, warum in den zwei Stunden, in denen zuvor über den vermeintlich drohenden Krieg im Iran referiert worden war, das Thema Antisemitismus mit keinem Wort erwähnt worden sei. Ihr Statement ließ Zweifel an der analytischen Kraft der Imi aufkommen. Während der Veranstaltung wurde überdies der Referent Farshid Feridony, Dozent an der Freien Universität Berlin, aus dem Publikum als »Faschist« beschimpft, weil er dem Islamismus keine eman­zipatorischen Impulse abgewinnen konnte.

Ansonsten blieb der Kongress von derartig heftigen Konfrontationen verschont. Viele Anhänger des Antiimperialismus trafen sich wohl auf dem gleichzeitig stattfindenden Kongress der Politsekte Linksruck mit dem klingenden Namen »Marx ist Muss«. Antideutsche waren auch rar gesät, so dass auf dem Buko-Kongress eher Harmonie herrschte. Während es draußen Bindfäden regnete, fand drinnen Vernetzung statt.

Im Mittelpunkt stand in diesem Jahr das Thema Kontrolle und die Frage, wo diese angewandt wird und wie sie funktioniert. Der Ladenhüter vom vergangenen Jahr, die »Aneignung«, war auch wieder im Angebot. »Respond/reject/regain/antworten/abweisen/aneignen« lautete das Submotto. »Wie sieht emanzipativer Widerstand gegen Kontrolle aus, was bedeutet es, sich Kontrolle über das Leben wieder anzueignen?« hieß es in der Ankündigung. Das Programm zu den diesjährigen Schwerpunkten Migration und Kolonialismus, Stadt und Sicher­heit, Energie und G 8 war allein 40 Seiten lang.

Besonders viel Raum nahm der G 8-Gipfel ein, der im kommenden Jahr im mecklenburgischen Heiligendamm stattfinden wird. Die Proteste dagegen werden bereits organisiert. Eigentlich müsste die Anti-Gipfel-Bewegung der G 8 dankbar sein. Ohne sie hätten sich viele vielleicht gar nicht wieder getroffen. Als axis of evil der globalen Herrschaftsverhältnisse bietet die G 8 für die unterschiedlichsten Gruppen der Linken wunderbare Anknüpfungspunkte für ihre Kritik und Kommunikation untereinander. Viele Leute werden politisiert, die Bewegung wächst. Aber gehen die Aufrufe zum Protest gegen die G 8 über das identitätsstiftende Moment für die Bewegung hinaus?

Dieser und anderen Fragen sollte in zahlreichen Veranstaltungen nachgegangen werden. Die Vorbereitungsgruppe Forum G 8 hatte in ihrer Programmeinführung »eine fundierte Kritik an der G 8, aber auch eine Selbstkritik der Gegenmobilisierung« angekündigt. Es gehe darum, hinter »der symbolischen Politik die Rolle der G 8 in den globalen Herrschaftsverhältnissen zu erkennen«. Schließlich sollte undifferenzierte Kritik auf dem Kongress eigentlich keinen Platz haben.

Im Workshop »Welche Macht hat die G 8?« kritisierte daher Markus Wissen vom Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft, einer Gruppe innerhalb der Buko, ein Politikverständnis, demzufolge »Politik von denen da oben gemacht« werde. Die Macht der G 8 sei in erster Linie symbolisch. Ihre Stärke liege darin, dass sie bestimme, »was eigentlich als Problem verhandelbar ist«, und entsprechende Lösungen propagiere. Statt die »Verschlingung von Ressourcen durch den Kapitalismus« zum Thema zu machen, verhandelten die Mitgliedsländer lieber »Energiesicherheit«. Insbesondere beim Konflikt um den Zugang zu strategischen Ressourcen diene die G 8 daher auch zur »Bearbeitung von Widersprüchen zwischen dominanten Staaten«.

An diesem Punkt knüpfte der Work­shop »Was wäre, wenn es die G 8 nicht mehr gäbe?« an. Dort vertrat Werner Rätz von Attac die Ansicht, dass die G 8 eine Institution sei, die »Schlimmeres« verhindere, da durch sie »ernsthafte innerimperialistische Widersprüche imperialistisch ausgeglichen« würden. Außerdem werde auf dem Gipfel ohnehin »nur noch öffentlichkeitswirksam inszeniert, was schon längst entschieden ist«.

