Pillen mit Dylan

How does it feel? Sam Shepard beschreibt eine legendäre Tournee Bob Dylans. von jan süselbeck

Mit diesen Telefongeschichten ist das so eine Sache. »Sam Shepard wollte gerade die Pferderanch, auf die er mit Jessica Lange zog, neu einzäunen, als Bob Dylan anrief«, berichtet der Klappentext seines im Fischer Verlag erschienenen Roadtourberichts »Rolling Thunder. Unterwegs mit Bob Dylan«. Wer würde sich über so eine unverhoffte Nachricht nicht freuen? »Er sollte Drehbuchautor der Rolling Thunder Revue werden, seiner legendären Comeback-Tournee von 1975.«

Sicher: An dem Folkrocksänger Dylan scheiden sich die Geister. Die einen vergöttern ihn bis zum heutigen Tag als unnahbares Genie, andere halten ihn für nichts weiter als ein bloß soziokulturelles Phänomen von zweitrangigem Interesse; Gitarre spielen konnte er jedenfalls nie besonders, und sein näselnder Quäkgesang sorgt bis heute gleichermaßen für Bewunderung wie für Spott. Unvergessen bleibt die fiese Dylan-Parodie auf Frank Zappas erfolgreicher LP »Sheik Yerbouti« (1979), bei der das Markenzeichen des Stars, die unvermeidliche Mundharmonika, so nervtötend in den typischen Nölgesang der imitierten Stimme kreischt, dass man einfach nur noch brüllen kann vor Lachen.

Diese Skepsis bezüglich des Phänomens Dylan gab es auch schon 1975, als dessen Sternstunden der sechziger Jahre bereits Geschichte waren: »Ich wüsste nicht, wie Dylan nochmal an das heranreichen soll, was er in den Sechzigern war«, sagt Shepards Freund in der kalifornischen Eröffnungsszene des Buchs. Er sitzt gerade am Steuer eines weißen Chevy Nova und murmelt: »Ist einfach nicht drin. Der hat eben seine große Zeit schon gehabt.«

Doch wenig später findet Shepard zuhause auch schon jenen schicksalhaften grünen Zettel auf einem Tisch vor, mit dem nicht ohne weiteres zu rechnen war: »Dylan hat angerufen – versucht’s nochmal.« Das ist für den Autor natürlich erst mal ein Schock: »Dylan hat hier angerufen? Warum sollte Dylan hier anrufen? Ich kenn ihn überhaupt nicht.«

Tja, so kann es also gehen, und wenig später befindet sich auch der Leser schon mittendrin in einer surreal anmutenden Country-Tour durch die Käffer und Städtchen Neuenglands. Sam Shepard, dieser Tage im Feuilleton auch wieder als Drehbuchautor und Schauspieler in Wim Wenders’ neuem Film »Don’t Come Knocking« in aller Munde, beschreibt hier angeblich »das wahre amerikanische Roadmovie, eine Suche nach dem Beginn des Beat, eine Odyssee in das Reich des großen Songmagiers« (Klappentext).

Das Buch setzt sich aus fragmentarischen Erinnerungen zusammen. Manchmal sind es sogar nur Notizzettel mit Ideen zu dem schnell außer Kontrolle geratenden Filmprojekt, die hier zwischen den schönen Schwarzweiß-Fotos abgedruckt sind. Sie finden sich auf fast jeder Seite des Bands.

Viele der Szenen, von denen wir da lesen und die wir da staunend betrachten, wirken geradezu märchenhaft. Es sind, zugegeben, Klischees aus dem Rockbusiness – idealtypische Dylan-Propaganda im Grunde, die Bestätigung eines konstruierten Idolbilds. Hier ist alles so, wie man es sich von einer Dylan-Tournee mit freakigen Country-, Blues- und Rockmusikern schon immer vorgestellt hat – und trotzdem liest es sich, seltsamerweise, spannend.

