Schmeling allein zu Haus

Der Film »Das Comeback« erzählt die Geschichte von Boxweltmeister Jimmy Braddock nur bis 1935. Dabei wird es danach erst spannend. Eine Fortsetzung als Fortsetzungsgeschichte, Teil 2. von martin krauss

Der amerikanische Historiker Thomas R. Hietala präsentiert in einer jüngeren Buchveröffentlichung die Transkription eines Telefonats, das Jimmy Braddocks Manager Joe Gould im Jahr 1937 geführt haben soll. Zunächst sprach Gould mit Schmeling, der ihn fragte, ob Braddock gegen Louis unterzeichnet habe. Gould verneinte, sagte aber, dass eine Unterschrift kurz bevorstehe. Diese Information erregte Schmeling, und er forderte Braddock auf, sich doch in Berlin ihm zu stellen. Gould, der Jude war, habe ihm dann geantwortet, ob er wirklich einen Juden auffordern wolle, den Weltmeister zu den Antisemiten zu bringen.

Daraufhin habe Schmeling gesagt, er führe das Telefonat vom Hause von Joseph Goebbels aus und er gebe den Hörer jetzt weiter. So habe dann diese Verhandlung begonnen, die Hietala, dessen Quelle ein Text des Schriftstellers Budd Schulberg aus dem Jahr 1972 ist, wiedergibt:

»Gould: ›Well, zum Beginn möchte ich erst mal 300 000 Dollar, überwiesen an die Chase National Bank, damit wir überhaupt das Schiff betreten.‹

Goebbels: ›Ja, das bekommen Sie.‹

Gould: ›Und weitere 100 000, sobald wir in Berlin ankommen.‹

Goebbels: ›Ja, das bekommen Sie.‹

Gould: ›Und Erste-Klasse-Tickets und Hotelunterbringung für sechs Leute.‹

Goebbels: ›Ja, das bekommen Sie.‹

Gould: ›Und 25 000 Dollar für die Ausgaben, die wir für das Training haben.‹

Goebbels: ›Ja, ja, das werden Sie auch erhalten. Wenn Sie bald nach Berlin kommen, werden wir den Vertrag unterzeichnen.‹

Gould: ›Nur einen Vorbehalt noch, Herr Goebbels. Bevor wir den Ring betreten, wollen wir, dass jeder Jude Ihre Konzentrationslager verlassen hat.‹

Die Leitung war tot.«

An der Authentizität dieses Telefonats gibt es erhebliche Zweifel. Es kann sein, dass Joe Gould, der in den USA unter großem Druck stand, weil er mit den NS-Vertretern über einen eventuellen Kampf verhandelte, diese Geschichte erfand, um in den Diskussionen mit der Anti-Nazi-League, die ja einen Boykott forderte, ein besseres Standing zu haben.

Dass die Teilnahme an den Olympischen Spielen vielleicht ein Fehler war, wurde im Jahr 1937 die Einschätzung von immer mehr Amerikanern, und nun wollte Schmeling »den Titel zurück nach Deutschland holen und ihn für Adolf Hitler im Deutschen Museum präsentieren«, wie ein Sportjournalist formulierte. In Amerika hat gerade der Schwergewichtstitel ein besonderes Renommee. Als »großen Zeh Gottes« hat der Schriftsteller Norman Mailer die Schwergewichtschamps bezeichnet.

