Oskars reregulierte Welt

Auf der Rosa-Luxemberg-Konferenz der Tageszeitung junge Welt trat am Wochenende Oskar Lafontaine auf. von markus ströhlein

Er hat es schwerer als sonst. Die Zuhörer im Audimax der Berliner Humboldt-Universität entsprechen nicht dem Publikum, vor dem er für gewöhnlich auftritt. Die jüngeren Besucher der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2006 tragen mehrheitlich Gesinnungskleidung, auf die wahlweise in knalligen Farben Hammer und Sichel, das Konterfei Lenins, eine Selbstcharakterisierung wie »Antifascist« oder »Anticapitalista« oder ein Slogan gedruckt ist, der die Befreiung eines Bergvölkchens unter Anwendung maoistischer Guerillakriegführung fordert. Selbst die Grauhaarigen, die ungefähr die Hälfte des Publikums ausmachen, tragen dezent rote Sternchen am Revers oder haben Bücher vor sich liegen mit Titeln wie »Spuren der Wahrheit. Bewahrenswertes DDR-Erbe«.

Das ist nicht Lafontaines typische Zielgruppe. Aber als Anführer einer neuen Partei darf man nicht allzu wählerisch sein. Schließlich finden in Berlin im September die Wahlen für das Abgeordnetenhaus statt, Stimme ist Stimme. Geht es nach Lafontaine, werden die Wasg und die Linkspartei gemeinsam zur Wahl antreten.

Zaghaft beginnt er seine Rede. Die Versatzstücke, die noch im Dezember auf dem Berliner Landesparteitag der Linkspartei für tosenden Applaus gesorgt haben (Jungle World, 49/05), verfehlen diesmal ihre Wirkung. Nur verhalten wird geklatscht, als der Mann auf der Bühne den Einzug der Linksfraktion in den Bundestag als historisches Ereignis anpreist.

Dieses Publikum möchte keiner innerparteilichen Selbstbeweihräucherung beiwohnen. Es wünscht die große Welterklärung. Der routinierte Redner merkt das. Geschickt testet er mit Floskeln von einer »positiven Utopie der Gesellschaft« und der »Weltgesellschaft der Freien und Gleichen« die Reaktionen. Die Menge zeigt Pawlowsche Reflexe. Der Applaus wird lauter.

Also erklärt Lafontaine die Welt. Einfach ist sie eingerichtet. Es gibt lediglich »Starke« und »Schwache« in ihr. Damit es nicht langweilig wird, heißen sie manchmal auch »Reiche« und »Arme«, »reiche Länder« und »arme Länder« oder »USA« und »Rest der Welt«.

Um die Welt sei es schlimm bestellt, sagt Lafontaine. Denn die USA bezichtigten andere Länder des Terrorismus, nur um Kriege anzuzetteln. Das sei »Staatsterrorismus«. Um dem Einhalt zu gebieten, gebe es das Völkerrecht. Es schütze die »Schwachen« vor den »Starken«. Um die theoretischen Ausführungen anschaulich zu machen, führt Lafontaine ein Beispiel an: »Das Völkerrecht gilt auch für den Iran.« Jedoch nicht derart, dass auch seine Nachbarn ein Recht haben, von ihm unbehelligt existieren zu können. Nein, auch dem Iran soll die Nutzung der Atomenergie gewährt sein. Es sei skandalös, wenn Staaten, die selbst den Atomwaffensperrvertrag gebrochen hätten, dem Iran nun drohten. Der Nahe Osten solle eine von Atomwaffen freie Zone werden. »Das gilt für alle«, sagt Lafontaine, und gemeint ist wohl Israel. Es wird stark applaudiert. Vereinzelt kommt es zu Zwischenrufen: »Jawohl!«

Zurück geht es zur Innenpolitik. Was für die Welt gilt, gilt auch für Deutschland. Die »Starken« machen den »Schwachen« das Leben schwer. So zögen die Banken armen Rentnern mit Überzugszinsen das Geld aus der Tasche, während sie Besserverdienenden üppige Kredite gewährten. Zur Forderung der »Verstaatlichung der Deutschen Bank und der Schlüsselindustrien« lässt sich Lafontaine sogar hinreißen, mäßigt sich aber sofort, denn »zunächst muss die Privatisierung der öffentlichen Dienste gestoppt werden«.

Die »Starken« in Deutschland hätten eine per­fi­de Strategie, die »Deregulierung« der Wirtschaft. Da helfe nur eins, die »Reregulierung«. In welcher Lage es sich am besten »reregulieren« lässt, weiß Lafontaine. Die Frage nach einer Regierungsbeteiligung könne man »nie grundsätzlich mit ja oder nein« beantworten.