So war es also anscheinend wirklich in den Siebzigern: Dauernd werden Unmengen von irgendwelchen Pillen eingeschmissen, wird literweise Alkoholisches gekippt. »Es ist eines dieser mondänen Party-Apartments mit blonden Menschen auf allen Möbeln. David Blue in seinem nadelgestreiften Gangsterzwirn verteilt freigiebig Ketamin und PCP. (…) Dylan ist mit irgendwelcher Chemie zugedröhnt, er klopft mit dem ganzen Körper den Takt zu einem inneren Rhythmus.« Nicht von ungefähr scheint Shepard dem Bericht also das Dylan-Motto vorangestellt zu haben: »I left the road / And I was seein’ double / But it sure has been / One helluva ride.«

Das alles liest sich fix herunter, wobei man allerdings auch immer wieder innehält und die den Text begleitenden Abbildungen betrachtet: Dylan und Allen Ginsberg am Grab Jack Kerouacs; Dylan auf Gefängnisbesuch bei dem unschuldigen Rubin »Hurricane« Carter, für dessen Befreiung das monumentale Tour-Abschlusskonzert im New Yorker Madison Square Garden (mit Gaststar Muhammad Ali) dann tatsächlich auch sorgen sollte; Dylan mit mürrischem Gesicht, halbnackt in Hotelzimmern herumlungernd, umringt von schönen Frauen wie Joan Baez und Joni Mitchell – und natürlich: überall (akustische) Gitarren, Fender-Stratocasters, Telecasters, Gibsons.

»Everybody must get stoned«: Man fühlt sich also abermals an so manche überspitzte Tour-Story erinnert, wie sie in Frank Zappas satirischen Songs so oft geschildert werden. Etwa wenn man hier liest, was ein David Blue da angeblich so alles dahergeredet haben soll. Richtig, der besagte Pillenmann, den man auch auf einem Foto bewundern kann, genau in dem erwähnten Nadelstreifenanzug, gierig an einem überdimensionalen Joint ziehend: »Mann, die Groupies, die schlagen dich um Längen. Die machen dich fertig«, beschwört er seine Zuhörer. »Hey, wisst ihr schon, dass Dylans Frau Sara nach Niagara kommt? Die ist ja richtig heavy. Was meint ihr, was los ist, wenn sie und Joni Mitchell sich ins Gehege kommen. Dann kriegt ihr heißes Filmmaterial, kann ich euch flüstern.«

Auch die Band ist, wie könnte es anders sein, aus lauter großartigen Musikern zusammengesetzt, die allerdings reihum austicken und mal gut spielen, mal schlecht. Alle haben ihre Allüren. Dylan höchstpersönlich besorgt sich plötzlich eine läufige Hündin, die alle Hotelflure vollkackt, und aufdringliche Reporter, die versuchen, überall dabei zu sein, werden von der Crew kurzerhand in Hotelzimmer mit Quarantäneschild weggesperrt. Der Gitarrist Roger McGuinn, der mit hellen Reithosen, Reitstiefeln und einer Gerte auftritt und am Ende seines Show-Parts stets mit einem Lasso eingefangen wird, kämpft mit der hysterischen Zwangsvorstellung, von jemandem aus dem Publikum erschossen zu werden: »Manchmal traf ihn die Kugel und streckte ihn gleich nieder, aber die Leute glaubten bloß, er sei umgekippt, weil niemand den Schuss bei dem Lärm hörte. Manchmal prallte die Kugel von seiner Gitarre ab und traf ein anderes Mitglied der Band. Manchmal verfehlte ihn die Kugel ganz und gar. Auf jeden Fall ist er noch springlebendig.«

Shepard beobachtet und beschreibt den ganzen Zirkus stoisch, manchmal aber auch geradezu verängstigt: »T-Bone tigert in Dreimeterspitzkehren hinter mir auf und ab. Plötzlich reißt er sich auf seinem Absatz seiner Tony-Lama-Cowboystiefel um 180 Grad herum und rammt mir mit einer Rumpfbeuge das Kinn in den Nacken.« Und dann sagt der Typ in breitem Texanisch über Dylan: »Ich bin so stolz auf den kleinen Scheißer. Der erste Superstar. Gibt meinem Leben neuen Sinn. Den Gnadenschuss wünsch ich mir nur noch zehnmal am Tag.«

Man mag von all dem halten, was man will. Für Dylan-Fans ist das Buch auf jeden Fall unverzichtbar. Auch wenn manch zweifelhafter Geistesblitz, den Shepard seinerzeit benebelt aufgeschrieben hat, wahrscheinlich nicht unbedingt hätte abgedruckt werden müssen. Doch der Ton der Anekdoten bleibt meist angenehm lakonisch und macht den Band überhaupt zu einem schönen Zeitdokument – vielleicht sogar über den Rockzirkus hinaus.

Sam Shepard: Rolling Thunder. Unterwegs mit Bob Dylan. Übersetzt aus dem Amerikanischen von Uda Strätling. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2005, 188 S., 19,90 Euro