Die Angst vor den Generälen

Antiterrorgesetz in der Türkei von jan keetman

Mit der Demokratisierung scheint es dem türkischen Militär zu weit gegangen zu sein. Ein junger Staatsanwalt namens Ferhat Sarikaya löste einigen Ärger aus. Als der dringende Verdacht bestand, Militär­angehörige seien in einen Bombenanschlag auf einen Buchladen in Semdinli im äußersten Südosten des Landes verwickelt, ermittelte Sarikaya mutig bis in die höchsten Ränge. Als er schließlich um Erlaubnis bat, eine gerichtliche Untersuchung gegen den Armeegeneral Yasar Büyükanit einzuleiten, war die Geduld des Generalstabschefs Hilmi Özkök zu Ende. Er forderte eine Untersuchung gegen die Urheber »ohne Rücksicht auf das Amt, das sie bekleiden, und den Status, den sie innehaben«. Doch meinte er damit nicht die Urheber des Bombenanschlags von Semdinli, sondern den Staatsanwalt und seine vermeintlichen »Hintermänner«. Am Donnerstag der vergangenen Woche wurde Sarikaya aus dem Dienst als Staatsanwalt entlassen.

Es sind weniger die Unruhen im Osten als der Druck des Militärs, auf den die Regierung mit dem Entwurf eines verschärften Antiterror­gesetzes reagiert, wohl wissend, dass sie damit einige der gerade erst beschlossenen Libe­ralisierungen, die von der EU angemahnt wor­den waren, wieder zurücknimmt. Es handelt sich dabei etwa um die Möglichkeit, Häftlinge aus dem Gefängnis noch einmal zum Verhör zu holen, was die Gefahr erhöht, dass diese weiter gefoltert werden. Oder um die Restitution des berüchtigten Paragraphen 8 des Antiterrorgesetzes (»separatistische Propaganda«), der in der Vergangenheit viele Intellektuelle und Verleger ins Gefängnis gebracht hat. Zu den zahlreichen Verschärfungen gehört auch der Straftatbestand »Entfremdung des Volkes vom Militär«. Dies war zwar auch bisher strafbar, und gegen eine Journalistin, die das Recht auf Wehrdienstverweigerung gefordert hat, ist derzeit ein Verfahren anhängig. Doch nun kann jeder, der das Militär kritisiert, auch als Terrorist verfolgt werden.

Mitglieder der Sicherheitskräfte, gegen die wegen schwerer Straftaten im Zusammenhang mit der Terrorbekämpfung ermittelt wird, können künftig von der Untersuchungshaft verschont bleiben. Selbst der türkischen Boulevardzeitung Milliyet fielen dazu an erster Stelle die beiden Unteroffiziere ein, die wegen des Bombenanschlags von Semdinli, bei dem ein Mensch starb, in Untersuchungshaft sitzen. Über einen dieser Unteroffiziere hatte Armeegeneral Büyükanit gesagt, er kenne ihn und er sei »ein guter Junge«.

Dass sich Ministerpräsident Tayyip Erdogan seine Politik vom Militär derart diktieren lässt, hat verschiedene Gründe. Zum einen fürchtet er eine Situation wie im Jahr 1997, als das Militär den islamistischen Premierminister Necmettin Erbakan seines Amtes enthob. Den letzten Stoß versetzten die Generäle Erbakan mit der Behauptung, er unterstütze den Kampf gegen die PKK nicht.

Zudem braucht Erdogan auf die Kurden als Wähler nur wenig Rücksicht zu nehmen. Bei den letzten Wahlen in Diyarbakir erhielt die pro-kurdische Dehap über 56 Prozent der Stimmen, wegen der geltenden Zehn-Prozent-Hürde aber keinen Parlamentssitz. Erdogans AKP kam dort auf weniger als 16 Prozent Stimmen, erhielt aber acht Mandate in der Provinz. Die restlichen beiden Mandate fielen an die kemalistische CHP, die keine sechs Prozent der Stimmen in Diyarbakir erreichte. Daher fällt es auch dem Anführer der CHP, Deniz Baykal, nun leicht, sich als Scharfmacher in der Terrorismusfrage zu profilieren.

Doch wenn sich diese Frage mit rigoroseren Gesetzen lösen ließe, dann wäre sie bereits seit 1979 gelöst, als über die kurdischen Provinzen das Kriegsrecht verhängt wurde.