Vorwärts und nicht vergessen

Nachdem die französische Regierung den Ersteinstellungsvertrag zurückgenommen hat, debattieren die Aktivisten, ob und wann die Proteste weitergehen sollen. von bernhard schmid, paris

Ist jetzt wieder alles ruhig in Frankreich? Richtig ist, dass die Streiks und Massendemonstrationen vorerst abgeklungen sind, nachdem die konservative Regierung unter Dominique de Villepin einige Forderungen der Demonstranten erfüllt und den »Ersteinstellungsvertrag« CPE zurückgezogen hat. Aber eine Minderheit demons­trierte auch vergangene Woche mit oft symbolischen Blockadeaktionen, kleineren Protestzügen oder Besetzungen öffentlicher Institutionen. Sie fordert, die gesamten Maßnahmen mit dem Namen »Gesetz für Chancen­gleichheit« zurückzunehmen, und nicht allein den CPE in Artikel 8.

Der politisierte harte Kern der studentischen Protestbewegung bemüht sich darum, keine Kluft zwischen den studentischen Aktivisten einerseits und der Jugend aus dem Proletariat oder Subproletariat andererseits entstehen zu lassen. Zumindest unter den Studenten war es bis zuletzt Konsens, dass die Rücknahme der gesamten Gesetze gefordert werden muss. Das spiegelte sich auch in den Beschlüssen auf Vollversammlungen und den Fronttransparenten studentischer Demonstranten wider.

Das Gesetz hat es auch ohne den zurückgenommenen CPE in sich. Es enthält beispielsweise einen Passus zur Senkung des legalen Lohnarbeitsalters von 16 auf 14 Jahre, bei Nacht- und Wochenendarbeit auf 15 Jahre. Zudem sind Kollektivbestrafungen von ganzen Familien vorgesehen, deren Kinder zu häufig die Schule schwänzen: Ihnen sollen in solchen Fällen Sozialleistungen gesperrt werden. Der Großteil dieser Bestimmungen trifft vor allem Un­ter­schichts­familien in den Trabantenstädten.

Aus diesem Grunde halten viele aus dem harten Kern der Anti-CPE-Bewegung es für dringend geboten, weiterhin zum Protest gegen die Gesetze aufzurufen. Ihnen geht es vor allem auch darum, dass von bürgerlichen Medien nicht der Eindruck erweckt werden kann, es sei in Wirklichkeit doch nur um die Belange einer studentischen Klientel gegangen. Einer solchen Tendenz wollten zumindest die politisierten Protestierenden von Anfang an entgegenwirken.

Auch innerhalb der radikalen Linken treten einige für eine Beendigung der Proteste in ihrer jetzigen Form ein. Während der Hochschulferien, die vergangene Woche begannen und bis Anfang Mai dauern, befürchten sie ein Abebben der Proteste. Daher müsse im Mai mit veränderten Formen des Widerstands neu begonnen werden.

Das wichtigste Argument derjenigen, die die Proteste unterbrechen wollen, lautet, dass man den wich­tigen Teilerfolg – die Rücknahme des CPE, mit der die regierenden Konservativen erstmals seit dem Jahr 2002 zum Nachgeben gezwungen wurden – jetzt nicht in eine Niederlage verwandeln dürfe. Dies drohe aber, falls man einen immer schwächer werdenden Protest in unveränderter Form fortführe, so dass es am Ende danach aussehen könnte, als laufe sich die Bewegung tot.

Die Gewerkschaftsführungen sprechen dagegen kaum von den anderen Maßnahmen des »Gesetzes zur Chancengleichheit«. Allerdings haben auch sie vergangene Woche neue Forderungen erhoben, die auch von studentischen Protestierenden gestellt werden: Die Regierung soll den »Neueinstellungsvertrag« CNE zurücknehmen. Dieser funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie der abgeschaffte Ersteinstellungsvertrag und hebt den Kündigungsschutz während der ersten beiden Beschäftigungsjahre auf. Doch betrifft er nicht nur die junge Generation, sondern alle Beschäftigten in Kleinbetrieben. Diesen Vertrag hatte das Kabinett von Dominique de Villepin bereits im August vergangenen Jahres per Regierungsdekret eingeführt. Vor allem die Ge­werkschaft CGT möchte den Schwung der jüngsten Proteste nutzen, um offensiv die Abschaffung des CNE zu fordern. Aber auch der Generalsekretär des sozial­liberalen Gewerkschaftsbunds CFDT, François Chérèque, forderte, Druck in dieser Richtung auszuüben; zumindest sagte er das in einem Interview der Zeitung Libération.

Auffällig an der Protestbewegung war unter anderem, dass es in einem überwältigenden Ausmaß gelungen ist, auch Beschäftigte von kleinen Unternehmen des privatwirtschaftlichen Industrie- und Dienstleistungssektors dazu zu bewegen, sich den Demonstrationen anzuschließen. So etwas war in den vergangenen 15 Jahren nicht möglich. In dieser Zeit waren es vor allem die öffentlich Bediensteten, die in Form von Arbeitsniederlegungen an gesellschaftlichen Protestbewegungen teilnehmen konnten. Ihnen drohte nicht so stark der Verlust ihres Jobs wie etwa den Beschäftigten der Privatwirtschaft, denn der öffentliche Dienst galt als relativ »geschützter Sektor«.

Insgesamt kann man bilanzieren, dass die Anti-CPE-Bewegung vor allem gegen eine drohende gra­vierende Verschlechterung der Arbeits- und Lebens­bedingungen antrat. Im Mittelpunkt der Proteste stand die Abwehr dieser sozialen Regression und nicht die Durchsetzung einer sozialen Utopie. Aber mit diesem Interessenkampf konnten die ganze Zeit auch andere Interessen, die mit so­zia­ler Emanzipation zusammenhängen, verknüpft wer­den. So dauert etwa die gemeinsame Besetzung eines öffentlichen Gebäudes im südlichen 13. Pariser Bezirk durch Studierende und illegalisierte Migranten, die Sans papiers, weiterhin an. »Gegen die Prekarisierung der Jugend, gegen die Prekarisierung der Lebensbedingungen von Einwanderern«, lautet die gemeinsame Grundlage.

Im Kontext der Proteste gegen den CPE begann auch der Widerstand gegen den neuen Entwurf für eine verschärfte Ausländergesetzgebung, den Innenminister Nicolas Sarkozy am 2. Mai im Parlament einbringen wird. Zu einem ersten Konzert in Paris am 2. April gegen die Gesetzesvorlage kamen über 10 000 Menschen, nachdem auf den Demonstrationen gegen den CPE stark dafür geworben worden war.

Nicht zu Ende ist die Auseinandersetzung auch für die zahlreichen Betroffenen von Repression. Selten waren die staatlichen Gegenmaßnahmen in den vergangenen Jahrzehnten derart heftig wie angesichts einer sozialen und politischen Protestbewegung. Seit Anfang März wurden über 4 000 Festnahmen bekannt, bis Mitte voriger Woche wurden 68 Gefängnisstra­fen ohne Bewährung verhängt.

Auch ohne falsche Parallelen zum französischen Mai 1968 und seiner revolutionären Begleitmusik zu ziehen, lässt sich doch feststellen, dass sich viele junge Leute in dieser Protest­bewegung politisiert haben.