Die deutsche Seite war nun von der Sorge ergriffen, ob Braddock diesen für das Jahr 1937 neu angesetzten Kampf wirklich wahrnehmen würde. Als Schmeling mal wieder in die USA reiste, um seine Bedenken der zuständigen New Yorker Boxkommission vorzutragen und um auf Bedenken wegen der Situation in Deutschland beschwichtigend zu wirken, versprach er sogar, dass er, wenn er Weltmeister würde, diesen Titel in den USA verteidigen würde. »Wer zum Teufel sollte ihm diesen Shit glauben?«, fragt Joe Louis in seiner Autobiografie »My Life«. »Wenn er den Titel gewonnen hätte, dann wussten doch alle, dass der Titel für eine sehr lange Zeit weg aus Amerika wäre.«

Louis hatte sich während Schmelings Verhandlungen wieder in die Weltspitze zurückgeboxt, und ihm kamen die Boykottforderungen der Anti-Nazi-League gegen einen Kampf zwischen Braddock und Schmeling zupass. »Sie sandten Telegramme an die New Yorker Kommission und an den Garden, in denen sie die Absage des angesetzten Braddock-Schmeling-Kampfes forderten«, schrieb Louis. »Es waren zähe Leute. Sie drohten damit, dass sie Zeitungsanzeigen und Radiospots schalten würden, um alle Menschen in Amerika aufzufordern, nicht zu diesem Kampf zu gehen, weil damit Nazideutschland unterstützt würde.« Weil gleichzeitig Louis’ Marktwert wieder enorm gewachsen war und weil die Öffentlichkeit immer stärker einen Boykott forderte, begann bei Joe Gould, dem Manager von Braddock, das Umdenken. Damit die deutsche Seite besänftigt würde, gab es auch den Vorschlag, dass der Sieger des Kampfes zwischen Braddock und Louis im September in Berlin gegen Schmeling kämpfen sollte.

Ein WM-Kampf mit Max Schmeling im Berlin des Jahres 1937, entweder gegen Joe Louis oder gegen Jimmy Braddock, das war ein ernst gemeintes Angebot an die deutsche Seite. Von dort wurde es nicht beantwortet, denn in Deutschland glaubte man zu diesem Zeitpunkt noch fest an einen WM-Kampf gegen Braddock.

Joe Gould war in der stärksten denkbaren Verhandlungsposition: Alle wollten den von ihm gemanagten Jimmy Braddock. Und Gould/Braddock entschieden sich für Louis. Mit dessen Management handelte Gould eine Besonderheit aus: Sollte Braddock Kampf und Titel verlieren, müsste Louis’ Promoter Mike Jacobs zehn Prozent der ihm als Promoter zustehenden Einnahmen von allen Kämpfen, die ein Weltmeister Louis bestritten haben wird, an Braddock zahlen. Louis blieb bis 1949 Weltmeister.

Für den Kampf gegen Louis bot Mike Jacobs Braddock die grandiose Garantiesumme von 500 000 Dollar an. Alternativ hätte er auch die Hälfte der Zuschauereinnahmen sowie die Hälfte der Film- und Radiorechte haben können. Es kam zum Vertrag für einen Kampf zwischen Braddock und Louis am 22. Juni 1937 in Chicago.

Jedoch am 3. Juni, keine drei Wochen vorher, sollte Braddock ja seinen Titel in New York gegen Schmeling verteidigen. Ein staatliches Gericht, das angerufen wurde, bestätigte Louis’ Position: Es gebe nur einen gültigen Kampfvertrag, und der gelte für Chicago.

Jimmy Braddock begründete Jahre später seine Entscheidung gegen einen Schmeling-Kampf: »1936 wurde von mir erwartet, dass ich gegen Schmeling boxe. Aber es war so, dass die Juden in New York große Boxfans sind, und die waren gegen Schmeling, wegen Hitler. Sie wollten den Kampf nicht unterstützen. Ich hatte eine Menge jüdischer Fans, zufällig war auch mein Manager Joe Gould ein Jude. Der Kampf fand also nicht statt. Schmeling war von den Juden gesperrt, er war draußen, und Louis war noch nicht in der Position, ein Herausforderer zu sein, weil Schmeling ihn ja ausgeknockt hatte.«

