142 Jahre downloaden

eDonkey-Razzia: Mit einer groß angelegten Durchsuchungsaktion gingen Behörden und die Plattenindustrie in der vergangenen Woche gegen Internetpiraten vor. von markus ströhlein

Die Polizei schläft nicht. Zumindest schläft sie nicht sonderlich lange. Morgens um halb sieben verschafften sich Beamte am Dienstag vergangener Woche Zutritt zu 130 Wohnungen im gesamten Bundesgebiet, um Hausdurchsuchungen durchzuführen. Noch am selben Tag wurden 3 500 Strafverfahren eingeleitet. Die Großrazzia richtete sich gegen Benutzer der Internettauschbörse eDonkey, bei der man umsonst Musik und Filme herunterladen kann, was illegal ist.

Selten haben staatliche Stellen und die Industrie so eng zusammengearbeitet wie im Fall der bisher größten derartigen Razzia der Bundesrepublik. Den Hausdurchsuchungen und eingeleiteten Strafverfahren gingen monatelange Ermittlungen sowohl der Polizei als auch privater, von der Plattenindustrie beauftragter Fahnder voraus. Die Pro Media GmbH ist nach eigenen Angaben eine »Gesellschaft zum Schutze geistigen Eigentums«, entpuppt sich bei näherer Betrachtung jedoch als eine Art Söldner­truppe, die von den Tonträger­verbänden bezahlt wird und Jagd auf Raubkopierer macht.

Die Gesellschaft überwachte in enger Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Köln einen Server der Tauschbörse eDonkey im Rhein-Erft-Kreis in Nordrhein-Westfalen. Über das Internet und mit einer speziellen Software verbindet der Server die Benutzer. Diese stellen bestimmte Dateien auf ihrer Festplatte zum Download zur Verfügung und können sehen, was die anderen im Angebot haben. P2P-Systeme nennt man Börsen wie eDonkey, Kaazaa, Gnutella, BitTorrent oder Soulseek. Das Kürzel steht für »peer to peer«. Von Kumpel zu Kumpel läuft ein reger Tausch von Musik und Filmen, aber auch Büchern und Bildern ab.

Mit einer eigens entwickelten Software spionierten die Ermittler von Staatsanwaltschaft und Pro Media den Server von eDonkey aus und sammelten mehr als 40 000 Einwahladressen. Mit Hilfe der Internetanbieter wurden schließlich 3 500 Nutzer namentlich identifiziert.

Die Plattenindustrie frohlockte am Tag der Razzia. Michael Haentjes, der Vorsitzende des deutschen Ablegers der International Federation of the Phono­graphic Industries (IFPI), war auf einer Pressekonferenz voll des Lobes: »Die IFPI bedankt sich im Namen der Musikindustrie für die hervorragende Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden und gratuliert allen Beteiligten zu dem großen Ermittlungserfolg. Die wichtige Botschaft an alle Internetnutzer ist, dass niemand damit rechnen kann, unentdeckt zu bleiben, wenn er Straftaten im Internet begeht.« Sogar John Kennedy, der Vorsitzende der IFPI, war aus Anlass der Großrazzia nach Deutschland gekommen.

Der Server von eDonkey läuft aber immer noch. Ihn zu betreiben, ist vollkommen legal, da er keine Daten illegal zur Verfügung stellt, sondern lediglich dazu dient, die Benutzer miteinander zu verbinden. Die Tonträgerverbände scheinen es deshalb in stärkerem Maß auf die Benutzer abgesehen zu haben.

Diese haben recht wenig zu lachen, wenn sie erwischt werden. Die strafrechtlichen Folgen sind dabei das kleinere Übel. Mit Leuten, die weniger als 100 Songs zum Tausch angeboten haben, zeigen sich die Staatsanwälte gnädig. Meist wird erst ab 500 Songs ein Strafverfahren eingeleitet. Dann droht dem Internetpiraten eine Geldstrafe oder eine Frei­heitsstrafe von drei Jahren.

Überraschend ist, dass es bisher keine Gerichtsurteile gegen Benutzer von Tauschbörsen gibt. Das zumindest behauptet der Hamburger Rechtsanwalt Christian Solmecke im Gespräch mit der Jungle World: »Ich habe lange gesucht. Ich konnte keine Urteile gegen P2P-Benutzer finden. Bisher haben sich die Plattenfirmen und die Betroffenen immer außergerichtlich geeinigt. Die Darstellungen der Musikindustrie, sie habe allerlei Urteile im Rücken, sind also nicht wahr.«

Solmecke hat sieben Mandanten unter den Personen, die die Ermittler am vergangenen Dienstag geschnappt haben. Die zivilrechtlichen Konsequen­zen, also die Schadensersatzforderungen, würden die Beschuldigten hart treffen. Denn die Taschenrechner der Musikindustrie arbeiten auf eine ganz eigene Art. Da werden Geldsummen und Zahlen eingegeben, die Taste für Multiplikation wird gedrückt, und schon stehen schier unglaubliche Beträge auf dem Papier.