Die Frage, ob die Forderung nach einer Abschaffung der G 8 überhaupt sinnvoll sei, da die globalen Verhältnisse nicht einfach ebenso verschwänden, versuchte ein Mitglied der Gruppe »Für eine linke Strömung« (Fels) zu beantworten. Bei der an sich unkonkreten Forderung handele es sich eben um den »kleinsten gemeinsamen Nenner« verschiedener Bewegungen.

Aber außer einer fortschreitenden Abschottung der Gipfel und dem Rückzug der Regierenden auf ländliche Tagungsorte können die Proteste wohl kaum viel erreichen, schon gar nicht eine Auflösung der G 8. Ein Angehöriger von Fels meinte, die Parole »G 8 abschaffen!« solle bewirken, dass die Legitimität von Herrschaft »grundsätzlich bestritten« werde. Dass ausgerechnet die G 8 ein beliebtes Angriffsziel für Proteste bilde, liege an der »Verdichtung globaler Herrschaftsverhältnisse in einem Punkt«.

Die »Verdichtung« des Protests und das Aufspüren eines inhaltlichen Minimalkonsenses scheinen hingegen nicht so einfach zu bewerkstelligen zu sein. Nichts wird so sehr gefürchtet wie die Vereinnahmung. Als schlimmstes Beispiel galt vielen Gruppen der letzte G 8-Gipfel im schottischen Gleneagles. Dort habe sich nämlich die »Kulturmafia« um Bob Geldof zusammen mit der britischen Regierung um konstruktive Kritik bemüht und versucht, die Proteste zu spalten, wie jemand von der Gruppe »Infotour« auf dem »Crashkurs G 8« im Rückblick erzählte. Da »zurechtgestutzte Protestthemen« (Fels) mit dem Slogan »make poverty history« radikalere Forderungen überlagert hätten, sei es kaum möglich gewesen, der Öffentlichkeit andere Inhalte zu vermitteln.

Wie die Welt außerhalb der linken Szene überhaupt erreicht werden soll, bleibt eine unbeantwortete Frage. Den »hegemonialen Medien« vertraut die Bewegung nicht. Den eigenen Leuten aber auch nicht so richtig. Denn »die Medien finden ihren Idioten, wenn sie einen haben wollen«, meinte ein Teilnehmer des »Linksradikalen Vernetzungstreffens«. Da helfe nur »inhaltliche Auseinandersetzung, um uns gemeinsam schlau zu machen«, unter anderem auf dem Anti-G 8-Camp, das im August an der Ostsee stattfinden soll.

»Wie kann die Mobilisierung genutzt werden, um statt einer einmaligen und punktuellen Konzentration der Kräfte dauerhaft handlungsfähige Strukturen zu schaffen?« fragt der Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft in einem Diskussionspapier. Die Delegitimierung der G 8 als zentrale Forderung sollte sich auch auf die »zu Grunde liegenden Formen und Definitionen von Politik, Entscheidungsfindung und gesellschaftlicher Struktur« beziehen. Es gehe um »Aufbau und Leben von Alternativen«.

Auf der Veranstaltung »Erwartungen an den G 8-Prozess« verwies ein Vertreter von Attac auf die »neuen Spielräume«, die sich aufgrund der »tektonischen Verschiebungen in der Weltsituation« ergeben hätten. Es gebe »effektive Deglobalisierungsversuche« etwa durch die »Selbstorganisation von Regionen, Völkern« und Nationalstaaten, die ihre »Souveränität wieder erkämpfen«. Offensichtlich hatten es doch noch ein paar Antiimps auf den Kongress geschafft.

Dieser ging dann irgendwann auch seinem Ende entgegen. Genug vernetzt, genug mobilisiert und Alterna­tiven gelebt. Jetzt kann sich der »Protest am Alltag orientieren«, denn »Widerstand muss auch im eigenen Leben stattfinden«, wie es in der Wandzeitung des G 8-Workshops hieß.