Schmeling ließ sich nicht beirren, oder er wollte sich nicht beirren lassen. In amerikanischen Zeitungen wurde offen darüber geschrieben, dass er sich auf einen Phantomkampf gegen Braddock vorbereite, aber Schmeling ging ins Trainingslager. »Ich konnte und wollte das nicht glauben«, schrieb er in seinen »Erinnerungen«. Wie es weiterging, wird dort so beschrieben: »Zehn Stunden vor dem Kampf erschien ich zur vereinbarten Zeit vor der Wiegekommission. In dem schmalen, nackten Raum saßen die Funktionäre mit Biedermannsmienen hinter ihrem Tisch. Der Präsident, General Phelan, erhob sich und begrüßte mich mit einer formellen Rede. Dann trat der Arzt heran und untersuchte mich flüchtig. Nach ein paar Minuten schon wandte er sich zur Boxkommission und sagte: ›Gentlemen, this man is allright!‹ Von Braddock war nichts zu sehen. General Phelan trieb die Farce auf die Spitze. Er stand hinter seinem Tisch auf, wandte sich nach beiden Seiten zu den Kommissionsmitgliedern und sagte: ›Gentlemen, Sie haben gesehen, was sich hier abgespielt hat. Mr. Schmeling ist ordnungsgemäß eingewogen und für kampffähig erklärt worden. Sein Gegner, Mr. Braddock, ist jedoch nicht erschienen. Ich teile jetzt den Beschluss der Boxkommission mit: Die Kommission hat beschlossen, den amtierenden Weltmeister für den Start in New York zu suspendieren. Mr. Braddock wird mit einer Strafe von 1 000 Dollar belegt.‹«

Eine »abgekartete Sache«, schimpfte Schmeling, aber nicht nur er war außer sich. Goebbels notierte in sein Tagebuch: »Max von Braddock düpiert. Dieses Schwein stellt sich aus Feigheit nicht. Echt amerikanisch.« Hermann Göring sagte zu Schmeling, als der ihm sein Leid klagte: »Was haben Sie denn erwartet? Man wollte uns den Sieg nicht gönnen.«

Schmeling zeigte sich überrascht. Tatsächlich wandte er sich, als er merkte, dass ihm die Felle wegschwammen, im April 1937 mit der Frage an Goebbels, was er tun solle. »Braddock ist feige und sucht Ausreden«, hieß es bei Goebbels. »Ich rate Schmeling, ihn in einem offenen Brief vor der Öffentlichkeit zu fordern. Das wird wohl ziehen.« Einen solchen offenen Brief hat Schmeling nicht verfasst, aber etwas ähnliches hat er sehr wohl vorbereitet, als er in New York das vermeintlich überraschende Fehlen Braddocks beim Wiegen erlebt: eine Rede, die er nach Braddocks Fernbleiben über amerikanische Radiostationen vortragen wollte. Angeblich hat Nat Fleischer, jüdischer Herausgeber von The Ring, Schmeling beim Aufsetzen der Rede geholfen. Es fand sich aber keine Rundfunkstation, die ihm Sendezeit einräumte. Auch Hitler war in die Debatten der NS-Führung involviert. »Frage, ob wir Max zum WM erklären«, berichtete Goebbels über ein Gespräch mit Hitler am 27. Mai 1937, also eine Woche vor dem, was Schmeling »Phantomkampf« nennt. »Ich bejahe das. Die Amis sind das korrupteste Volk der Erde.« Auch aus dem Projekt Gegenweltmeister, das die Nazis austüftelten, wurde nichts.

Am 22. Juni 1937 schlug Joe Louis in Chicago Jimmy Braddock in der achten Runde k.o. Nach dem Kampf ruft er: »Bringt mir Max Schmeling her!« Genau ein Jahr später, am 22. Juni 1938, bekam Max Schmeling seinen WM-Kampf, diesmal gegen Joe Louis. Der schlug ihn in der ersten Runde k.o.

Von Martin Krauß erschien: »Schmeling. Die Karriere eines Jahrhundertdeutschen«, Verlag Die Werkstatt Göttingen, 2005, 264 Seiten, 18,90 Euro