Von einem Mandanten Solmeckes fordert Pro Media 40 Millionen Euro. Die Rechnung geht so: Der Beschuldigte hatte 4 000 Songs auf seiner Festplatte gespeichert. Für jedes Lied verlangt Pro Media 10 000 Euro Schadensersatz. Solmecke muss lachen: »Ein Song kostet im legalen Download 99 Cent. Um einen Schaden von 10 000 Euro zu verursachen, müsste man das Lied also 10 000 Mal weiter verbreiten. Mit einer herkömmlichen DSL-Verbindung hätte mein Mandant 142 Jahre gebraucht, um alle 4 000 Songs wirklich so oft weiterzugeben.«

Die absurd hohen Forderungen dienten der medienwirksamen Abschreckung. Außergerichtlich einige man sich auf Zahlungen zwischen 3 000 und 10 000 Euro, sagt Solmecke weiter.

Nicht nur bei Schadensersatzforderun­gen beweisen Vertreter der Plattenfirmen Phantasie. Auch von den Tauschenden haben sie ihr eigenes Bild. Meist reden sie von »Netzwerken« von »Raubkopierern« und »Internetpiraten«, so als gingen Schwerkriminelle in dunklen Hinterzimmern mafiösen Geschäften nach. Vollkommen unrealistisch, meint Solmecke: »Es handelt sich doch nicht um organisierte Kriminalität. Der Datentausch läuft anonym, privat und bei der über­wältigenden Zahl der Fälle aus Vergnügen an der Musik ab.«

So liegt das Problem Solmecke zufolge nicht hauptsächlich bei den Tauschenden: »Will man Hunderttausende kriminalisieren, nur weil die bestehende Rechts­lage das vorsieht? Oder passt man die Rechts­lage den sich verändernden Gewohnheiten an? Und passt sich auch die Plattenindustrie den veränderten Gewohnheiten der Konsumenten an?«

Thorsten Seif von der Hamburger Plattenfirma Buback, auf dem die Alben der Goldenen Zitronen, von DJ Koze und JaKönigJa erscheinen, hält die Probleme der Tonträgerindustrie mit Downloads und sinkenden Umsätzen für selbst verschuldet: »Mitte und Ende der neunziger Jahre haben die Majorlabels billig und schlecht pro­duzierten Schrott in großen Mengen auf den Markt geworfen. Damit haben sie das Medium der CD selbst entwertet. Es ist nicht verwunderlich, dass sich junge Leute, die ohnehin weniger Geld haben, Musik auf anderen Wegen besorgen. Lust auf Musik haben sie nach wie vor.«

Die Firma Buback selbst sei vom Herunter­laden auch betroffen, aber nach Einschätzung Seifs nicht ganz so stark wie Labels, die zum Mainstream zäh­len. Eines steht für ihn jedoch fest: »Grundsätzlich kann ich es nicht für gut befinden, die Leute zu verfolgen, zu verurteilen und zu bestrafen.«

Und wie sehen es die Musiker selbst? Bei den Bands auf seinem Label gebe es ganz unter­schied­liche Meinungen. »Jan Delay sieht seine Existenz als Berufsmusiker gefährdet. Eine heruntergeladene Platte ist für ihn eine nicht verkaufte Platte«, sagt Seif. »Den Goldenen Zitronen ist das egal. Sie haben noch andere Einkünfte neben der Musik, machen Theater oder sonstiges.«

Doch selbst wenn sich die Musiker nicht an den Tauschbörsen stören oder wie Robbie Williams im Jahr 2003 sogar dazu auffordern, ihre Platten herunterzuladen, müssen die Musiktauschenden vorsichtig sein. John Kennedy, der Vorsitzende der IFPI, hat Presseberichten zufolge bereits neue Pläne: »Wir suchen uns unterschied­liche Ziele, zu unterschiedlichen Zeiten. BitTorrent ist nicht immun.« Benutzer von BitTorrent sollten sich also nicht wundern, wenn es irgendwann in aller Frühe an der Tür klingelt.