Raus aus Kiew

Vom Trainer zum Politiker und zurück: Der ukrainische Fußballnationalcoach Oleg Blochin hat viele Leben. Nun nimmt seine Elf erstmals an der Weltmeisterschaft teil. von kim bönte

Als beim WM-Qualifikationsspiel Türkei – Dänemark in letzter Sekunde der dänische Ausgleich zum 2:2 fiel, wurde einige tausend Kilometer entfernt sehr gejubelt. Denn mit dem Treffer stand die Ukraine als achter Teilnehmer der Endrunde für die Fußballweltmeisterschaft 2006 fest. Zum ersten Mal werden die in hellblau-gelbe Trikots gekleideten Kicker des Landes nun an solch einem Großereignis teilnehmen dürfen.

Entsprechend enthusiastisch fielen die Kommentare aus. Stürmer Andrej Shevchenko erklärte: »Dieses Glücksgefühl sollte jeder Fußballer wenigstens einmal in seinem Leben spüren. Es ist ein Traum.« Nationalcoach Oleg Blochin sagte: »Ich weiß, die Leute denken jetzt, ich sei wahnsinnig. Aber ich glaube fest, dass wir jetzt auch die Chance haben, die WM zu gewinnen.«

Blochin hat am 16. Juli 1972 in der sowjetischen Nationalelf debütiert. Damals erreichte das Team ein 1:1 gegen Finnland. Trainer Walerij Lobanowski förderte den Stürmer intensiv und richtete das Spiel der Mannschaft ganz auf ihn aus. Denn bereits der junge Oleg bestach durch seine Schnelligkeit – er lief die 100 Meter in 10,8 Sekunden –, durch ausgeprägte Balltechnik und seine Fähigkeiten sowohl als Spielmacher wie als Konterspezialist.

18 Jahre lang sollte der Stürmer in der Auswahl stehen, erst am 21. September 1988 gab er gegen die DFB-Kicker in Düsseldorf sein Abschiedsspiel, das allerdings mit 1:0 verloren ging. Bis zu diesem 21. September hatte Blochin in 112 Länderspielen 42 Tore für die Mannschaft der UdSSR erzielt. Das machte ihn zum erfolgreichsten Torschützen des sowjetischen Nationalteams. 1976 hat er zwei EM-Spiele bestritten und 1982 und 1986 an den Weltmeisterschaften teilgenommen. Einen Titel konnte die Auswahl dabei jedoch nicht gewinnen.

Mit seinem Verein war der Stürmer erfolgreicher. Seine Karriere begann er 1996 bei Dynamo Kiew. Acht Mal wurde er mit Kiew sowjetischer Meister und fünf Mal Pokalsieger. Zweimal, 1975 und 1986, gewann der Club den internationalen Pokal der Pokalsieger und 1975 den europäischen Supercup – gegen Bayern München. »Kosmonaut des Fußball-Horizonts« nannte ihn der Kicker nach dem Spiel, in dem Blochin seine Gegenspieler fast nach Belieben dominiert hatte. So stieg er zu einem europäischen Fußballstar auf. Noch im selben Jahr wurde der Sowjetbürger von Fachjournalisten zum europäischen Fußballer des Jahres gewählt – klar vor den Größen Franz Beckenbauer und Johan Cruyff.

Zahlreiche westliche Vereine bemühten sich in der Folgezeit darum, den Stürmer unter Vertrag zu nehmen, die Behörden wehrten jedoch alle Versuche entschieden ab. Und der einflussreiche Coach Lobanowski sorgte zudem dafür, dass sein Spitzenspieler nicht innerhalb des Landes zu einem anderen Club wechseln durfte. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges konnte Igor Blochin Kiew verlassen. Damals gehörte der Spieler, der mit der ehemaligen sowjetischen Star-Gymnastikerin Irina Derjugina verheiratet ist, zu den ersten sowjetischen Kickern, die die Erlaubnis erhielten, bei ausländischen Vereinen zu spielen. 1988, mit 36 Jahren, ging er zum österreichischen Fußballclub Vorwärts Steyr, mit dem er in die Erste Liga aufstieg, anschließend unterschrieb er einen Vertrag beim griechischen Club Aris.

