Mann ohne Mannschaft

Der Startrainer ist schon da, doch wen er trainieren soll, weiß noch niemand so recht. Der VfB Stuttgart hat drei Wochen vor dem Beginn der Bundesligasaison ein Personalproblem. von klaus teichmann

Seit rund einer Woche liegt Giovanni Trapattoni nun regelmäßig rücklings auf seiner Gymnastikmatte auf dem Trainingsplatz und strampelt mit den Beinen in der Stuttgarter Sommerluft. Doch um bei seinem neuen Verein VfB Stuttgart mehr als nur heiße Luft umzuwälzen, wird sich der Maestro, wie der Trainer mit Spitznamen heißt, noch kräftig abstrampeln müssen. »Ich sage nicht gleich, ich will gewinnen, aber in meinem Kopf ist immer: ich will gewinnen«, hat der 66jährige den Journalisten gleich zu Beginn seines dritten Dienstantritts in der Bundesliga bedeutet: »Ich will an die Spitze.«

Die Fans freuen sich über solche Worte des prominenten Coaches, werden sie doch als Beleg gewertet, dass nun wirklich große Zeiten für ihren Verein beginnen, die ihm internationale Erfolge bringen. Der Trainer ist auf dem Cannstatter Wasen der Star – auch weil sonst in Stuttgart nicht allzu viele fußballerische Celebrities beschäftigt sind. Der neue Star-Trainer leitet in enger, körperbetonender schwarzer Trainingshose zusammen mit gleich sechs Assistenten die Übungen des Profiteams an. Wer wofür zuständig ist, ist allerdings auf den ersten Blick noch unklar. Allein drei Torwarttrainer turnen vor. Doch Stammtorhüter Timo Hildebrand ist ebenso noch im Urlaub wie seine Kollegen in der National-Auswahl, Andreas Hinkel und Thomas Hitzlsperger.

Das »Tafelsilber«, wie es der Schwabenstratege Erwin Staudt gerne nennt, ist dagegen schon längst verkauft worden. Kevin Kuranyi wechselte schon vor »Traps« Engagement für rund sieben Millionen Euro zum Vizemeister Schalke 04. Und auch der spektakuläre Coup mit dem Maestro hat den Mittelfeldstar Aleksander Hleb nicht davon abgehalten, sich lieber unter die Fittiche von Arsene Wenger bei Arsenal London zu begeben, für 15 Millionen Euro. »Ich wünsche Spieler mit Begeisterung«, hat der Italiener den Verbleib des weißrussischen Dribbelkönigs schnell abgehakt.

Mit Philipp Lahm (FC Bayern) und Imre Szabis (1. FC Köln), Kurany und Hleb hat der VfB gleich vier der Akteure verloren, die in der vergangenen Saison zwar die angestrebte Königsklasse verpassten, dann jedoch immerhin noch den ungeliebten Uefa-Cup-Platz erreichten. Ein fünfter Platz, über den andere Teams sehr froh gewesen wären, der jedoch die schwäbische Volksseele im und um die Landeshauptstadt herum gegen den Trainer Matthias Sammer aufbrachte und ihn schließlich auch den eigentlich so sicher geglaubten Job kostete.

Nun soll das große Ziel eben am Ende der kommenden Saison erreicht sein. »Das Champions-League-Potenzial ist auf jeden Fall da«, bekräftigte der Schweizer Neuling Ludovic Magnin den Glauben an das neue Team optimistisch. Doch noch hat der VfB lediglich die Weichen für eine Zukunft als internationaler Top-Verein gestellt. Die Substanz für das tatsächliche Erreichen dieser neuen Dimension fehlt allerdings noch. »Es ist ein Privileg, unter so einem Trainer trainieren zu können«, sagt etwa Neuzugang Daniel Bierofka, der bereits als A-Junior einige Einheiten unter »Trap« beim FC Bayern genossen hat, in einem Interview. Das neue VfB-Konzept ist bemerkenswert einfach: Große Namen sollen rund um das rote Haus nun für große Gefühle sorgen und endlich die Transformation zum Topklub ermöglichen. Wichtiger Bestandteil ist der neue Coach, der einen Hauch von Weltläufigkeit nach Schwaben bringen soll. Auch Weltklassespieler verbeugen sich voller Hochachtung vor der Trainerlegende, die mit ihrer Aura das von Sammer vergrätzte Publikum wieder an den VfB binden soll, die darüber hinaus Zugang zu neuen Sponsoren ermöglichen soll – und natürlich durch glänzende fußballerische Kontakte überall auf der Welt auch als Türöffner für spektakuläre Spielertransfers. Der Glanz des Weltmanns scheint durchaus seine Wirkmächtigkeit zu entfalten. »Zum Trainingsauftakt war hier noch nie so viel los«, stellte VfB-Pressesprecher Oliver Schraft nach der ersten öffentlichen Übungseinheit zufrieden fest.

