Bäuerinnen bevorzugt

Erna Lendvai-Dircksens Bildbände mit Fotos von drallen Deutschen erlebten während des Nationalsozialismus hohe Auflagen. Über die Ausstellung »Menschenbild und Volksgesicht« berichtet jessica zeller

Eine Ausstellung über eine deutsche Künstlerin zu machen, die zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft wohl den Höhepunkt ihrer Karriere erlebte: Die Magenschmerzen bahnten sich schon vor Beginn der Recherche an.«

Das Unbehagen, das die Studentin Sonja Weishaupt in ihrem Aufsatz äußert, der Teil der Textsammlung zur Ausstellung »Menschenbild und Volksgesicht. Porträtfotografie zwischen Konstruktion und Propaganda« ist, verspürt man zunächst auch als Besucher. Man ist doch ein wenig misstrauisch, zu gegenwärtig sind noch die zahlreichen Versuche, die Regisseurin Leni Riefenstahl zu rehabilitieren und sie zur einer letztlich unpolitischen »reinen« Künstlerin zu erklären. Fast stellt sich Erleichterung ein, wenn man feststellt, dass im Museum Europäischer Kulturen in Berlin dann doch keine affirmative Bilderschau gezeigt wird, sondern dass eine sensible und kritische Einbindung der Fotografien aus der Zeit des Nationalsozialismus in ihren Entstehungskontext erfolgt.

Seit dem Jahr 2003 forschten 22 Studierende der Europäischen Ethnologie an der Berliner Humboldt-Universität am Beispiel der Fotografin Erna Lendvai-Dircksen (1883 bis 1962) zum Thema Porträtfotografie im Nationalsozialismus. Das Ergebnis ist weniger eine lückenlose Werkschau als eine künstlerische und historische Bearbeitung des Materials. Bereits am Eingang erwartet den Besucher eine großformatige Fotocollage des Künstlers Marcel D’Apuzzo mit dem Titel »Die Taufe – Vereinsheim für Jedermann«. Eine Gruppe von alten und jungen Menschen unterschiedlicher Herkunft steht vor dem Eingang eines Landgasthofs, man sieht im Hintergrund eine Collage mit Schwarz-Weiß-Fotografien von blonden Mädchen, entschlossenen Landarbeitern und zerfurchten Gesichtern alter Bäuerinnen. Es sind Bilder aus dem Werk »Das Deutsche Volksgesicht« von Lendvai Dircksen, das von der Künstlerin selbst als ihr »Lebenswerk« bezeichnet wurde. Hier fotografierte sie ab 1932 vermeintlich unberührte Landstriche des so genannten großdeutschen Reiches und ihre Bevölkerung. Daraus entstanden in reger Abfolge Bildbände. Ob sie die Bevölkerung in Niedersachsen, Kurhessen, Norwegen oder Tirol ablichtete, stets betitelte Lendvai-Dircksen ihre Bilder mit aussagekräftigen Überschriften: »Oberharzer Holzfäller und seine Frau, die Mutter von elf schönen und tüchtigen Kindern« etwa oder »Hünengrab auf der Wurster Geest«. Immer war es die Fotografin selbst, die die Begleittexte zu den Fotos verfasste und so Bild und Text zu einer völkischen Gesamtaussage verschmolz.

Etwa 20 Bildbände mit einer Gesamtauflage von 250 000 Exemplaren machten ihr Werk zu einem der meistverkauften im Nationalsozialismus. Außerdem fanden Arbeiten Lendvai-Dircksens rege Verwendung in Illustrierten, als Zigarettenbildchen oder in Sammelbänden. Dass die Fotos – trotz der vermeintlichen Besonderheit der fotografierten Gegenden und ihrer Einwohner – nur sehr wenig variierten, macht die Installation »Vorbildliche Körper: Ideale und Typisierungen« im ersten Raum der Ausstellung deutlich. 25 Bilder der Fotografin bedecken hier fast die gesamte Wand.

Aufgereiht sind sie nach thematischen Gesichtspunkten: »Blonde Kinder«, »Fernblick«, »Deutsche Arbeit«, »Trachten« und »Gesichtslandschaften«. Man könnte beim besten Willen nicht sagen, wo sie aufgenommen worden sind. Die dazugehörigen Texte kann sich der Betrachter über Kopfhörer anhören, was eine gewisse Intimität gegenüber dem Gegenstand erzeugt. In eine ähnliche Richtung verweist das Video »Die Bilderflut der Erna Lendvai-Dircksen« von Marcel D’Apuzzo, bei dem die Aufnahmen der Fotografin übereinander gelegt wurden, jetzt in Zeitraffergeschwindigkeit am Zuschauer vorbeirasen und jede Besonderheit der Bilder zum Verschwinden bringen. Eine Ausnahme innerhalb der völkischen Eintönigkeit der Porträtfotografie Lendvai-Dircksens bildet neben den eher schulmädchenhaften Frühwerken aus dem Berliner Lette-Verein sicherlich die Serie »Reichsautobahn. Mensch und Werk«, die sie 1937 als Auftragsarbeit ausführte.

Hier gelingt der Künstlerin, die sich ansonsten um den Bauern und seine Scholle kümmerte, tatsächlich eine Gratwanderung. Wäre diese Serie nicht ganz unmittelbar an die nationalsozialistische Herrschaft geknüpft – über 150 000 Arbeiter litten zu dieser Zeit schon an Erschöpfungszuständen, und vermehrt wurden auch Zwangsarbeiter herangezogen –, würde sie fast schon Bewunderung verdienen: Der Bauer, dessen Landschaft durch die Straße eigentlich zu Schaden kommt, zieht hier friedlich mit einem Pflug, der zu dieser Zeit eigentlich schon gar keine Verwendung mehr erfuhr, unter der Autobahnbrücke her. Neben dem Asphalt grasen genügsam die Schafe.

Trotz einer lupenreinen nationalsozialistischen Überzeugung besaß die Fotografin die Fähigkeit zu taktischem Agieren. Diese Flexibilität bewahrte sich Erna Lendvai-Dircksen auch in der Zeit nach dem Krieg. In einem Brief von 1952 teilte sie mit, dass sie den »nordischen Rassefimmel nie mitgemacht« habe, und organisierte in den Folgejahren weitere Ausstellungen mit alten und neuen Bildern. Aus dem »Volksgesicht« wird nun das »Menschenbild«.

Damit ist vielleicht die Schwäche der Ausstellung angesprochen. Denn solche Äußerungen wie auch die Rezeption von Lendvai-Dircksen als »Altmeisterin der Fotokunst« in der BRD in den sechziger Jahren werden zwar dokumentiert, eine Verarbeitung der Kontinuitäten gelingt jedoch bedauerlicherweise kaum. Die Arbeiten, die sich selbst ein »neues« Bild der Deutschen schaffen wollen, sind entweder wirr, wie das grellbunte Acrylbild »Das deutsche Volksgesicht« von Pavel Forman, wo sich neben Joseph Ratzinger unter anderem Roberto Blanco mit rotem Hitler-Bärtchen findet, oder sie feiern Bilder des Multikulti.