Blochin sollte lange Zeit in Griechenland bleiben. Nach dem Ende seiner aktiven Karriere arbeitete er als Trainer bei den renommierten Vereinen Olympiakos, Paok und Ionikos. 2002 zog es den Fußballer in die Politik. Er wurde als Abgeordneter in das ukrainische Parlament gewählt. Im Oktober 2002 wurde er Mitglied der SDP, der 1996 gegründeten sozialdemokratischen Partei des Landes.

Mitte März 2005 trat er dann als Nationaltrainer zurück. Er reagierte damit auf eine Anti-Korruptionskampagne der neuen Staatsführung, in deren Zuge es den Abgeordneten untersagt worden war, auf nationaler Ebene hohe Ämter innezuhaben. Die Parlamentskommission, die dazu eingesetzt worden war, die Einhaltung der Vorschriften zu überwachen, hatte den Posten des Nationaltrainers zu eben diesen hohen Ämtern gezählt, obwohl Blochin die Auswahlkicker eigenen Angaben zufolge lediglich ehrenamtlich betreute.

Zuvor war der Trainer bereits mit der neuen Staatsführung aneinandergerasselt. Kurz nach dem Ende der »Orangenen Revolution« hatte die Regierung eine Überprüfung der Eigentumsverhältnisse von Dynamo Kiew angeordnet. Im Februar 2005 waren die Anteile an dem Club dann gerichtlich gesperrt worden. Der Verein wurde bis zu diesem Zeitpunkt von einer Gruppe Großunternehmer kontrolliert, an deren Spitze Grigori Surkis stand. Der Oligarch, nebenher auch Vorsitzender des ukrainischen Fußballverbandes, hatte sich beim neuen Staatspräsidenten Viktor Juschtschenko äußerst unbeliebt gemacht – schließlich hatte sich der in der SDP-Parteiführung Sitzende nach Medienberichten im Kiewer Raum an Wahlfälschungen beteiligt, die einen Sieg der damaligen Opposition verhindern sollten.

Blochin hatte mit einem Appell an die Regierenden reagiert: »Ich hoffe, dass die Überprüfung von Dynamo Kiew nicht mit revolutionärem Elan, sondern mit Augenmaß und Verantwortung durchgeführt wird«, erklärte er. Sein Rücktritt vom Posten des Nationaltrainers führte in der Ukraine zu ausgedehnten Diskussionen. Die Kicker ließen sich davon jedoch nicht beeindrucken und gewannen das folgende wichtige Match gegen die Qualifikations-Konkurrenz aus Dänemark mit 1:0.

Kurz darauf wurde Oleg Blochin wieder Trainer der ukrainischen Elf. Ein Gericht hatte entschieden, dass Abgeordneten- und Übungsleiter-Tätigkeit miteinander vereinbar seien und nicht unter das Anti-Korruptionsgesetz fielen, da der 53jährige keinen geldwerten Vorteil aus dem Job als Coach ziehe. »Aufgrund der Diskussionen hätten wir das Spiel gegen Dänemark auch verlieren können, aber die Mannschaft hat bewiesen, dass sie stark ist. Natürlich haben wir innerhalb der Mannschaft auch darüber diskutiert. Aber jetzt sind die Probleme gelöst und ich kann weiterhin als Politiker und Nationaltrainer arbeiten«, erklärte Blochin damals knapp.

Fußball sei für ihn schließlich immens wichtig, denn er habe »dem Fußball alles zu verdanken«. Er sei sehr zufrieden mit seinem Leben. »Der Fußball hat mich gelehrt, Widerstand gegen Schwierigkeiten leisten zu können. Mit einer Ausnahme: Meine Haare sind grau geworden, seitdem ich Trainer geworden bin.«

Gleichwohl seien die Veränderungen, denen der Fußballsport seit seiner aktiven Zeit unterworfen wurde, immens: »Einerseits ist das große Geld dazugekommen, andererseits ist der Fußball viel schneller geworden – Stichpunkt Pressing. Man hat auf dem Platz kaum noch Zeit zu überlegen, was man mit dem Ball machen könnte.« Kann man den früheren Super-Fußballer Blochin und den heutigen ukrainischen Superstar Shevchenko miteinander vergleichen? »Wären die Fußballspieler Andrei Shevchenko und Oleg Blochin eine Person, dann hätten wir jetzt einen Super-Super-Fußballer.«