Tatsächlich scheint der VfB gerade in eine neue Dimension vorgestoßen zu sein. Den ersten Trab mit »Trap« wollten fast mehr Leute sehen, als die unglamourösen Bundesligadarbietungen der SpVgg Unterhaching. »Ich bin stolz, neben so einer Persönlichkeit wie Giovanni arbeiten zu dürfen«, verkündete auch der zuvor in Haching gescheiterte Weltmeister Andreas Brehme, der nun als Co-Trainer beim Stuttgarter VfB die Hütchen für diverse Übungseinheiten aufstellt. »Als Co-Coach zu arbeiten ist für mich kein Rückschritt«, betont der 86fache Nationalspieler, und prophezeit: »Trapattoni wird die jüngeren und auch die älteren Spieler hier begeistern.«

Und nicht nur die: In der Provinz löste der italienische Chefcoach beim ersten Trainingsspielchen in Kirchheim tatsächlich eine wahre Hysterie aus. Fast 10 000 Fans wollten den neuen VfB-Star in der schwarzen Turnhose sehen. Der Umstand, dass er noch keine bundesligataugliche Mannschaft dabei hatte, war den Neugierigen dabei noch egal. Beim Saisonauftakt in fünf Wochen gegen die Aufsteiger Duisburg und Köln wird dies anders sein. Wer aber wird dann auflaufen? »Ich bin mir sicher, Figo bleibt in Madrid«, hat Giovanni Trapattoni den von den einschlägigen Medien breit kolportierten, spektakulären Transfer des portugiesischen Weltstars von Real ganz schnell ins Reich der Fabeln verwiesen.

Auf Qualität statt auf Masse werde er setzten, gab er bereits bei seinem Amtsantritt zu verstehen, was natürlich prompt Phantasien von der Verpflichtung internationaler Spitzenfußballer beförderte. Doch auch von den angeblich geplanten Neueinkäufen von Bundesliga-Stars wie Marcelinho, Sebastian Deisler oder Tomas Rosicky hört man plötzlich zum Leidwesen der VfB-Fans einfach nichts mehr. Auch der Deal mit dem französischen Torschützenkönig Alexander Frei hat sich wohl bereits vor dem avisierten Transferdatum im Jahr 2006 zerschlagen. Völlig pikiert äußern sich die VfB-Bosse nun über die gemeine Fußballwelt da draußen, die ihre Kicker mit dem Wissen um die personellen Engpässe und die prall gefüllte Vereinsschatulle nur völlig überteuert nach Stuttgart veräußern wolle. Die sparsame schwäbische Krämerseele müssen die Vereinsoberen möglichst schnell überwinden, weiß man doch um die schnell wachsende Ungeduld des Maestros fernab der Heimat. In Lissabon hat er die Brocken beispielsweise bekanntlich schon nach einem Jahr hingeworfen. Auch dem Stuttgarter Abenteuer soll seine Gattin Paola nur unter Protest zugestimmt haben.

Mit großem Elan zeigte Trapattoni im Training den beiden Brasilianern Cacau und Elson gestenreich, wie der Ball zu stoppen und zu passen sei. Allzu schnell verpufft jedoch erfahrungsgemäß gerade bei den Jungprofis der Respekt vor dem Glanz der Vergangenheit im nostalgiearmen Bundesligaalltag, und zwar umso schneller, wenn der Erfolg ausbleibt. Und um den erreichen zu können, braucht auch ein Startrainer nach wie vor eine schlagkräftige Mannschaft.